Kapitel 10 - Wahre Natur

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 „Es ist atemberaubend! Und so... riesig", entgegnet Summer völlig verzaubert von dem Anblick, der sich ihr im vollen Mondlicht bietet. Als sie ihren Blick vom Palast lösen kann, bemerkt sie erschrocken, dass Rune bereits mehrere Meter voraus gelaufen ist.

„Hey!", ruft sie und sprintet dem Wolf im lockeren Schnee hinterher. Als ihr Begleiter die ersten Eisstatuen und -dekorationen passiert, hat sie ihn wieder eingeholt, nur um erneut abgelenkt zu werden von einem gepflasterten Weg, der sich zwischen den zahlreichen Schmuckwerken entlang zu schlängeln scheint. Völlig gebannt bückt sie sich um die seltsamen Steine zu untersuchen, auf denen sie steht.

Die Hand dem Boden entgegen gestreckt, berühren ihre Finger eine samtiges Material, welches weiß und blau im Mondschein schimmert, eingefasst von Steinen, die glatt und glitzernd schimmern.

„Was ist das für ein Material? So etwas habe ich noch nie gesehen", murmelt sie vor sich hin. Doch Rune scheint sie trotzdem gehört zu haben, denn er antwortet amüsiert:

Was glaubt Ihr denn was es ist?... Wir sind hier am nördlichsten Punkt der Erde, hier gibt es fast nur Eis und Schnee."

„Das hier ist alles aus dem selben Material gebaut? Eis und Schnee? Das gibt es doch nicht!"

Und zum Ersten Mal überhaupt, hört sie den Eiswolf lachen, nicht nur in ihrem Kopf, sondern auch körperlich als Wolf. Ein herzhaftes warmes und ausgelassenes Gelächter erklingt in ihren Gedanken und gleichzeitig auch in der Kehle des Wolfs. Was ein bisschen seltsam ist, da sie nie gedacht hätte, dass Wölfe überhaupt Lachen können und dass es dann so ein herzerwärmendes Lachen ist, dass Summer gar nicht anders kann, als mit zu grinsen. Sie ist automatisch davon ausgegangen, dass Runes wirkliche Wolfsstimme rauer und tierischer klingt und nicht, dass sie der Gedankenstimme völlig zu gleichen scheint. Ihr Begleiter ist voller Geheimnisse, muss sie noch schmunzeln und sie nimmt sich vor, ihren Führer durch dieses Abenteuer von nun an öfter dazu zu bringen, so ausgelassen zu sein und so einnehmend zu lachen.

„Warum lachst du?" fragt Summer den Wolf, der sich scheinbar wieder zu erinnern scheint, dass er ein Wolf ist und kein wunderschöner Prinz mit der sie mit seiner guten Laune verzaubert. „Wo ist dieser Gedanke denn jetzt hergekommen?", stutzt Summer innerlich. Wie kommt sie jetzt auf die Idee Rune, diesen grimmigen, besserwisserischen, geheimniskrämerischen Eiswolf mit einem eleganten und warmherzigen Prinzen zu vergleichen? Kopfschüttelnd vertreibt sie den Gedanken, und widmet sich noch immer leicht verlegen wieder dem Eispflaster unter ihren Füssen.

Ich lache, weil ihr noch immer so naiv und ungläubig seid, und dass, obwohl euch schon mehr magische und fantastische Sachen begegnet passiert sind, als irgendeinem anderen Menschen auf dieser Welt!", antwortet er, noch immer mit einem amüsierten Glitzern in den grünen Wolfsaugen. „Wann fangt Ihr endlich an, dies alles hier wahrhaft zu glauben? Was muss ich tun, damit Ihre an euch selber glaubt und Eure wahre Natur akzeptiert?", führt der Wolf jetzt weiter aus, mittlerweile wieder ernst geworden.

Unsicher was sie ihm antworten soll, läuft Summer ein paar Schritte an Rune vorbei und sieht in den Himmel, als würde dieser ihr die Antworten geben, nach denen sie sich jetzt schon so lange sehnt.

„Ich weiß nicht, was oder wer ich bin. Meine erste Erinnerung ist im Waisenhaus. Dank meiner wahren Natur, wie du es so schön nennst, war ich eine Außenseiterin. Immer auf der Hut, dass niemand meine Abnormitäten wahrnimmt, immer darauf bedacht, keinen Verdacht bei meinen Zieheltern zu erregen. Weißt du eigentlich wie anstrengend und zermürbend das ist?", wird Summer immer lauter, bis sie ihn am Ende sogar anschreit: „Was weißt du denn schon von mir oder meinem Leben!? Wo warst du, als die anderen Kinder mich gemobbt haben?! Wo warst du, als ich jeden Winter weinend am Fenster saß und den anderen Kindern beim Schneemann-Bauen zuschauen musste!? Wo warst du, als...!" bricht sie weinend zusammen. Erschrocken weicht der Wolf erst zurück, nur um dann umso näher zu Summer zu gehen und ihr Trost zu spenden, wie er es bereits einmal getan hat.

Es tut mir leid... Es tut mir so unendlich leid... Ihr habt Recht, ich habe versagt. Ich hätte Euch viel, viel eher ausfindig machen müssen."

Schluchzend nimmt sie den Wolf in den Arm und vergräbt ihre Nase in seinem seidigen weichen Fell.

Ich hoffe so sehr, dass Ihr mir meine Unfähigkeit Euch zu finden irgendwann verzeihen könnt", hört sie ihn niedergeschlagen und ausdruckslos in ihren Gedanken.

„Was soll ich tun, Rune? Was erwartest du von mir?", nimmt sie all ihren Mut zusammen und fragt ihren Begleiter, noch immer schluchzend, die Frage, die ihr seit Anfang an auf der Seele brennt.

Seid einfach Ihr selbst, mehr braucht es nicht. Habt den Mut endlich einfach nur Ihr selbst zu sein...", hört sie ihn sanft in ihren Gedanken.

Seine Stimme, die sie von Anfang an als anziehend und tröstlich empfunden hat. Wie könnte sie ihm auch dauerhaft böse sein? Auch wenn er ein ziemlicher Sklaventreiber sein kann, was ihre unmögliche Reise an diesen Punkt anbelangt, so hat er doch immer nur auf ihr Wohlergehen geachtet. Hatte ein bequemes Transportmittel organisiert, sie bereits getröstet und ihr immer Mut zugesprochen. Ohne, dass es Summer bisher bewusst gewesen ist: sie vertraut ihm. Sie glaubt ihm, wenn er sagt, er würde sie niemals verletzten; sie glaubt ihm, wenn er sagt, er beschützt sie; sie glaubt ihm, dass er sich selbst nicht verzeihen kann, sie so spät erst gefunden zu haben. Bestärkt durch dieses neue Bewusstsein, nimmt sie Runes Gesicht in beide Hände und sieht ihm fest in die Augen.

„Ich vertraue Dir. Und ich verspreche dir hier und jetzt, dass ich ab sofort, nicht mehr zweifeln werde an diesem ... Ganzen hier.", macht sie eine Armbewegung in der Luft, die den gesamten Palast und sie beide mit einschließt. „Wenn du an meiner Seite bleibst, dann werde ich die vorbildlichste Winterprinzessin, die die Welt je gesehen hat!", schwört sie feierlich und muss dabei auch ein bisschen grinsen, weil es sich doch etwas bescheuert anhört, es auszusprechen, als nur zu denken.

Rune schaut sie nur schief an und prustet etwas.

Seid einfach nur Ihr selbst, das mit der vorbildlichen Prinzessin überlasst dann doch bitte getrost mir. Ich will mir gar nicht ausmalen, was Ihr Euch darunter vorstellt.", erntet sie ein freches Zwinkern aus den grünen Augen.

"Und lasst uns endlich weiter gehen, ich hab keine Lust hier fest zu frieren!", hört sie als er sich energisch von ihr los löst und entschlossen weiter läuft.

Winter - Die Saga der Jahreszeiten Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt