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Die Schafe, die sich an kalten Tagen eng zusammen kuschelten, zählten 130 Köpfe. 130, die Namjoon jeden Tag aufs neue zählte, zur Weide trieb und beobachtete. Eine mittlerweile stattliche Zahl, mit der er sein Geld sicher verdienen konnte. Er konnte die Wolle verkaufen, die Lämmchen. Es war nicht das Leben was er sich gewünscht hatte, doch es war ein friedliches.

Das Leben war komisch. Taehyung konnte sich nicht vorstellen, wie er jetzt in seinem Bahnhof sitzen würde und mal wieder nicht wusste, was er tun sollte.

Die Langeweile hatte ihn aufgefressen. Die Fragen, die Gedanken, die Tage.  

Jetzt lief er mit einem Mann Schienen entlang, grübelte noch immer, hatte Fragen, deutlich mehr als zuvor, doch er hatte etwas zu tun.

Einen Fuß vor den anderen setzen.

Laufen. Mithalten. Abends Feuer machen, Lager errichten. Eine Nacht hatte es geschüttet und sie hatten sich klischt nass unter die Plane gequetscht.

Die frische Luft und die Vögel beruhigten Taehyung aber auf eine Weise, wie es sein Bahnhof nicht getan hatte. Seine Heimat war gleich bleibend. Hier veränderte sich alles. Kein Baum war gleich, die Schienen mal mehr mal weniger eingewachsen. Sie waren über einen Moosteppich gelaufen, bevor der Wald sein Ende gefunden hatte. 

Auf den Feldern waren sie der Sonne ausgeliefert, der schwülen Luft, die sich nach dem Regen gebildet hatte. 

Sie kamen an Weiden mit Pferden vorbei, mit Kühen. Machten einen Bogen in ein Dorf um ihre Lebensmittel wieder aufzufüllen.

Taehyungs Füße waren wund, Muskelkater machte ihm das bewegen schwerer. Auf dem Feld legte Hoseok ein Tempo vor, dem Taehyung nur widerwillig folgte. 

Sie sprachen nur das nötigste. Denn es gab keine Worte mit den Gedanken im Magen. Mit Sätzen im Kopf die unbeendet blieben. Es gab keine Sätze die er seiner Mutter hatte sagen können und nun hatte er keine für Hoseok. 

Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand die Kehle zugeschnürt und die Fäden hingen ihm bis in den Magen. Verknüllten sich dort zu einem Ballen, den er gerne wieder hochgewürgt hätte, nur um wieder freier Sprechen zu können. 

Den nächsten Zaun erreichten sie. Davor waren sie am Feldrand von Roggen gelaufen. Taehyung hatte dem anderen dabei zugesehen wie er gelegentlich einen Halm abriss, um sich die Körner in den Mund zu stecken. Der Jüngere traute sich das nicht. Er konnte sich nicht vorstellen jemand anderen die Ernte zu stehlen. 

Der Zaun war nicht wie die anderen elektrisch, sondern durch Wetter verrucht, aus Holzbrettern und Pfahlen zusammengebaut. Er wirkte dürftig. Verbraucht.

Taehyung konnte seinen Blick nicht von dem wilden Gras dahinter und dem Zaun nehmen. Es zog ihn an, ließ ihn denken wem das wohl gehörte, dass er sich nicht um das Land kümmerte. Nicht offensichtlich.

Und so lief Taehyung Hoseok in den Rücken, der urplötzlich stehen blieb. 

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