siebenunddreißig

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Austin begleitete mich in mein Zimmer und als ich mich auf die Bettkante setzte, ließ er sich mir gegenüber auf dem Schreibtischstuhl nieder.
Wir waren gerade aus dem Krankenhaus zurückgekommen. Meine Platzwunde war genäht worden und ich hatte Medikamente gegen den Schwindel bekommen. Die Ärzte haben allerlei Tests und Untersuchungen durchgeführt und mir danach versichern können, dass ich abgesehen von der Platzwunde nur eine leichte Gehirnerschütterung und einen Bluterguss von Brandons Schlag davongetragen hatte. Langsam ging es mir auch schon besser.
Nikita waren trotzdem beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen, als er mich gesehen hatte. Er arbeitete meist von zu Hause aus und ich war ihm direkt in die Arme gelaufen.
Sofort hatte er mich ausgefragt, was passiert sei, aber ich war nicht in der Laune, mir sein gespieltes Mitleid anzuhören.

"Danke, dass du mich hergefahren hast", sagte ich zu Austin und trank einen Schluck Wasser aus der Flasche, die er mir zuvor gereicht hatte.

"Kein Problem. Ich bringe dir dein Auto nachher noch rum. Soll ich Ben und Blake von der Schule abholen?"

Ich lächelte. Er war so ein guter Mensch. "Nein, das ist nicht nötig, aber danke. Sie können ruhig den Bus nehmen. Ich schreibe ihnen gleich eine Nachricht. Hoffentlich machen sie sich keine Sorgen."

Er fuhr sich durchs Gesicht und rieb sich die Schläfen. "Ich habe mich wirklich erschrocken, als Brandon auf einmal ankam, Beth. Als er ausgeholt hat, konnte ich gar nicht schnell genug reagieren." Eine tiefe Furche zierte seine Stirn.

"Aber es ist doch nichts weiter passiert", versuchte ich, ihn zu beschwichtigen.

Er sah mich mit einem Blick an, den ich ganz genau kannte. "Doch, genau das ist es. Es ist etwas passiert. Guck doch mal in den Spiegel."

Ich stand vom Bett auf und trat an den Spiegel über der Kommode heran. Meine Wange hatte eine dunkle Färbung angenommen und war geschwollen und meine Haare bedeckten nur gerade so die kahle Stelle, die durch das Rasieren entstanden war, damit die Ärzte die Wunde nähen konnten.
Ich sog meine Unterlippe nachdenklich zwischen meine Zähne.

"Wir können es nicht einfach dabei belassen. Dieser Typ läuft herum und denkt, er würde nie Konsequenzen für seine Taten tragen müssen." Ich hörte Austins Stimme hinter mir, während ich bereits auf der Stelle kehrt machte und zielstrebig zum Badezimmer wanderte.
"Und was stellst du dir vor? Soll ich zu ihm marschieren und ihm genauso ins Gesicht schlagen wie er mir?" Ich lachte und meine Stimme klang, als würde ich scherzen, doch ich meinte meine Worte ernst.

Austin folgte mir durch das Ankleidezimmer ins Bad. "Nein, natürlich nicht, Dumpfbacke."
Ich war mir sicher, ich hätte mir einen Klaps von ihm auf den Hinterkopf eingefangen, wäre ich nicht verletzt.

Ich öffnete nacheinander die Schubladen und Schranktüren des Bads. "Und was schlägst du stattdessen vor?"

"Ich denke, wir müssen ihn anzeigen. Das ist die vernünftigste Entscheidung. Alles andere wäre dumm und hindert ihn auch nicht daran, den Vorfall heute zu wiederholen."

Ich dachte über seine Worte nach. Sicherlich würde ich mir Feinde machen, indem ich mit der Sache zur Polizei gehe.
Dann fand ich endlich triumphierend das, nach dem ich gesucht hatte. Ich nahm den elektrischen Rasierer aus dem Spiegelschrank und steckte einen der Aufsätze darauf.
Als ich ihn anschaltete und sein Brummen den Raum erfüllte, hob Austin eine Augenbraue. "Was tust du da?"

Ich zuckte mit den Schultern und hielt ihm das Gerät entgegen. "Ich will keine kahle Stelle am Kopf haben wie mein sechzig Jahre alter Onkel. Nun nimm schon." Auffordernd reichte ich ihm den Rasierer und er nahm ihn widerwillig an.
"Wie du willst."

Er hielt vorsichtig meinen Kopf in die richtige Richtung, um meine Nähte nicht zu berühren und setzte dann den Rasierer an. Als ich den Aufsatz auf meiner Kopfhaut spürte und die ersten dicken Strähnen zu Boden fielen, gab es kein Zurück mehr.

Im Spiegel sah ich zu, wie er behutsam den Rasierer über meinen Schädel führte, bis nur noch einige Millimeter meiner Haare zurückblieben.
"Und, wie findest du es?", fragte ich ihn und fuhr mit den Fingern durch meine nun ganz kurzen Haare.

Er legte den Kopf etwas zur Seite. "Ganz ehrlich?" Sein Blick wanderte langsam über mich. "Es sieht heiß aus."

Ich musste lachen über seinen Kommentar, wodurch meine demolierte Wange schmerzte, aber er hob nur abwehrend die Hände. "Du hast gefragt."

Als wir die Haare vom Boden aufgefegt hatten, kamen meine Kopfschmerzen zurück und ich hielt mir die Schläfen.
Austin verfolgte meine Bewegung mit den Augen. "Vielleicht solltest du dich nochmal hinlegen", merkte er an.

Wir gingen zurück in mein Schlafzimmer und ich wollte ihn zur Haustür begleiten, aber er winkte ab. "Leg dich ruhig hin, ich finde den Weg auch allein." An der Zimmertür drehte er sich noch einmal zu mir um. "Vergiss nicht, was zu essen. Du musst auf deinen Kreislauf achten."

Ich lächelte über seine Sorge um mich, auch wenn sie nicht nötig war. "Mach ich, versprochen."

Dann verabschiedete er sich und ich legte mich hin. Als Ruhe einkehrte, ließ das Drohnen in meinem Schädel endlich nach.

Gegen Mittag wachte ich auf und rieb mir erschöpft die Augen. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich eingeschlafen war.
Langsam schwang ich meine Beine über die Bettkante und wollte mir verschlafen durch die Haare fahren, doch ich fasste ins Leere. Diese Angewohnheit würde wohl noch eine Weile bleiben.

Als ich die Treppen hinunter zur Küche ging, um dem Versprechen nachzugehen, das ich Austin gegeben hatte, schien das Haus leer zu sein. Ben und Blake hatten heute ohnehin länger Schule, aber auch Nikita war wohl unterwegs. Erleichtert atmete ich aus.

In der Küche musste ich mich zuerst zurechtfinden. In einem der Wandregale fand ich die Gläser, von denen ich mir eins herausnahm und am Wasserhahn füllte.
Dann öffnete ich den Kühlschrank.
Ich fand allerlei Käse, Aufschnitt und Gemüse sowie Milch und verschiedene Soßen und Aufstriche. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann unser Kühlschrank zum letzten Mal so voll gewesen war.

Weiter unten stand ein mit Frischhaltefolie bedeckter Teller. Darauf war ein Post-it geklebt worden auf dem in geschwungener Schrift "für Beth" stand. Keiner meiner Brüder hatte so eine ordentliche Handschrift, also musste es Nikita gewesen sein.
Neugierig zog ich den Teller aus dem Fach und entfernte die Folie.
Mir kam ein würziger Geruch nach Kräutern, Knoblauch und Chili entgegen. Auf dem Teller befanden sich Nudeln mit Gemüse und etwas heller Soße.

War das vom Abendessen gestern?

Ich beschloss mir keine weiteren Gedanken um diese Geste zu machen und sah mich stattdessen nach einer Mikrowelle um.
Während das Gerät summend seine Arbeit begann, öffnete ich mehrere Schubladen in der Hoffnung auf das Besteck zu stoßen.

Mein Magen knurrte, als ich schließlich
den dampfenden Teller vor mir platzierte und einen Bissen nahm.
Es schmeckte himmlisch. Die Kräuter waren fantastisch kombiniert mit dem fein geschnittenen Gemüse und die Gewürze rundeten die helle Soße perfekt ab.
Wo hatte Nikita gelernt, so zu kochen?
Mir wurde wieder einmal bewusst, wie wenig ich nur noch über ihn wusste.

Der Teller war nach nicht einmal fünf Minuten schon beinahe leer und ich fühlte mich nun mit Essen im Magen wesentlich besser.
Gerade als ich den letzten Bissen nehmen wollte, klingelte es an der Tür.
Zögerlich legte ich die Gabel weg und ging zum Eingangsbereich.

Als ich die schwere Haustür öffnete, blickten kastanienbraune Augen in meine.
Ich wollte gerade zu einem "Hey" ansetzen, da stürzte sie auf mich zu und küsste mich.


I'm gonna show you better || girlxgirl 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt