Da ich mir fest vorgenommen hatte, herauszubekommen, was Jones eigenartigen Wandel ausgelöst hatte, folgte ich ihm, als er nach dem Kampftraining das Gelände der Akademie verließ.
Aline hatte ich kurz zugeraunt, dass ich das Elementartraining heute schwänzen würde, und sie den beiden Lehrerinnen weismachen sollte, mir ginge es nicht so gut.
Bisher hatte ich Jones erst ein einziges Mal am Wochenende die Akademie verlassen sehen und doch konnte es natürlich sein, dass er bloß einige Besorgungen in der Stadt zu erledigen hatte.
Doch das mulmige Gefühl, dass etwas im Busch war, ließ mich einfach nicht mehr los. Und so schüttelte ich meine Bedenken ab und folgte ihm möglichst lautlos - was schwieriger war als gedacht. Denn Jones bewegte sich so geräuschlos, wie ein Raubtier auf der Jagd und schien gleichzeitig mit wachsamen Blick seine Umgebung zu überwachen.
Zu meinem Glück konnte ich mich durch meine Kräfte im schattigen Wald nahezu unsichtbar machen und blieb den gesamten Weg über in sicherem Abstand zu Jones.
Als wir die Stadt erreichte, konnte ich mich nicht mehr auf den Schutz der Dunkelheit verlassen, mich dafür jedoch unter die Masse der Bewohner Salems mischen und ihm weiterhin unauffällig hinterherspionieren.
Als auf einmal ein dunkler Wagen mit getönten Scheiben neben Jones hielt, blickte sich der Leiter der Nyx kurz prüfend um, ehe er eilends einstieg.
Ich duckte mich hinter ein anderes Auto, um nicht von ihm gesehen zu werden und konnte so - als ich wieder hinter meinem Versteck hervor kam - nur noch sehen, wie sich die Rücklichter des Wagens immer weiter in Richtung des nördlichen Stadttors entfernten.
Frustriert stieß ich die Luft aus.
Zwar wusste ich jetzt, dass etwas faul sein musste, war jedoch ansonsten keinen Schritt weiter.
Jones hatte keine Angehörigen, zu denen er Kontakt hatte, und ganz sicher auch keine Freunde. Wer also holte ihn an einem Freitagabend in einem mysteriösen Wagen ab?
So sehr, wie Jones darauf bedacht war, dass ihn niemand sah, konnte er doch nur irgendetwas Gravierendes zu verbergen haben...!
"Shadow?!"
Der tiefe Männerbass holte mich aus meinen Gedanken.
Verwirrt blickte ich mich um und entdeckte Harry vor einer Bar mit violetten Neon-Leuchtschildern.
Er musterte mich ebenso überrascht, wie ich ihn.
"Müsstest du nicht beim Elementartraining sein?", fragte er mit gerunzelter Stirn und lief zu mir herüber.
Ich grinste schuldbewusst.
"Schon möglich"
Harry schmunzelte.
"Kein Sorge, ich werd's nicht weitersagen"
Ich nickte.
"Und was tust du hier?", hakte ich neugierig nach.
Harry zuckte die Schultern. "Mich ein bisschen unter die Leute mischen, vielleicht ein paar Freunde treffen und ein paar Bier trinken oder mich in einen Showkampf verwickeln lassen..."
Er stockte. Wahrscheinlich dachte er an den Kampf mit Jones zurück - wenn man diese Demütigung denn als Kampf bezeichnen konnte.
"Tut mir leid, dass Professor Jones vorhin so durchgedreht ist und du das abbekommen hast", murmelte ich.
Harry schenkte mir einen dankbaren Blick. "Ich weiß auch nicht, was neuerdings mit ihm los ist", sagte er gedankenverloren und mehr zu sich selbst. "Dass er von den Unruhen und den ganzen Verhaftungen besonders getroffen ist, ist ja verständlich. Und wahrscheinlich bereut er es auch, Adamond hinter sich gelassen zu haben, aber...!"
Er unterbrach sich selber mit einem Kopfschütteln.
"Wieso ist er nach seiner Zeit an der Akademie nicht nach Adamond zurückgekehrt?", fragte ich.
"Oh, doch, das ist er", widersprach Harry. "Aber er kam nach einigen Jahren zurück und bewarb sich sehr plötzlich auf die Stelle als Leiter der Nyx. Und da diese schon einige Zeit frei war, seitdem sich sein Vorgänger zu Ruhe gesetzt hatte, wurde er an der Akademie mit offenen Armen empfangen. Schließlich finden sich Nyx, die freiwillig als Lehrer an einer der Akademien unterrichten wollen, eher selten."
Gebannt folgte ich seiner Erklärung, wobei ich darauf achtete, nicht zu interessiert zu wirken.
"Hat es niemand hinterfragt, dass er zurück an die Akademie gekommen ist?", hakte ich in beiläufigem Tonfall weiter nach.
"Doch, schon", antwortete Harry. "Er hatte soweit ich weiß keine einfache Schulzeit. Ich habe mich immer gewundert, wieso er ausgerechnet an diesen Ort zurückgekehrt ist. Aber dieser Mann ist nun einmal undurchschaubar - eine Eigenart mehr oder weniger lässt da keinen so viel drüber nach grübeln"
Er schnaubte grinsend.
"Sag ihm das bloß nicht ins Gesicht, sonst fackelt er womöglich noch aus purer Frustration die Schule ab", merkte ich trocken an.
Harry lachte schallend.
"Zuzutrauen wäre es ihm!"Nachdem ich mich von Harry verabschiedet hatte, der daraufhin im violett leuchtenden Eingang der Bar verschwunden war, machte ich mich langsam auf den Weg zurück zur Akademie.
Mein missglückter Beschattungsversuch deprimierte mich immer noch ein wenig, aber immerhin hatte ich so dem Elementartraining entgehen können, bei dem wir aktuell nur einschläfernde Vorträge von Professor Morgan zur theoretischen Vorbereitung auf unsere Prüfungen zu hören bekamen.
Als ich den Flügel der Nyx erreichte, dröhnte mir laute Musik entgegen und ich vernahm eine Mischung aus Gegröle, Gelächter und ein paar Leuten, die irgendeinen Pop-Song lauthals - und eher schief - mitsangen.
Unauffällig versuchte ich mich durch die kleine Eingangshalle zu meinem Zimmer zu schleichen, doch Flynn hatte mich bereits entdeckt und lief mit zwei Flaschen Vodka in der Hand auf mich zu.
"Was hast du denn schon wieder getrieben?", fragte er und drückte mir eine der Flaschen in die Hand.
"Hier. Probier mal! Das ist das richtig gute Zeug. Max hat es von seinem Dad geklaut"
Auch Lauren, die brünette Nyx mit den vielen Piercings im linken Ohr, die mir seit meinem ersten Tag an der Akademie wie eine verrückte Stalkerin hinterherlief, steuerte nun auf mich zu. Im Schlepptau hatte sie eine Gruppe älterer Mädels.
"Hi, Shadow", lallte sie grinsend. "Wir haben uns ja seit den Ferien kaum gesehen!"
Ich seufzte mit einem gequälten Lächeln und warf meinem Zimmermitbewohner einen flehenden Blick zu.
Er gab mir mit einem Nicken zu verstehen, dass er sich schon darum kümmern würde, und stellte sich dann neben Lauren, während er ihr den Arm um die Schultern legte und sein bestes Flirt-Grinsen aufsetzte.
"Wir sehen uns später", murmelte ich und machte, dass ich davon kam.
Ich fand Aline draußen auf dem Trainingsgelände. Hier hatten wir uns vor einigen Monaten getroffen, um uns heimlich aus der Akademie zu schleichen. Damals hatte sie mir noch nicht vertraut und ich hatte sie als verwöhnte Zicke aus der Oberwelt abgestempelt. Und doch hatte mich irgendetwas an ihr angezogen, hatte mich gereizt, es immer wieder mit ihr aufnehmen zu wollen.
"Hey", flüsterte Aline lächelnd und zog mich zu ihr heran. Der Mondschein ließ ihr Haar auf eine gespenstisch-schöne Art und Weise leuchten und das Licht der Akademie spiegelte sich in ihren blauen Augen, wie die Lichter einer Küstenstadt im nächtlichen Ozean.
"Und?", fragte sie ungeduldig. "Erzählst du mir jetzt endlich, was du getrieben hast? Es hat nämlich wirklich keinen Spaß gemacht, dem prüfenden Blick von Minerva ausgesetzt zu sein, während ich eine Ausrede für dich erfinden muss!"
Ich lachte leise. Den strengen Blick, mit dem ihre Mutter sie bedacht hatte, konnte ich mir nur allzu gut vorstellen.
"Ich wollte etwas herausfinden", erklärte ich vage.
Aline hob zynisch die Augenbrauen. "Ach wirklich? Da wäre ich ja gar nicht drauf gekommen"
Schmunzelnd zog ich sie in meine Arme.
"Erzähle ich dir, soweit ich mehr weiß, okay?"
Sie schnaubte.
"Dass du aber auch immer so mysteriös tun musst...!"
"Tja, das ist nun mal meine Natur", entgegnete ich mit einem schiefen Grinsen.
"Und meine Natur ist es, mich über dich aufzuregen?", fragte sie gespielt empört.
"Sieh es mal so: Mit mir wird dir garantiert nie langweilig", gab ich zu Bedenken, wodurch ich mir einen spielerischen - jedoch nicht sonderlich sanften - Hieb gegen den Oberarm einhandelte.
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Dreams of Salem
عشوائيAn der Akademie von Salem zu bestehen, ist schwieriger als gedacht - vor allem für jemanden wie Shadow. Zwar hat er in Aline eine Person gefunden, die ihn besser versteht, als irgendjemand sonst. Doch als ihn seine Vergangenheit einholt und die ganz...