24. Kapitel

362 15 7
                                    

"Shadow!", rief Aline, die mich auf dem Gang entdeckte hatte und mir nun entgegen kam.
Jones warf mir einen warnenden Blick zu, ehe er sich eilig entfernte.
"Oh Gott", entfuhr es ihr, als sie meine Stirn in Augenschein nahm. "Du blutest ja!"
Ich winkte schnell ab.
"Kein großes Ding. Tut nicht mal wirklich weh."
Misstrauisch funkelte sie mich an und verschränkte die Arme.
"Du kommst mit einer Platzwunde am Kopf von deinem mysteriösen Training mit Professor Jones wieder und sagst mir, dass das kein Ding ist?"
Ich seufzte.
"Du übertreibst. Das ist bloß eine kleine Schramme und außerdem..."
Sie lachte fassungslos auf.
"Das ist eindeutig nicht nur eine Schramme! Mann, Shadow, ich mache mir ernsthafte Sorgen, okay?!"
Ich hob beschwichtigend die Hände, was sie jedoch nur noch rasender zu machen schien.
"Lass uns wo ander reden", murmelte ich und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, mir nach draußen zu folgen.
Auf dem Außengelände waren nur eine Handvoll anderer Schüler, doch da ich kein Risiko eingehen wollte, verließ ich kurzerhand mit Aline das Schulgelände.
"Sag mir endlich, was los ist", verlangte meine Freundin und stemmte fordernd die Hände in die Hüften. "Es ist doch schon seit Wochen irgendwas mit dir los - mal abgesehen von dieser Sandman-Sache."
Ich schüttelte den Kopf.
"Es ist nichts. Ich bin bloß gestresst von dem vielen Training mit Jones..."
"Verkauf mich nicht für blöd!", unterbrach sie mich und sah mich mit eindringlichem Blick an.
"Du weißt, wie sehr ich es hasse, wenn man mir nicht die Wahrheit sagt. Aber dafür ist normalerweise eher meine Mutter zuständig", sie schnaubte, "und nicht du!"
Ich schluckte.
"Es ist nicht so einfach, Aline... Ich darf nicht darüber reden. Ich meine, ich vertraue dir ja, wirklich", beteuerte ich.
"Aber?", hakte sie verärgert nach.
"Es ist einfach gefährlich, wenn du davon weißt."
Sie schüttelte entschieden den Kopf.
"Anscheinend ist es eher gefährlich, wenn ich nichts weiß", entgegnete sie und deutete auf die noch immer blutende Wunde.
Ich schwieg, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich Aline meine Situation begreiflich machen sollte - was sie allerdings nur noch wütender zu machen schien.
"Alles klar", zischte sie bissig. "Wirklich unglaublich, was für ein Vetrauen zwischen uns herrscht."
Ihr Stimme triefte nur so vor Zynismus.
"Aline..."
Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu und wandte sich zum Gehen.
Ich biss mir auf die Lippe.
Verdammt!
"Warte", rief ich ihr hinterher, während ich ihr folgte. "Ich werde dir alles erzählen, wenn du mir schwörst, dass du mich nicht versuchst von irgendetwas abzubringen."
Ich wusste, dass sie es niemandem sagen würde, doch mich beschlich das ungute Gefühl, dass sie nicht verstehen würde, was mir die Rebellion bedeutete.
Mit verschränkten Armen drehte sich Aline um.
"Okay."
Nach den richtigen Worten suchend wedelte ich etwas unbeholfen mit den Händen durch die Luft.
"Ich... Jones hat mir..."
Ich schluckte und betete, dass ich ihr wirklich so sehr vertrauen konnte, wie ich es gerne wollte.
"Du weißt ja, dass es in der Unterwelt Aufstände von einigen gibt, die nicht in einem so... privilegierten Umfeld aufgewachsen sind", begann ich. "Die das System umstürzen wollen. Manche lassen ihr Leben für den Wunsch nach Gerechtigkeit."
Sie blickte mich stirnrunzelnd an.
"Die Rebellen haben ihren Hauptstützpunkt in der Stadt, aus der Jones ursprünglich kommt", fuhr ich unbeirrt fort. "Du kannst dir also denken, dass er..."
Ich ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen.
Aline nickte. "Gehört er immer noch zu ihnen?"
"Das ist wohl etwas kompliziert", antwortete ich. "Aber er arbeitet wieder mit ihnen zusammen, wenn es das ist, was du meinst."
"Und hat er dich...?"
"Ja", erwiderte ich und sah ihr fest in die Augen. "Ich war bei ihnen. Und ich werde ihnen helfen. In den Ferien fahre ich in die Rebellenstadt. Von dem Beschluss wird mich niemand mehr abbringen."
Sie nickte abermals und ich konnte sehen, wie sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen.
"Es ist gefährlich, oder?", fragte sie schließlich leise.
"Das könnte es werden."
"Aber es ist dir das wert?"
"Definitiv", murmelte ich. "Ich muss das einfach tun."
Sie schwieg einige Momente.
"Okay", sagte sie dann. "Ich werde dich nicht daran hindern."
Ein sanftes Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. "Solange du mich nicht daran hinderst, mit dir zu kommen."
"Aline...", seufzte ich.
Sie wusste nicht, was sie da sagte.
"Keine Widerrede", entgegnete sie und ahmte dabei den strengen Ton von Professor Morgan nach.
Ich lächelte und zog sie an mich.
Ich hätte es wissen müssen.
Aline war genauso stur, wie ich - wenn nicht sogar viel dickköpfiger.
Aber wir würden das schon durchstehen. Schließlich hatten wir einander.

Zwei Wochen später, am letzten Schultag, stand der jährliche Winterball an. Dadurch, dass die Nyx den Fraktionswettbewerb gewonnen hatten, war der Speisesaal in Schwarz gehüllt und wurde von Kronleuchter erhellt, die die Form von dunklen Rosen hatten. Auch die Glühwürmchen, die sonst nur im Flügel der Nyx zu finden waren, schwirrten umher.
Die langen Tafeln und Bänke waren aus dem Saal verschwunden, wodurch der Raum um einiges gigantischer wirkte.
Der Tradition nach trug ich einen schwarzen Anzug, hatte mich jedoch passend zu Alines langem roten Kleid für ein rotes Einstecktuch entschieden.
Ich warf Argon, der in seinem weinroten Anzug mit den goldenen Abnähern auf den Schultern einfach nur affig aussah, einen triumphierenden Blick zu, als ich an ihm vorbei ging.
"Du siehst atemberaubend aus", raunte ich Aline zu, woraufhin sie sich lächelnd zu mir umdrehte.
Ihr Kleid war vorne etwas kürzer und ließ so den Blick auf ihre langen Beine frei. Der weiche Stoff fiel in sachten Wellen zu Boden und ließ Aline so anmutig wirken wie eine Märchenprinzessin.
"Du siehst auch gar nicht so schlecht aus", erwiderte sie und sah mit einem anerkennenden Blick an mir herab.
Ich schmunzelte.
Während sich nach und nach alle Schüler in dem zum Ballsaal umdekorierten Raum einfanden, trat Professor Morgan mit Harry an ihrer Seite nach vorne. Sie trug unglaublich hohe Absätze, weshalb sie sich wahrscheinlich auch bei dem Kampftrainer untergehakt hatte. Ihr rotes, hochgeschlossenes Kleid funkelte im Licht der Kronleuchter. Ihr folgte Professor Rutherford, die in ihrem dunkelgrünen Hosenanzug mindestens genauso schick aussah, wie Alines Mutter. Der Einzige, der einen seiner üblichen schlichten, schwarzen Anzüge trug, war Jones. Andererseits wirkte der Leiter der Metis neben ihm weitaus unpassender für einen pompösen Ball in seinem seltsamen langen, weißen Mantel.
Professor Morgan räuspert sich, um die Aufmerksamkeit der Schülerschaft zu erlangen.
"Ein weiteres, erfolgreiches Jahr an der Academy of Salem neigt sich nun dem Ende zu. Wir wollen das vergangene Schuljahr mit dem alljährlichen Winterball zelebrieren und gratulieren allen Schülerinnen und Schülern zu den bestandenen Prüfungen", verkündete sie. "Ich wünsche euch allen einen wunderschönen Abend - und ab morgen natürlich erholsame Ferien." Sie schmunzelte und ließ den Blick über die Schüler wandern.
"Der Winterball wird nun vom diesjährigen Gewinner des Fraktionsturniers eröffnet. Shadow...? Bitte komm nach vorne."
Ich setzte ein schiefes Grinsen auf und hielt Aline meinen Arm entgegen. "Darf ich bitten?"
Lächelnd hakte sie sich bei mir unter, ehe wir uns einen Weg zur Mitte des Raums bahnte, um die sich alle anderen versammelten.
Etwas nervös blickte Aline mich an, während ich lässig eine Verbeugung andeutete. Ein paar der Nyx jubelten mir zu und ich hörte Eve irgendwo begeistert quietschen.
Die ersten Takte eines langsamen Lieds ertönten und ich legte eine Hand an Alines Schulterblatt, während ich mit der anderen die ihre ergriff.
"Ich bin froh, dass uns unsere Wege hierher geführt haben", flüsterte ich so leise, dass nur Aline mich hören konnte, während wir uns langsam zum Takt der Musik hin und her wiegten.
Sie lächelte und blickte verlegen zur Seite, ehe sie mich angrinste. "Sonst hättest du ja auch auf die weltbeste Tanzpartnerin verzichten müssen", witzelte sie.
"Oh ja, stimmt", erwiderte ich sarkastisch. "Die wunderbare Tänzerin, die ich immer davor retten muss, über ihre eigenen Füße zu stolpern."
"Stimmt doch gar nicht!", protestierte Aline lachend.
Ich wirbelte sie schwungvoll herum und zog sie anschließend in meine Arme zurück.
"Wer ist nochmal der unglaubliche Tänzer von uns?", fragte ich mit einem selbstgefälligen Grinsen.
Sie schmunzelte.
"Angeber!"

Dreams of SalemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt