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Der Mond stand bereits hoch am Himmel, und Krähenpfote lag mit offenen Augen im Nest und starrte durch den schmalen Höhleneingang hindurch die Sterne an. Irgendwo dort war Windpelz. Welcher der Sterne er wohl ist? Sie seufzte und streckte sich, sie war nicht wirklich müde, und ihre Gedanken tobten. Pumapfote lag einige Nester weiter weg von ihr und schlief, er wälzte sich unruhig hin und her, während Gewitterpfote beinahe regungslos in ihren Nest lag. Krähenpfote stand vorsichtig auf und Astpfote, der sich aus dem Nachbarnest beim Schlafen halb auf sie gerollt hatte, murrte leise im Schlaf. Sie strich ihm beruhigend mit ihrem Schwanz über seinen Rücken. "Bin bald wieder da, versprochen." Sie schlüpfte beinahe lautlos aus dem Schülerbau und tappte durch das in Mondlicht getauchte Lager, nahm den Ausgang beim Schmutzplatz, als sie sah, dass Habichtschwinge am eigentlichen Ausgang Wache hielt. Sie lenkte ihre Pfoten in Richtung des kleinen Zweibeinerorts, in der Hoffnung, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten.

Nach einiger Zeit gelangte sie endlich an die Grenze des Zweibeinerorts, die sich von einem Zweibeinernest mit einem hohen Zaun um eine Grasfläche herum auszeichnete. Vorsichtig sprang sie oben auf die abgerundete Zaunoberfläche und sah sich um. Ein Knurren riss sie aus ihren Gedanken und sie drehte den Kopf herum zu einem Schatten, der fauchend auf der zugewucherten Rasenfläche auf sie zusprang. Erhellt von dem Licht, das aus dem Zweibeinernest kam, erkannte Krähenpfote einen unglaublich ungepflegten, ausgemergelten dunkelgrauen Kater mit gelben Augen und unglaublich verfilztem Fell. Er hatte die Zähne gebleckt und zischte: "Verschwinde aus meinem Garten!" Ein Garten, begriff sie, war die Fläche, die sich innerhalb des Zaunes befand. "Ich suche nur jemanden, ich habe nicht vor, hier zu bleiben. Außerdem bin ich nur an der Grenze-" miaute sie hastig, doch der Hauskater unterbrach sie mit einem Knurren, und seine Augen funkelten gefährlich. "Dann such woanders! Verschwinde, bevor ich nachhelfe!" Mit einem riesigen Satz sprang er auf den Zaun, nur wenige Fuchslängen von ihr entfernt, und Krähenpfote wich erschrocken zurück. "Hey! Lass sie in Ruhe, sie ist doch noch ein halbes Junges!" heulte da auf einmal eine Stimme, und sie beide zuckten zusammen. Krähenpfote sträubte ihr Fell, auch wenn es ihrem Selbstbewusstsein einen Stich versetzt hatte, war sie noch nie so froh gewesen, ein halbes Junges genannt zu werden. Der verrückte Kater zischte nur wütend und sprang in seinen Garten. "Wehe, du setzt auch nur eine Pfote auf mein Gebiet!" Krähenpfote legte mühsam ihr Fell wieder an und wandte sich in die Richtung, aus welcher die Rufe gekommen waren. Zwei junge Hauskater spazierten im spärlichen Licht der Zweibeinernester auf sie zu. "Was macht eine junge Katze wie du so spät nachts im Dorf?" Krähenpfote wusste zwar nicht, was ein Dorf war, nahm jedoch an, dass die beiden Kater den Zweibeinerort meinten. "Ich suche jemanden!" rief sie ihnen also zögerlich zu. Vielleicht konnten die zwei ihr ja helfen. Die Katzen kamen näher, Krähenpfote beobachtete sie interessiert. Sie waren wohl kaum älter als sie, einer von ihnen war weiß und grau getigert, der andere war weiß und grau gefleckt. "Ich bin Chaos und das ist mein Bruder Pingpong" miaute der Gefleckte und sah sie neugierig an. "Ich bin Krähenpfote" miaute sie vorsichtig. "Oh, eine Clankatze. Von euch haben wir schon gehört. Sonst geht ihr doch nie in die Nähe von Hausleuten, warum bist du dann hier? Mach dir übrigens keine Sorgen wegen Macke, der ist einfach ein wenig durchgeknallt" miaute Pingpong fast ohne Luft zu holen. Er war ein sehr hibbeliger Kater, wie sie bemerkte, denn er tappte die ganze Zeit von einer Pfote auf die andere und wippte mit seinem ganzen Körper hin und her. "Oh, ich suche jemanden. Was sind Hausleute?" "Die, die hier rumlaufen. Ihr nennt sie Zweibeiner. Wen suchst du denn?" miaute Chaos, welcher definitiv der Ruhigere von den beiden Brüdern war, auch wenn er trotzdem ständig mit einer Pfote wackelte oder mit den Ohren zuckte. "Einen Kater namens Kürbis, kennt ihr ihn? Wisst ihr, wo er wohnt?" "Natürlich! Du stehst direkt vor seinem Garten!" Verwirrt sah Krähenpfote zu Mackes Garten herüber. "Nicht der da. Der!" Chaos deutete mit dem Schwanz auf den Garten direkt daneben. "Er müsste noch wach sein, stell dich einfach vor das unterste Fenster und miau." "Fenster?" fragte Krähenpfote verwirrt. "Ach, ihr wilden Katzen. Das Ding, wo Licht rauskommt" Pingpong deutete mit seinem Schweif auf das viereckige Loch in Kürbis' Zweibeinernest, aus welchem ein wenig Licht funkelte. "Danke" miaute Krähenpfote und verabschiedete sich hastig von den Wurfgeschwistern, die danach fröhlich an den Zweibeinernestern entlang weiterspazierten. Schliefen die beiden Kater eigentlich nie? Krähenpfote sprang mit einem weiten Satz über den etwas niedrigeren Zaun und tappte auf das Zweibeinernest zu. Am Fenster angekommen stellte sie fest, dass eine durchsichtige Masse sie von dem Inneren des Nests trennte. Ein kleiner Spalt oben war jedoch da. Sie sah hindurch und sah einen orangenen Kater mit schwarzen Pfoten auf einem viereckigen Zweibeinerding schlafen. "Kürbis!" miaute sie, und der Kater öffnete die Augen. Das ist also mein Vater. Er tappte langsam auf das Fenster zu, streckte sich und sah sie müde an. "Wer bist du?" "Sturmsterns Tochter" miaute Krähenpfote und sah ihrem Vater fest in die Augen. Sie betrachtete ihn genauer. Er war ein alter Kater geworden, mollig und mit glanzlosen Augen, doch ihm war anzusehen, dass er in seiner Jugend ein kräftiger Kater gewesen sein musste. Kürbis zuckte zusammen. "Also stimmt es wirklich. Ich war mir nicht sicher. Hast du Wurfgeschwister? Wie geht es ihnen? Wie heißt du?" "Ich heiße Krähenpfote. Mein Bruder und meine Schwester heißen Pumapfote und Gewitterpfote. Ihnen geht es...okay, wenn man bedenkt, dass wir erst gestern erfahren haben, dass du unser Vater bist" murmelte Krähenpfote. "Also hat sie es wirklich niemandem gesagt. Ist wahrscheinlich auch besser so." Kürbis' Blick war voller Schmerz und Trauer und noch einem Gefühl, welches sie nicht wirklich einordnen konnte. "Wie geht es Sturmherz? Ich meine, Sturmstern? Ist sie also Anführerin geworden?" miaute er schließlich. "Ihr geht es gut. Sie ist Anführerin, und das schon seit einiger Zeit." Krähenpfote zögerte. "Liebst du sie immer noch?" Kürbis seufzte traurig. "Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie mit euch trächtig war. Ich hatte sie beinahe vergessen, bis du herkamst. Ich habe keine Gefühle mehr für sie, aber es ist schön, wenigstens zu wissen, wie eines meiner Jungen aussieht. Weißt du, als ich sie das letzte Mal sah, schwor sie mir, dass ich euch niemals zu Gesicht bekommen würde." Er schnurrte. "Ist dein Mentor nett?" Krähenpfote nickte. "Du weißt viel über die Clans" miaute sie neugierig. "Natürlich, mein Großvater war schließlich in einem Clan! Wie hieß er nochmal... Wurzelfuß, genau! Aus dem WolkenClan." Sie fühlte sich, als würde der Boden unter ihr forgerissen werden und starrte ihren Vater durch das Fenster hindurch an. "Dein Vater war Wurzelstern?" "Ich kannte ihn nur unter dem Namen Wurzelfuß, das ist alles, was mir meine Mutter über ihn erzählt hat. Und, dass es den WolkenClan nicht mehr gibt. Schade eigentlich, scheint ein ganz netter Clan gewesen zu sein. Jedenfalls, wenn man den Geschichten glaubt." Krähenpfote wippte aufgeregt auf ihren Pfotenballen hin und her. "Gibt es hier noch andere Katzen, die vom WolkenClan abstammen?" "Das weiß ich nicht. Aber kann gut sein" miaute er müde und gähnte. "Hör mal, die Sonne wird bald aufgehen, man wird dich im Clan vermissen. Ich gehe davon aus, dass keiner weiß, dass du hier bist." Krähenpfote schüttelte verlegen den Kopf und Kürbis schnurrte belustigt. "Genau wie deine Mutter, nur Unsinn im Kopf. Geh lieber, bevor du Strafarbeiten leisten musst." Sie nickte und verabschiedete sich hastig von ihm, sprang dann von dem kleinen, harten Vorsprung direkt vor dem Fenster herab und machte sich auf den Weg zurück ins WindClan-Lager, in Gedanken versunken. Ich bin Wurzelsterns Urenkelin! Ich trage WolkenClan-Blut in mir! Und langsam begriff sie. Ich bin Wurzelsterns Erbe, ich bin die Einzige, die den WolkenClan wiederaufbauen kann. Wenn ich es nicht tue, wird es niemand tun. Ich und meine Geschwister müssen dem WolkenClan helfen! Sie preschte in Richtung Lager, in Gedanken nur noch Wurzelstern und seinen verlorenen Clan.

WarriorCats - Krähenlieds WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt