6. Kapitel {Dienstag, 24. Februar 2015, 1940 Uhr}

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Meine Augen riss ich auf. Ich wusste nicht, wie ich auf diese schockierende Nachricht antworten sollte. Froh darüber sein, dass dieses Etwas kein Serienkiller war sondern nur Thomas? So tun, als ob ich das alles schon wusste und mich nicht aus den Socken haute? Tja, das war eben doch nicht so einfach, wie gedacht.

Es war eine Tortur für mich und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Für einen Moment drückte mich alles auf den Boden. Das Gefühl, zertrümmert und allein auf dem Boden zu liegen, brachte mich aus dem Konzept. Alle schrecklichen Ereignisse, die ich in meiner Vergangenheit ruhten, spielten sich in meinen Augen in Zeitraffer ab. Zu Beginn war das gesamte Bild unscharf, zu meinem Glück fühlte ich jedoch die Umgebung, die Wärme, die Freude sowie die Trauer und konnte somit das Bild vervollständigen. Ich fühlte mehrere Dinge intensiver, in weniger als einer halben Minute, als in den vergangenen 16 Jahren. Unfassbar. Meinen Blick hatte ich auf den Boden fixiert. Die Augen gefüllt mit Tränen. Als ich leicht blinzelte tropfte auch schon das eine salzige Element nach dem anderen auf den Boden.

„Hey, ist alles okay?", fragte mich jemand mit rauer Stimme als ich auch gleich eine Hand auf meiner Schulter spürte.

Ich hob meinen Kopf, wischte die Tränen weg.

„Thomas? Ja", schniefte ich und fragte, ob es normal sei, mich so sensibel zu benehmen.

„Nebenwirkungen des Impfstoffes", meinte er, währenddessen er meinen Kopf auf seine Brust drückte.




Der Impfstoff war nicht der Grund dafür, dass sie so heftig weinen musste. Es waren Gefühle, die tief in ihrem Unterbewusstsein verbirgt wurden.

In jedem Moment, wenn die Emotionen hätten hervorgerufen werden, wurde Avagrace davon fern gehalten oder bekam irgendwelche Injektionen. Sie konnte das Leben kaum spüren. Alles verlief nach Plan. Wenn etwas einmal aus dem Ruder gelaufen war, wurde gleich ein Notarzt gerufen. Ziemlich übertrieben.


Unfair. So kam es auch dazu, dass sie jeden Tag angeblich Konzentrationsstärkende Pillen einnehmen musste. Natürlich waren diese nicht für eine bessere Konzentration, sondern Emotionskiller. Avagrace weiss das bis heute nicht und schluckt dieses chemische Zeug schon seit acht Jahren.

Ich konnte mich nicht länger beherrschen und begann wie ein Wasserfall zu reden.

„Wie du gerade eben erfahren hast, kann ich mich in ein Tier verwandeln. Es sieht dem Tier namens Dahu sehr ähnlich. Ich bin aber ein Einzelstück. Im Pastellparadies werde ich Sir Daven genannt."

Avagrace hob ihren Kopf und schaute zu mir hoch.

„Sir?!", fragte sie mich mit gerunzelter Stirn und kicherte.

„Ja. Schon ziemlich cool, hm?"

„Sir Daven? Wirklich einfallsreich für ein Einzelstück, wie dir."

„Schon ziemlich. Vor allem finde ich das „Sir" sehr kreativ."

„Und wie!", prustete Avagrace und fuhr fort, „Ihr hättet bestimmt den Award für den unkreativsten Tiernamen bekommen!"

Ich gab ein gefälschtes Lachen von mir, anschliessend guckte ich sie genervt an und liess meine Hand durch die Haare gleiten.

„Und du hättest den Award für den schlechtesten Witz des Jahrhunderts gekriegt", gab ich zurück.

„Wenn du meinst", sagte sie in einem provokativen Ton. Ich versuchte ruhig zu bleiben und wechselte das Thema so schnell wie möglich.

„Geht's dir wieder besser?"

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