Kapitel 16 - Atemlos

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Summer weiß gar nicht, wie ihr geschieht. In einem Augenblick steht sie da und brüllt Rune enttäuscht und verletzt an und im nächsten Moment wird sie von einer Übermacht an Gefühlen und Erinnerungen überschwemmt. Sie kann sich nicht erklären, woher alle diese auf einmal kommen und kann nur gequält die Augen schließen.

In der nächsten Sekunde wird sie plötzlich umgestoßen und fällt rücklings auf den harten Boden aus Eismosaik. Als sie völlig verwirrt die Augen aufreißt, um zu sehen, was sie so überraschend umgeworfen hat, füllen grüne Augen ihr gesamtes Blickfeld aus. Rune steht auf ihr und nagelt sie mit seinen Pfoten und seinem doch recht beachtlichen Körpergewicht geradezu auf den Platten aus Eis fest. Unfähig sich seinem entschlossenen Blick zu entziehen, beginnt sie sich in diesen unglaublich ausdrucksstarken Augen zu verlieren. Noch nie hat sie so ein intensives Grün in den Augen eines Menschen, Tier oder irgendeinem anderen Wesen gesehen. Jedoch ist es nicht einfach nur Grün: es ist ein sattes Smaragdgrün, durchsetzt mit unzähligen kleinen goldenen Sprenkeln, wie Summer jetzt, so Nahe, erkennen kann. Wunderschön und einzigartig und gleichzeitig voll von Geheimnissen.

Summer ..."

Sie erinnert sich jetzt, dass er sie schon so angeredet hat, als sie Hals über Kopf aus dem Zimmer geflohen ist. Das war mit ein Grund, warum sie, dann doch noch Halt gemacht hat. Rune nennt sie sonst nie bei ihrem Namen, immer nur Prinzessin. So wütend und verletzt sie auch darüber ist, dass er ihr offensichtlich etwas verheimlicht, hat sie doch die ungewohnte Anrede seinerseits wahrgenommen.

Unfähig, sich zu rühren oder zu antworten, kann sie nur abwarten. Runes Blick ist noch immer fest und entschlossen.

Niemals wieder werde ich dir etwas verheimlichen und es tut mir leid, dass ich es getan habe. Du kannst mir weiterhin vertrauen. Ich werde mein Leben für dich geben, wenn es nötig sein sollte. Dein Wohlergehen ist mir wichtiger als das Eigene und ich werde immer da sein um dich zu beschützen und vor jeglichem Unbill zu bewahren. Nur versprich du mir auch eines: Lauf nicht davon ... weder vor dem, was du bist, noch vor dem, wozu du auserkoren bist. Und vor allem ..."

Jetzt wurde sein Blick noch eindringlicher und sie könnte schwören, dass die goldenen Punkte in seinen Augen zu leuchten schienen.

Nicht vor mir ... niemals."

Summers Augen weiteten sich vor Erstaunen. Sie weiß ehrlich nicht, wie sie darauf reagieren soll. Zumal sie sich kaum bewegen kann. Lediglich ihre Arme sind frei und Summer legt sie seitlich an Runes Kopf, um sie dann langsam seinen Hals entlang zu seinen Schultern wandern zu lassen. Als der Eiswolf sie fragend ansieht, kann sie kaum ein Wort sprechen.

„Schwer ...", ist alles, was sie herausbekommt und mit letzter Kraft versucht sie, Rune von sich herunter zuschieben, bevor sie die Augen schließt und gegen die Ohnmacht ankämpft, die der Sauerstoffmangel bei ihr auslöst. Rune steht mit beiden Vorderpfoten auf ihrer Brust und hindert sie daran, tief Luft zu holen. Zuerst schaut Rune deutlich verdutzt drein, als ihm plötzlich der Ernst der Situation dämmert und er, sichtlich erschrocken, mit einem Satz von ihr herunterspringt und sich besorgt neben ihr niederlässt, die junge Frau eindringlich beobachtend.

Als die Last plötzlich von Summers Brust verschwindet, holt sie instinktiv tief Luft und die drohende Ohnmacht schwindet. Leicht benommen setzt sie sich auf, immer noch ausladend atmend um die herrlich frische Luft durch ihre Lungen strömen zu lassen. Als ihr Bedürfnis nach Sauerstoff gestillt ist, dreht sie sich auf die Seite, um ihren Begleiter wieder ansehen zu können.

„Deswegen diese Aktion? Weil du dachtest, ich laufe hinaus in diese Eiswüste, und versuche nach Hause zu kommen?", fassungslos schaut sie ihn an. „Rune... ich wollte lediglich Abstand zu dir bekommen, weil ich gerade verdammt wütend und verletzt gewesen bin. Ich wollte dich nicht um mich haben, und einfach nur etwas laufen um mit meinen Emotionen klar zu kommen! Die Aussicht, dass ich sterben könnte hat mich einfach total überrascht und entsetzt und ich bin von dem Ganzen hier einfach auch noch so ... vollkommen übermannt, ich weiß gar nicht wie ich es benennen soll. Das ist alles verdammt viel zu verdauen und das ich dabei zu Tode kommen könnte, ist mir bisher gar nicht in den Sinn gekommen."

Ein verdutzter Blick aus grünen Augen trifft auf Ihren. Summer hebt Ihre Hand und streichelt den Eiswolf auf dem Kopf zwischen den Ohren.

„Ach, Rune", lächelt sie ihn jetzt an. „Glaubst du ernsthaft, du wirst mich wieder los nachdem du mir diese fantastischen Sachen gezeigt hast und mir Hoffnung darauf gemacht hast, dass ich doch kein totaler Freak bin?"

Ein zufriedenes Grunzen ist die Antwort und Summer entfährt ein kleines Lachen.

„Hey... mir geht es genau wie dir, mein Freund. Ich möchte diese Reise gerne mit dir weitergehen und herausfinden wohin sie mich führt. Ich spüre auch einfach, dass ich hierhin gehöre, es zieht mich die ganze Zeit schon irgendwo hin und macht mich fast wahnsinnig. Und... ich hab dich in dieser kurzen Zeit echt lieb gewonnen und ich fühle mich nicht mehr so einsam, seit ich dich getroffen habe."

Runes Ohren spitzen sich bei Summers Worten und er wirkt auch wesentlich entspannter als noch zuvor. Seufzend steht Summer auf, klopft sich ein paar Eiskrümel von ihren Sachen und sieht zum durchsichtigen Dach hinauf um dieses fantastische Licht zu genießen. Plötzlich ändern sich die Lichtverhältnisse, das Leuchten verschwindet und die Halle wird auf einmal sehr dunkel.

Es wird Zeit für die Prüfung, Prinzessin."

Winter - Die Saga der Jahreszeiten Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt