Beste Feinde (3|4)

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Einige Augenblicke lang starrte Ludvik mich nur an, dann wandte er sich ab, machte ein paar Schritte zurück in den Korridor, zerzauste seine Haare, strich über seinen Bart und kam schließlich zu mir zurück. 

Er sah aus, als wäre in vergangenen Sekunden um mindestens zehn Jahre gealtert.

Ich setzte zu einer Erklärung an, aber er hob mahnend den Zeigefinger und ich brach ab, ohne ein Wort zu sagen. Geduldig erwartete ich seinen Rüffel. Doch der blieb aus.

»Dein Alben-Prinz ist nicht wirklich gekommen, um dich zu töten, oder?«, fragte Ludvik.

»Ich denke nicht«, antwortete ich.

Ludvik seufzte schwer und hob den Blick zur Decke, als wollte er irgendwelche himmlischen Mächte um Beistand anflehen.

»Und er ist auch nicht wirklich ein Prinz«, schob ich hinterher. »Mehr ein Lord.«

»Hat seine Anwesenheit irgendwas mit den Ereignissen in Albenheim zu tun?«

Ein Teil von mir wollte erneut in Tränen ausbrechen, aber ich war ausgetrockneter als die Gallwüste in Sandalusien. »Woher weißt du davon?«

»Ich weiß gar nichts«, murmelte Ludvik. »Aber als ich am schwarzen Schlund war, haben wir Gerüchte gehört. Dass in Albenheim irgendetwas Dramatisches vorgefallen wäre. Irgendetwas mit Auswirkungen auf die Thronfolge.«

»Und wann wolltest du mir das sagen?«

»Ich bin ja gestern erst zurückgekehrt«, beschwerte sich Ludvik. »Und nach dem Vorfall im Pittapott schien es mir nicht mehr so wichtig zu sein.«

»Hast Recht«, murmelte ich. »Tut mir leid.«

Ludvik sah mich ernst an. »Wieso ist dein Alben-Lord-« Er sprach das Wort aus wie eine ansteckende Krankheit. »-wirklich hier?«

»Offenbar soll er mich nach Albenheim bringen.«

»Nur über meine Leiche.«

»Du verstehst das nicht.« Ich deutete zur Außenmauer, hinter der wir den Sturm heulen konnten. »Das da draußen ... das ist meine Schuld.«

Ludvik runzelte die Stirn. »Deine Schuld?«

»Eldastin denkt, dass die Vindr wegen mir gekommen sind.« Ich konnte Ludvik seine Verständnislosigkeit ansehen. Offenbar hatte er wirklich nur vage Gerüchte gehört und keine Ahnung, was meiner Familie zugestoßen war. Also bemühte ich mich um eine Erklärung: »Mein Vater und meine Geschwister sind tot. Das heißt, sie liegen im Sterben. So genau habe ich das nicht verstanden. Man vermutet irgendein Gift oder ein Niederling-Talent. Und jetzt soll ich die nächste Königin der Alben werden.« Die Worte sprudelten ohne Pause aus mir heraus, sodass ich erst einmal nach Luft schnappen musste. Es fühlte sich jedoch unglaublich befreiend an, Ludvik von meinen Problemen zu erzählen. »Deswegen ist Eldastin hier«, setzte ich nach und musterte Ludviks Gesicht, in der Hoffnung, darin irgendeine Reaktion ablesen zu können.

Ludvik schien einen Moment zu brauchen, um alles zu begreifen, dann kam er auf mich zu und nahm mich so fest in die Arme, dass ich fast an seinem enormen Bizeps erstickt wäre. Er stank nach ungewaschenem Niederling, gegerbtem Leder und Schwefel. Aber das war egal. Auch dass ich Körperkontakt nicht mochte, war egal. Ich schlang die Arme um seine Taille, presste meine Nase gegen die schuppenartig angeordneten Lederplatten seines Brustpanzers und weinte in der vertrauten Sicherheit seiner Umarmung die allerletzte Träne, die ich in mir trug.

»Ich wünschte, Bruin wäre da«, hörte ich Ludvik murmeln.

»Wieso?«

»Sie wüsste jetzt das Richtige zu sagen.«

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