13. Kapitel

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Nachdem ich herausgefunden hatte, dass Megan nicht nur eine der fünf Anführer der Rebellen war, sondern auch die ältere Schwester von Eve, tat es mir fast ein wenig leid, dass ich mich ihr gegenüber anfangs so selbstgefällig verhalten hatte.
Sie schien mir meine kleine Vorführung allerdings kein bisschen übel zu nehmen und nachdem sie mich in das Wichtigste eingeweiht hatte - was mehrere Stunden dauerte - war Megan mir sogar erstaunlich sympathisch geworden.
Sie war eindeutig die Rebellin ihrer Familie, setzte sich für die Minderheiten der Unterwelt ein und war sogar dazu bereit, ihr Leben für eine gerechtere Welt aufs Spiel zu setzen.
Mein anfängliches Misstrauen kippte in Bewunderung und ich hatte das Gefühl, die Rebellen könnten die Gruppe von Menschen sein, denen ich mich endlich vollkommen zugehörig fühlte. Sogar mehr als es bei den meisten Nyx der Fall war.
"Wie lange kennen du und Professor Jones euch schon?", fragte ich Megan neugierig, während ich ihr durch das Zeltlager der Nomaden folgte.
Sie überlegte kurz.
"Wir haben uns vor etwas mehr als vier Jahren in Adamond kennengelernt. Damals war er noch... ziemlich anders." Sie hielt inne, um einer Gruppe Frauen in schillernden Gewändern vorbei zu lassen.
"Wir kannten uns nicht wirklich lange, aber er hat mir geholfen, mich in Adamond einzuleben und meinen Platz zu finden. Erstaunlicherweise - auch wenn er ein idiotischer Besserwisser sein kann - haben Will und ich uns von Anfang an wirklich gut verstanden. Ich wusste sofort, er ist jemand dem man vertrauen kann."
Ich nickte, während ich Megan aufmerksam zuhörte.
"Aber Will war eben auch etwas naiv und vor allem unbeirrbar in seinen dummen Entscheidungen", fuhr sie fort und schlenderte zum Waldrand. "Es war ein Tiefschlag für uns, ein wertvolles Mitglied wie ihn an unsere Feinde zu verlieren..."
"Er hat euch verraten?!", platzte ich heraus und blieb stehen.
Megan schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, nein. Das hätte er niemals. Lieber wäre er draufgegangen. Aber er hat sich von uns und seiner Familie abgewandt. Hat sich verstellt und versucht ein anderer zu sein. Und als er gemerkt hat, dass das nicht funktioniert", sie legte eine dramatische Pause ein und blickte kopfschüttelnd in die Ferne, "da hatten bereits viele das Vertrauen in ihn verloren. Vor allem aber wohl er selbst. Also ist er an die Akademie gegangen und hat sich vor aller Welt zurückgezogen."
Verwirrt sah ich sie an.
"Und wieso hilft er euch dann wieder?"
Megan zuckte die Achseln.
"Wahrscheinlich haben ihn die aktuellen Ereignisse wachgerüttelt. Er hat wohl erkannt, wo sein Platz wirklich ist. Und als Spion in Salem ist er erstaunlich nützlich, das muss ich zugeben."
Nachdenklich runzelte ich die Stirn.
Jones' Absichten blieben mir weiterhin ein Rätsel.
"Gab es einen Grund dafür, dass er sich von den Rebellen abgewandt hat?", hakte ich nach.
Megan lächelte bitter. "Oh ja. Der wohl häufigste und doch dämlichste Grund für alles im Leben. Liebe."
Überrascht starrte ich sie an.
Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Jones für eine Romanze alles wegwarf - doch dann fiel mir die Frau aus seinen Erinnerungen wieder ein.
Bevor ich Megan weiter ausfragen konnte, trat Jones zu uns.
"Hier seid ihr ja!", stellte er ungeduldig fest. "Ich muss mit dir noch etwas Wichtiges besprechen, Megan. Bevor wir wieder zurück müssen."
Megan nickte und folgte ihm - jedoch nicht ohne mir noch einen letzten vielsagenden Blick zuzuwerfen.

Die Rückfahrt verlief ausgesprochen still, da Jones es leid zu sein schien, bissige Kommentare über Megans Fahrstil abzugeben, und Megan wiederum das Interesse daran verloren hatte, Jones mit seinem panischen Misstrauen gegenüber Motorrädern aufzuziehen.
Unsere Verabschiedung fiel hastig aus und wir liefen eilig zur Akademie zurück. Es war bereits stockdunkel im Wald und ich war wieder einmal dankbar für meine Schattenkräfte. Erstaunlicherweise bewegte sich Jones jedoch ebenso selbstsicher durch die Finsternis wie ich und verursachte dabei kein einziges Geräusch. Dieser Mann war anscheinend wirklich der geborene Rebell. Wortwörtlich.
"Professor?", flüsterte ich leise, bevor wir das Gelände der Akademie betraten.
Kopfschüttelnd legte Jones den Finger an die Lippen.
Ich verstummte, während er mir mit einem weiteren energischen Kopfschütteln zu verstehen gab, dass wir hier nicht offen reden konnten.
Mir brannten immer noch einige Fragen auf der Zunge, doch ich schluckte sie widerwillig herunter und folgte Professor Jones schweigend in die Akademie.
In der Eingangshalle trafen wir niemanden, nur im Flügel der Nyx waren noch einige Schüler, die mir jedoch keine große Beachtung schenkten.
Flynns Schnarchen dröhnte mir entgegen, als ich die Zimmertür leise öffnete. Erleichtert, dass ich nichts würde erklären müssen, ließ ich mich auf mein Bett sinken und streifte meine Kleidung bis auf die Boxershorts ab, ehe ich mich ins Bett legte und einzuschlafen versuchte.
Es war schon etwas länger her, seit ich den letzten Traum von dem eigenartigen, mysteriösen Mann mit den zimtfarbenen Augen gehabt hatte. Doch nun suchte er mich im Schlaf wieder auf - und diesmal schien er viel deutlicher als bisher, nahezu greifbar.
Ich sah die winzigen Fältchen, die seine Mundwinkel umspielten, die dunklen, geschwungenen Wimpern und den schimmernden Kajal, der seine Augen umrandete. Ich war mir sogar fast sicher, ich könnte den Geruch der samtigen, schwarzen Handschuhe wahrnehmen.
Selbst als ich aus dem Traum aufschreckte, hörte ich seine Stimme noch so deutlich in meinem Ohr, als hätte mir jemand die Worte tatsächlich zugeflüstert, während ich geschlafen hatte.
Es war eigentlich noch zu früh, um aufzustehen, doch ich machte mich eilig auf den Weg in den Trainingsraum, um mich möglichst abzulenken.
Während des Trainierens und auch später beim Frühstück kreisten meine Gedanken um Jones und seine Zusammenarbeit mit den Rebellen.
"Hey, ist hier noch frei?", fragte eine mir bekannte Stimme neben mir.
Schmunzelnd sah ich auf und nickte.
"Klar. Für dich immer."
Max und die anderen Jungs johlten amüsiert, während Aline sich neben mich setzte und mich zur Begrüßung küsste.
Ich ignorierte die anderen und betrachtete Aline lächelnd.
"Du hast gestern Abend noch echt lange mit Jones trainiert, oder?", fragte Aline beiläufig, während sie das Essen auf ihren Teller schaufelte.
Ich zuckte die Schultern und wollte gerade von dem Thema ablenken. Doch Max war bereits hellhörig geworden.
"Du trainierst also immer noch mit Jones fortgeschrittene dunkle Magie?", hakte er nach und musterte mich berechnend.
Ich nickte möglichst desinteressiert.
"Ist aber weniger spannend, als ihr vielleicht denkt...!"
Max kniff misstrauisch die Augen zusammen.
"Dann habe ich euch also nicht mitten in der Nacht das Schulgelände betreten sehen?"
Ich schluckte.
"Doch. Jones hat mich gezwungen, stundenlang im Wald zu trainieren. Er war aber anscheinend nicht wirklich zufrieden mit dem Ergebnis."
"So, so", sagte Max und verharrte mit seinen Augen weiterhin auf mir.
"Frag ihn doch selbst, wenn du mir nicht glaubst", entgegnete ich spöttisch. "Vielleicht gibt er dir ja auch Extrastunden, wenn du unbedingt dein Wochenende für öden Unterricht opfern willst"
Max lachte trocken.
"Garantiert nicht!"

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