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. Kapitel, Donnerstag, 26. Februar 2015, 0700Uhr

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Vergangenen Abend brachte mich Thomas nach der Haarrasieraktion noch nach Hause. 
Er war anders als die anderen. In ihm steckte viel mehr, wie ich mir je hätte vorstellen können. Diese Art von Mensch konnte man nicht entziffern. Wie ein kleiner Tresor. Voller Überraschungen und Wendungen. Seine eine Seite robust und stark, die andere zierlich und sanft. Ich hätte niemals gedacht, dass ich, Avagrace Prudence Stramves, das irgendwann einmal tatsächlich sagen würde. Thomas, der geheimnisvolle Typ. Der interessanteste von allen – ein Einzelstück. 
Als ich mit geschwollenen Augen einen Blick auf meinen Wecker warf, sah ich die Zeit. Rot gefärbt und blinkend. Sieben Uhr. Ich nahm mein Handy zur Hand und checkte meine WhatsApp-Nachrichten ab. Shirlie hatte mir geschrieben, heute fände die Schule nicht statt. Die Polizisten wollten sich sicher sein, dass keine Bedrohung im Schulhaus bestand.
Im Tempo einer Schnecke rollte ich aus meinem weichen 1.40 Bett und trottete zu meinem gegenüberstehenden Ganzkörperspiegel und betrachtete mich. Eher war es eine Analyse von mir für mich ausgeführt. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste im ganzen Land? Natürlich Sie, meine Hoheit!
Ich guckte mir mein Gesicht an. Heute siehst du seltsamerweise verdammt gut aus Avagrace, obwohl deine Haare mit einem Vogelnest zu verwechseln waren. Dachte ich gerade Haare?! Meine Haare! Ah! Sie sind zurück! 
Endlich konnte ich wieder meine seidigen Haare fühlen. Ich streichelte mir selbst über den Kopf und posierte aus Spass wie ein Möchtegern-Model vor dem Spiegel herum. 
Mir fiel nach einigen Minuten etwas Merkwürdiges auf. Etwas, wie eine kleine Flamme, entflammte sich an meinem Knie. Es war richtig heiss. Ich war so unter Schock, dass ich nicht die Gelegenheit dazu hatte, zu reagieren. Keine Bewegung machte ich. Das kleine Feuer hatte sich schon bis über meine Oberschenkel verbreitet. Rasant begannen meine Oberschenkel oberflächlich abzubrennen. Innerlich schrie ich. Als ich gerade in mein eigenes Bad rannte und unter die Dusche stehen wollte, um das Feuer auszulöschen, wurde ich wegen des Schocks bewusstlos. Genau vor der Tür kippte ich um. Ich war weg. 


Glücklicherweise hielt ich oft meine Hand an Avagrace's Baumstamm, um ihre Gedanken lesen zu können. Ich tat dies nur um in der Lage zu sein, sie vor den Ungeheuern auf dieser Erde zu beschützten.
Ich bekam mit, wie sie innerlich „Feuer" schrie. Vielleicht zockte sie auch nur ein harmloses Game, was ich zwar eher weniger dachte, aber trotzdem vermutete. Auf einmal hörte ich jedoch keine Gedanken mehr. Das war unmöglich! Keine Gedanken sagten so viel aus wie, du bist tot.
Ohne zu zögern flitzte ich aus dem Paradies, riss die Hüttentüre auf und rannte bis zu Avagrace's Zuhause. In der Einfahrt stand kein Auto, was zu bedeuten hatte, dass ihre Eltern schon zur Arbeit gefahren waren. Ich konnte nicht anders und drückte die silberne Türklinke herunter. Als ich einen Schritt ins Haus machte, wurde mir mulmig. Ich fühlte mich wie ein Einbrecher oder so etwas in dieser Richtung. 
Als erstes lief ich zügig im ganzen ersten Stock herum. Keine Spur von Avagrace. Dann entdeckte ich rechts vom Eingang eine Treppe, die hoch in den zweiten Stock des Hauses führte. Meinen rechten Fuss setzte ich auf die erste Stufe und schon war ich oben angekommen. Alle Zimmertüren waren zu gezogen, nur eine nicht. Wahrscheinlich war das Avagrace's Reich.
Langsam begab ich mich in ihr Zimmer. Mit meinen Augen blinzelte ich vor Nervosität schon unglaublich oft. Verzweifelt kratzte ich mich an meinem Nacken und schaute mich in ihrem Zimmer um. Da! Auf dem Boden. Vor der Tür, auf dem Boden ihres persönlichen Badezimmers, lag sie bewusstlos. Ihre Haare waren wieder gleich lang wie gewohnt. An ihren Beinen erkannte ich riesige Brandflecken. Blutig. Die Oberschenkel sahen am schlimmsten aus. Ich war entsetzt. Einen Atemzug nahm ich. Nach einer feinen Decke, die sich auf ihrem Bett ausbreitete, griff ich und fiel neben ihr auf meine Knie. Mit viel Gefühl hob ich ihren Rücken und wickelte sie in die türkise Fleece-Decke ein. Ich nahm sie auf meine Arme, dann verliess ich ihr Zimmer. Die hinunter führenden Stufen sah ich nicht recht, da Avagrace im Weg war. Um Stolpern zu verhindern, sass ich auf die Treppe mit Avagrace auf meinen Armen, dann liess ich mich hinunterrutschen. Schmerzhaft für meine Beine.
Unten angekommen stand ich vorsichtig auf und trug Avagrace durch den Türrahmen, der ins Freie führte. Vor ihrem Haus sah ich ein fremdes Auto. Entweder würde ich dieses Auto ausleihen oder Avagrace würde nicht mehr geheilt werden können. Wofür ich mich entschied, war ja wohl ziemlich offensichtlich. Somit schlenderte ich zum roten Auto, währenddessen ich spürte, wie meine Kehle kratzte. Wasser! 
Mir blieb keine andere Wahl als einfach mehrere Male in die Autotür zu kicken, bis sie von alleine aufsprang. Meine Angst konnte bestimmt selbst Avagrace spüren. Ich wollte nicht verhaftet werden, aber für den einzigen Atreuses wäre in diesem Moment wirklich alles wert gewesen. 
Ein Knirschen ertönte und die vordere Tür des Beifahrersitzes fiel auf. Ich bückte mich und zog meinen Kopf ein, um Avagrace hinein zu setzen sowie anzugurten. Damit ich nicht noch eine Tür demolieren musste, stieg ich über Avagrace in den Fahrersitz und schloss die geknackte Autotür anschliessend. 
Scheisse! Ich hab ja gar keinen Schlüssel ...☹
Das suchen ging weiter. Diesmal nach einem Autoschlüssel. Na toll! Vor Avagrace's Knien gab es ein Fach. Du bist meine letzte Hoffnung! Ohne, das ich sie berührte, öffnete ich das Fach. Ich durchwühlte den ganzen Kram, der sich darin befand. Heute war mein Glückstag. Wie dumm musste man nur sein, um einen Autoschlüssel im Auto zu lassen?! 
Ich steckte den Schlüssel ein und startete den Wagen. Lautes Brummen ertönte. Mit einer Hand lenkte ich, mit der anderen drückte ich Avagrace sanft an den Sitz. 
Ich fuhr bis in den hinteren Eingang des Waldes, drückte auf die Bremse und schaltete dann den Motor aus. Ich machte erneut einen grossen Schritt über Avagrace. Was ist nur mit ihr geschehen.
Den Gurt löste ich von ihr und nahm sie samt Decke auf meine Arme. Die Zeit verging wie im Flug. 
Bis zur Hütte zu gehen wäre Zeitverschwendung. Mit diesem Gedanken legte ich sie auf die saftig grüne Wiese, die geschätzte 30 Meter von uns entfernt war.
Eigentlich hätte ich auch gleich den Krankenwagen rufen können. Das nächste Krankenhaus ist aber ziemlich weit von hier entfernt. Aus Erfahrung wusste ich auch, dass diese immer eine Ewigkeit brauchten, bis sie einen abholten. 
Mir blieb nur eines: Die verbrannten Stellen mit Dahu-Erbrochenem einzuschmieren. Tönt eklig, ist aber sehr angenehm. Es heilt Verletzungen, duftet gut und sieht dazu noch schön aus. 
Ich übergab mich auf Avagrace's verbrannten Oberschenkel. Das glitzernde Heilmittel floss in die feinsten Hautfalten. Sekunden, Minuten und Stunden vergingen. Nach wie vor lag sie auf der Wiese. Ihr Herz schlug, aber wieso öffnete sie die Augen nicht? 
Öffne deine Augen!

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 18, 2015 ⏰

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