24780

18 4 4
                                    

Wenn früher jemand nach Seokjins Telefonnummer fragte, so gab er immer die Nummer 24780 an. Eine Nummer von der jeder wusste, dass sie nicht zu ihm führte. Es war seine Art den anderen zu sagen, das er kein Interesse an einer Bindung hatte. An keiner, denn er hatte genügend Familie im Zirkus. Genügend Erwachsene deren Probleme er sich anhörte, las und denen er Ratschläge gab, genügend Kinder, die er mit einfachen Tricks zum Lachen brachte. Das war alles was er brauchte.

Taehyung starrte in den Abendhimmel. Die Sonne war nicht mehr zu sehen, erhellte die Wolken trotzdem in einem rot rosanen Schein. Die Welt drehte sich, die Zeit floss. Aber nicht an Taehyung vorbei, sondern mit ihm. Endlich mal wieder mit ihm.

„Taehyung...", grüßte Hoseok leise, als er aus dem Bauwagen trat. Er störte die Nacht nicht, lief langsam in sie hinein. Taehyung starrte dem anderen nach. Einem Menschen, der für ihn kein Fremder war, kein Mann, sondern Hoseok, vielleicht ein Freund.

Taehyung wusste nicht, ob er den anderen wirklich schon als Freund betiteln durfte. Er hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, was einen Freund aus machte. So wie damals bei Jungkook, als er ihn stumm verstand. So wie er ihn jetzt verstand.

Taehyung wusste, das der andere Zeit brauchte.

Jetzt.

Für ein paar Minuten.

Ganz allein für sich.

Also ließ er ihn in den Abend gehen, vorangehen. Taehyung würde später den Schienen einfach folgen können und Hoseok auf der Plane liegend vorfinden.

„Du hast dir einen sonderbaren Freund ausgesucht", meinte Seokjin und bot Taehyung eine Brezel an. Dankbar nahm Tae das Essen an und biss herzhaft hinein. Das hatte er gebraucht.

„Vielleicht", antwortete er kauend und lehnte sich zurück.

Das Zwitschern, der letzten Vögel an diesem Abend drang an seine Ohren und erinnerte ihn an den Morgen bei Yoongi. Er war kein Eindringling mehr. Keiner, der Hoseok zur Last fiel. Sie waren ein eingespieltes Team geworden, Plane hinlegen, Schlafsäcke ausrollen, einpacken, kochen, Geschirr spülen, ...

Die Art wie Taehyung die letzten Wochen verbracht hatte, die kleinen Begegnungen dazwischen. Es tat gut.

Es tat vor allem gut jetzt auf Seokjin zu treffen. Einem Teil seiner Kindheit. Seiner unbeschwerten Kindheit, in der es für ihn noch keinen gewalttätigen Vater daheim gab. Keine Mutter, die nur halbe Sätze sprach und ihn zum Schutz so häufig nach draußen brachte.

Es war nicht alles gut.

Taehyung wusste das jetzt. Er akzeptierte das jetzt.

„Deine Mutter hat dich sehr geliebt, leider genauso sehr wie sie ihn geliebt hat."

„Ich weiß. Sie hatte immer die Hoffnung auf eine Familie mit ihm, aber für mich ist er keine mehr, war er noch nie wirklich."

Vielleicht wurde es langsam für Taehyung Zeit, noch etwas anderes zu akzeptieren, aber dafür, würde er Kraft brauchen.

Kraft, die er allein nicht hatte.

Doch wofür hatte man Freunde?

TrainwayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt