☆ Kapitel 08 ☆

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Berlin, 16. Mai. 2019

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Nachdem ich Vlad verabschiedet hatte, packte ich meine Sachen zusammen und verließ stolz das Studio. Ich wandte mich noch einmal der schweren Metalltür zu, um diese gründlich abzuschließen. Ich hatte nicht nur einen sehr produktiven Tag im Studio, nein, ich verließ jenes auch zum zweiten Mal in Folge überpünktlich. Mein Angebot, Dag täglich von der Klinik abzuholen, brachte mir selbst immer mehr Vorteile ein. Gut gelaunt stieg ich ins Auto und fuhr los. Selbst das hohe Verkehrsaufkommen konnte meine Laune nicht trüben. Zu meiner Überraschung, erreichte ich die Klinik trotzdem fast Zwanzig Minuten früher. Ich stieg aus, um mir die Beine zu vertreten. „Wenn das nicht mein Held ist." Ich drehte mich der Stimme entgegen. „Na wen haben wir denn da? Hast Du dieses Mal an Dein Feuerzeug gedacht?", grinste ich die dunkelblonde Frau an. Wieder hing eine, nicht angezündete, Kippe zwischen ihren Lippen. „Aus Fehlern lernt man bekanntlich. Außerdem konnte ich mich nicht drauf verlassen, dass mein edler Ritter, in seinem roten Auto, wieder zur Stelle ist und mir bei meinem Problem hilft." Ein Schmunzeln zog sich über meine Lippen, als mir eine Textzeile durch den Kopf schoss.

„Hast du mal ein Problem und kannst keine Rettung seh'n, dann ruf S D P 'cuz this looks like a job for me!" Schlagartig veränderte sich ihr Blick, pure Verwirrung spiegelte sich in diesem wieder. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Ich habe laut gedacht, richtig?", hinterfragte ich meine Vermutung. Überlegend tippte sie sich gegen ihr Kinn, ehe sie verneinend mit dem Kopf schüttelte. „Ich würde behaupten, dass ein kleines Singteufelchen von Dir Macht ergriffen hat", schmunzelte sie belustigt. O Gott, wie peinlich. Ich spürte wie die Hitze meinen Hals hoch kroch und sich meine Wangen verfärbten. „Du hast eine schöne Singstimme", schob sie nach. Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. „Kommst Du mit zur Raucherecke?" Ich warf einen kurzen Blick auf meine Uhr, bevor ich ihr zunickte.

Gemeinsam steuerten wir die Raucherecke an. Ich konnte hören, wie ihr Feuerzeug klickte und sofort schoss ein weiterer Song in den Kopf, welchen ich leise singend zum Besten gab. „Nina, ich bin wieder im Fieber. Ich steh wieder in Flammen und brenne und das schmerzt auf meiner Haut. Nina, ich bin wieder im Fieber. Ich steh wieder in Flammen und verglühe. Ohne Dich geh ich doch drauf." Okay, es ging noch peinlicher. Abrupt blieb sie stehen. „Bis eben, habe ich Dich für einen ziemlich coolen Typen gehalten. Aber Wendler? Wirklich? Das kann ich nicht durchgehen lassen!" Auch wenn sie versuchte ein Pokerface zu wahren, konnte ich die Andeutung eines verschmitzten Lächelns erkennen. „Das verlangt nach einer vernünftigen Wiedergutmachung" Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und überlegte für einen Moment. Nina nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und atmete den Rauch langsam in den Himmel.

„Ich könnte Dir meinen Nachnamen verraten", schlug ich vor. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und ihr Kopf neigte sich leicht nach links. „Inwiefern soll das eine Wiedergutmachung sein?", hakte sie nach. „Vertrau mir", seufzte ich leise aus. „Dann schieß los", forderte sie und erneut widmete sie sich ihrer Kippe. „Stein." Mit einem musternden Blick beobachtete ich sie. „Der Vincent wird also wirklich nicht steinhart, wenn er an Mädchen denkt." Diesen Spruch hatte ich mir, nach der Wendler Geschichte, wohl verdient. „Dein Freund und Du, ihr seid wirklich ein richtig süßes Paar." Was? Verwirrt blinzelte ich. „Mein Freund und ich?" Die junge Frau nickte mir zu. „Als ich zur Klinik bin, habe ich Euch beide in einer innigen Umarmung gesehen und wie ihr Euch geküsst habt. Schon süß." O Fuck. Dag und ich, hatten einfach im Moment gelebt und nicht daran gedacht, dass wir uns in der Öffentlichkeit befinden.

„Ich bin ein Vincent, der bei Mädchen steinhart werden kann." Wow Vincent. Was für ein Einstieg in die geplante Erklärung. „Du hast die Farbe einer Tomate angenommen. Du solltest aufhören Dein Gesicht so angestrengt zu verziehen. Am Ende fließt noch Ketchup aus Deiner Nase." Ich mochte ihren Humor, er erinnerte mich Dags. „Dann müssen uns nur noch um Pommes und Mayo bemühen", versuchte ich mich an einem Konterspruch. „Nicht schlecht, Herr Stein", komplementierte sie meine Worte. „Was ich eigentlich sagen wollte...", räusperte ich mich und lenkte mit meinen Worten auf das eigentliche Thema zurück. „Dag und ich sind kein Paar. Wir sind beste Freunde, seit über zwanzig Jahren. Wir haben einfach nur herumgealbert. So sind wir einfach." Ich zuckte mit den Schultern. „Du hättest Dich nicht rechtfertigen müssen. Ich find's aber n bisschen Schade. Ihr wärt wirklich ein süßes Pärchen" Mittlerweile hatte sie ihre Zigarette aufgeraucht, den Stummel presste sie in den, dafür vorgesehenen, Behälter.

„Das habe ich schon öfter gehört", grinste ich amüsiert vor mich hin. Nina band sich ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und sah mich weiterhin an. „Du bist also wegen Deinem besten Freund hier?" Ich nickte ihr zu. „Richtig. Wie sieht es bei Dir aus?", stellte ich die Gegenfrage, nachdem ich mich mit der Antwort kurzgehalten hatte. „Ich besuche meine Schwester." Besuch? Vermutlich war sie eine stationäre Patientin. „Wie lange ist sie schon hier?", erkundigte ich mich vorsichtig. „Seit letzter Woche... Zuvor war sie in einer anderen Klinik, aber..." Sie ließ den Satz unbeantwortet und zog eine Schulter nach oben. Sie wollte diese Frage, ganz offensichtlich, nicht beantworten. Deswegen kam mir eine Idee. „Wir sollten eine Regel aufstellen." Ihre Augenbraue schoss in die Höhe und misstrauisch beäugte sie mich. „Was für eine Regel?"

Ich fuhr mir durch die Haare. „Wenn wir eine Frage nicht beantworten, setzen wir ein ‚Veto' ein." Kurz dachte sie über diesen Vorschlag nach. „Klingt gut. Dann sollten wir aber noch einen kleinen Twist einbauen. Die darauffolgende Frage muss beantwortet werden." Ein riskanter Twist. „Möglicherweise werde ich es bereuen, aber ... Deal." Sie grinste zufrieden. „Holst Du Deinen Kumpel täglich ab?" Ich nickte ihr zu. „Zumindest habe ich ihm das versprochen und ich bin jemand, der seine Versprechen einhält. Besuchst Du Deine Schwester täglich?" Von ihr war ein schweres Seufzen zu hören. „Sie will es zwar nicht, aber ich habe es mir vorgenommen." Verstehend nickte ich. „Heißt also, dass man sich sicherlich noch das ein oder andere Mal über den Weg läuft und unsere neue Regel auskosten können?" Ihr Grinsen ging in ein herzliches Lachen über. „Davon kannst Du ausgehen. Lassen wir den Fragenhagel folgen... Was machst Du beruflich?"

„Veto", sagte ich viel zu schnell. „Bist Du ein Auftragskiller?" Ich lehnte mich ihr entgegen, automatisch kam sie mir entgegen. „Das darf ich Dir nicht verraten, sonst müsste ich Dich als nächstes auslöschen", teilte ich ihr Verschwörerisch mit. Daraufhin boxte sie mich gegen den Oberarm. „Au", stieß ich theatralisch aus und rieb mir die getroffene Stelle. „Auftragskiller und Pussy? Das passt irgendwie nicht so ganz zusammen, Freundchen!" Extrem trocken verließen diese Worte ihren Mund. Gerade als ich zu einem Konter ansetzen wollte, hielt mich die Vibration meines Handys ab. Entschuldigend sah ich die junge Frau an und holte mein Handy heraus. Dag sein Name sprang mir entgegen.

Auto.

Ich biss mir auf die Unterlippe, denn es passierte selten, dass nur ein einziges Wort von ihm kam. „Ich muss los", sagte ich schnell und sah Nina entschuldigend an. „Du hast einen steinigen Oberarm. Ich muss mir erstmal die Hand verarzten. Mach's gut." Wieder schob sich ein Grinsen über mein Gesicht. „Und ich muss mich von meinem Fieber erholen. Bis Morgen." Ich hob die Hand, ehe ich mich von ihr abwandte und Richtung Auto joggte. Wie ein Häufchen Elend, lehnte mein bester Freund gegen diesem. Prompt schwand das Grinsen von meinen Lippen. Sorge spiegelte sich in meinem Blick wieder, als ich vor ihm stehen blieb. Ich nahm ihn kurz in den Arm, aber als er diese nicht erwiderte, löste ich mich und entriegelte die Tür. Schwerfällig stieg er ins Auto und schnallte sich an. Er wirkte so ausgelaugt. Hart schluckte ich und stieg ebenfalls ein.

„Hast Du Hunger? Wollen wir uns unterwegs noch etwas zu Essen holen?" Mit dieser Frage, startete ich den Motor und fuhr los. „Nee", antwortete er wortkarg. Bisher hatte er noch nicht einmal Anstalten gemacht, sich einen Joint zu drehen oder eine Zigarette zwischen die Lippen zu schieben. Seinen Kopf hatte er gegen die Scheibe gelehnt und die Augen geschlossen. „Machen wir einen Abstecher im Studio?" Konzentriert blickte ich auf die Straße, löste meinen Blick nur kurz, um ihm einen flüchtigen Blick zuzuwerfen. „Kannst Du mich nach Hause fahren?" Es wirkte, als würden ihm selbst diese Worte schwerfallen. „Natürlich." Meine Stimme versagte und ging in ein Flüstern über. Dag verharrte in seiner Position, richtete sich erst auf, als ich in seine Straße einbog. „Bock noch ein bisschen zu zocken?" Verneinend schüttelte mein bester Freund den Kopf. „Ich bin müde und will einfach nur ins Bett."

Das war der längste Satz, den ich heute von ihm vernommen hatte. Eigentlich wollte ich ihn nicht alleine lassen, doch musste ich mich beugen. Das Auto kam zum Stehen, der kleinere löste den Gurt. „Melde Dich, wenn Du reden, schweigen, Musik machen oder zocken willst. Ich bin für Dich da." Dag nickte mir nur zu und öffnete die Autotür. „Ich weiß", hörte ich ihn dann doch noch sagen, als er ausstieg und bevor er die Tür zudrückte. Ich beobachtete, wie er im Hausflur verschwand. Es machte mich verrückt. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Schweren Herzens wollte ich zu mir nach Hause fahren, doch sah ich, dass Dag seinen Rucksack vergessen hatte. Deswegen schnappte ich mir seinen Rucksack, verließ das Auto und nutzte meinen Zweitschlüssel, um mir Einlass in das Mehrfamilienhaus zu verschaffen.

Du bist wie ich, dich gibt's nur einmal ... oder? | A SDP FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt