Kapitel 23 - Distanz

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Ein warmes Gefühl beginnt sich in ihrem Inneren auszubreiten, ausgelöst durch Runes Reaktion auf ihr Aussehen. Entgegen ihrer Annahme scheint sie wohl doch etwas Talent für das Entwerfen von Kleidung zu haben. So wie er sie angesehen hat, muss Sie den Jackpot in Sachen Fashion getroffen haben. Summer grinst in sich hinein, während sie auf den Eiswolf zugeht. Sie muss umwerfend aussehen, wenn er seine nervtötende Beherrschung und Distanziertheit zu vergessen scheint. Und diese Erkenntnis erweckt in ihr noch ein gänzlich anderes Gefühl über das sie jedoch nicht näher nachdenken kann, denn Rune dreht sich bereits um und beginnt durch den nun vor ihm liegenden Durchgang zu laufen.
„Nun, da Ihr angemessen gekleidet sei, können wir aufbrechen", erklingt es neutral in ihrem Kopf.

Da ist er wieder, der Herr Super-Cool. Irgendwie stört es sie zunehmende, dass ihr Eiswolf ständig so, so... sie findet nicht einmal ein passendes Wort dafür. Er hatte sie ja schon immer formell angeredet, aber seit sie über das Wasser gingen, scheint es als hält er mit Absicht eine Distanz zu ihr. Und aus irgendeinem Grund, über den sie sich selbst nicht im Klaren ist, treibt sie das mittlerweile regelrecht in den Wahnsinn! Man sollte doch meinen, da sie von nun an quasi die Ewigkeit oder zumindest eine sehr sehr lange Zeit miteinander verbringen werden, vertraut miteinander umgehen können. Es ist ja nicht so, als wären hier viele andere Menschen, nein, es sind nur sie und Herr-ich-bin-ja-professionell. Ein frustriertes Schnauben entfährt ihr während sie Rune nachfolgt.

Wir werden uns vorher noch etwas stärken. Es ist zwar nicht weit und wir werden dorthin laufen, doch nach Eurer Wandlung wird Euer Körper bestimmt etwas ausgelaugt sein."

Seiner geistigen Samtstimme ist nichts anzuhören von seinem Verhalten vor wenigen Momenten. Summer kann nur seufzen. Diesen Eisklotz zu schmelzen wird eine verdammt harte Arbeit werden!

Eine Stunde später stehen sie vor dem großen Tor, durch das Summer erst Tage zuvor gekommen ist und schlagen den Weg in Richtung der Schlucht ein. Es ist ein wundervoller Morgen, die Sonne scheint klar und sie kann die riesige Schlucht von hier aus fast erkennen. Die Luft ist rein und Sauber, etwas was Summer aus der Stadt, in der sie gewohnt hat, nicht kennt. Und noch etwas fällt ihr auf: trotz der doch leichten Kleidung und der eindeutig vorherrschenden eisigen Minusgrade, friert sie kein bisschen. Zwar hat sie mit Kälte noch nie Schwierigkeiten gehabt, doch bei so extremen Temperaturen hat sie das noch nie getestet. Stolz hebt sie ihr Kinn etwas in Richtung Sonne. Sie ist die wahre Winterprinzessin! Jetzt erst realisiert sie diese Tatsache in Wirklichkeit. Nie hat sie sich das Träumen lassen und sie ist glücklich, dass Sie sich entschlossen hat dieses Abenteuer zu erleben. Rune ist bereits ein paar Schritte vor gelaufen und sie holt ihn schnell wieder ein. Da sie sich ihrer neuen Situation jetzt vollkommen gewahr ist, fallen ihr einige Fragen ein, die sie vorher zu stellen einfach keine Zeit hatte. Auch weil sie schlicht überwältigt gewesen ist und das Ganze hier erst einmal ein Stück weit verdauen musste.

"Rune, erklärst du mir ein paar Dinge während wir unterwegs sind?" weiht sie ihn in ihre Gedanken ein.
„Natürlich, Eure Hoheit. Was möchtet Ihr wissen?"
„Du sagtest anfangs, in diesem Traum, dass es nur eine Winterprinzessin und einen Eiswolf gibt, richtig?"
"Ihr erinnert Euch korrekt, Eure Hoheit. Ich sterbe mit Euch und ich werde wiedergeboren mit Euch."
"Sind die beiden Prinzessinnen vor mir nicht gestorben? Wie konntest du dann überleben?"
"Nun, ich kann hier nur Vermutungen anstellen, da ich keine fundierten Beweise vorliegen habe: Da die junge Dame die Prüfung offensichtlich nicht bestanden und somit keine Wandlung stattgefunden hat, war sie keine Winterprinzessin, sondern lediglich Kandidatin. Und somit ist ihr Tod nicht der Meine." Ein leichter Schatten von Trauer legt sich über seine Miene.
Kurz kommt es Summer in den Sinn, dass diese Frau nicht "versagt" hat, sondern eher die Verantwortung abgelehnt haben muss. Summer hat sich bewusst dafür entscheiden müssen, die Winterprinzessin zu sein. Soll sie ihrem Begleiter davon erzählen, oder ihn besser in dem Glauben lassen, die Andere sei gestorben? Wäre Rune erst recht enttäuscht, wenn er wüsste, dass sie noch leben und ihn somit abgelehnt haben könnte? Unschlüssig wandert ihr Blick über die unberührte Landschaft aus Eis und Schnee, als ein leises Wissen in ihrem Inneren sie davon abhält. Dieses leise Raunen ist ihr vollkommenen neu und doch vertraut, ähnlich des Fallens von Schnee in klirrender Kälte flüstert es, dieses Geheimnis nicht preiszugeben. Die junge Frau erkennt, dass es der Winter ist, der ihr so zu verstehen gibt, was sie tun soll; sie anleitet wenn Sie unsicher ist und ihr mit seinem Rat hilft, wann immer es nötig ist. Er macht dadurch, sein Versprechen deutlich, immer für Summer da zu sein und das Gefühl endlich Zuhause zu sein bemächtigt sich ihrer. Man kann wohl sagen, dass Rune und der Winter ihre wahre Familie ist und sie ist überglücklich, endlich zu wissen wo sie herkommt und wer sie eigentlich ist. Die Winters sind ihre Adoptivfamilie und sie liebt diese sehr. Dennoch sind sie nicht ihre biologische Familie, das wusste sie immer. Jetzt mit dem Eiswolf an ihrer Seite und dem Winter in ihrem Herzen hat sie zum ersten Mal das Gefühl wirklich irgendwo dazu zugehören. Sie beschließt, dem Rat des Winters zu folgen und Rune nichts von dem Ritual auf der Turmspitze zu offenbaren.

Winter - Die Saga der Jahreszeiten Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt