☆ Kapitel 06 ☆

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Berlin, 15. Mai. 2019

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„Morgen," begrüßte mich Dag mit rauer Stimme, als er zu mir ins Auto stieg. Seinen Rucksack stellte er zwischen seine Füße. „Guten Morgen, Sonnenschein", flötete ich ihm entgegen. Mit einem grimmigen Blick sah er mich an. „Halts Maul", brummte er und schnallte sich an. „Schlecht geschlafen?" Der neckende Unterton war verflogen. „Hmm." Das war Antwort genug. Mit einem leisen Seufzen, stieß ich ihn an. „Passt schon. Können wir los?" Verneinend schüttelte ich den Kopf, erntete dafür einen verwirrten Blick. „Ich habe da noch etwas für Dich", informierte ich meinen besten Freund. Dieser fuhr sich durch die Haare, welche dadurch nur noch mehr abstanden. „Du könntest Mal wieder ein Haarschnitt gebrauchen", merkte ich an. „Mein Friseur hat einen neuen Berufszweig eingeschlagen und arbeitet jetzt als Chauffeur."

„Als Chauffeur verdient man bestimmt auch ein bisschen mehr", entgegnete ich ihm. „Könnte man meinen, aber er macht das pro bono. Er weigert sich sogar Spritgeld anzunehmen. Eine richtige Knalltüte..." Leise lachte ich auf. „Komischer Typ." Zustimmend pflichtete mir Dag bei. Feixend schüttelte ich den Kopf und stieß ihn erneut an. „Bevor wir losfahren, will ich Dir noch etwas geben." Verwirrung breitete sich über seinem Gesicht aus. Doch dann zuckte sein Mundwinkel nach oben. „Ist es heute endlich soweit? Gibst Du mir heute den langersehnten Kuss? Ein Glück, dass ich mir doch noch die Zähne geputzt habe. Ich wäre bereit!" Er lehnte sich in den Gurt und spitzte die Lippen.

„Den bekommst Du heute Abend. Sonst sind Deine Gedanken so vernebelt, dass Du Dich auf nichts konzentrieren kannst. Das wollen wir doch nicht", zwinkerte ich ihm zu. Daraufhin lehnte ich mich nach hinten und mit einem „Tada!", zog ich eine kleine Schultüte hervor. Voller Stolz, legte ich diese auf seinem Schoß ab. Die Schultüte hatte eine pinke Spitze, danach ging die Farbe in ein helles Rosa über und in der Mitte war ein Pferdemotiv abgebildet. „Was zur...", brachte Dag lediglich hervor, ehe er das Teil anhob und voller Skepsis betrachtete. An der Schleife, hatte ich noch einen Bienenschlüsselanhänger angebracht.

Als er diesen sah, brach er in schallendes Gelächter aus. „Ich bin eine Biene", imitierte er mich. „Die darfst Du aber erst heute Abend öffnen!", mahnte ich ihn an und wedelte dabei mit dem Zeigefinger. „Diggah! Du lockst mich mit Küssen und einer Zuckertüte und dann muss ich mich in Geduld üben? Ziemlich uncooler Move!" Er schob die Vorderlippe nach vorne. Grinsend hob ich die Schultern und schnallte mich ab. „So ist das nun einmal im Leben. Aber nun kannst Du Dich auf zwei schöne Ereignisse freuen." Er grummelte etwas vor sich hin, was ich aber nicht verstehen konnte. „Kann ich wenigstens die Viene abmachen?" Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. „Sprachstörung am Start?"

„Nö. Das ist Viene die Biene." Dag puhlte schon leicht an der Schleife rum. „Manchmal bereitest Du mir Kopfschmerzen", scherzte ich lachend. „Klar. Viene kannst Du abmachen. Aber nicht heimlich einen Blick ins Innere werfen." „Mach ich schon nicht", brummte er. Ich checkte noch einmal, ob er wirklich angeschnallt war und fuhr los. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er sich seinen Rucksack auf den Schoß hob. Ich warf einen kurzen Blick zu ihm, gerade war er dabei, den Schlüsselanhänger an den Rucksack zu fädeln. Erneut konnte ich nur mit dem Kopf schütteln, denn eigentlich sollte es lediglich ein Spaßgeschenk sein. Ich wollte einfach nur seine Stimmung etwas auflockern, da ich wusste, dass ihm dieser Schritt große Überwindung kostete.

Die Fahrt verlief ruhig, wir schwiegen. Bis Dag die Stille durchbrach. „Wenn mir der erste Eindruck nicht so wichtig wäre, würde ich mir jetzt eine Tüte bauen" Ich lachte leise auf. „Das würde vielleicht wirklich keinen so guten Eindruck machen", stimmte ich ihm zu. Auf den Joint verzichtete er, doch schien er zumindest eine Dosis Nikotin zu brauchen. Ich spürte einen Windzug und wusste, dass er das Fenster heruntergelassen hatte. „Bist Du heute mit Cappi im Studio?" Ich schüttelte den Kopf. „Nee. Mit Vlad treffe ich mich erst Morgen Mittag. Heute muss ich mich hinter den Beat für Nico klemmen." Es war kein belangloser Smalltalk. „Gab es eigentliche Probleme?" Mein Blick wanderte kurz zu ihm. „Was meinst Du?"

Du bist wie ich, dich gibt's nur einmal ... oder? | A SDP FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt