Kapitel 21 - Neugeboren

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Verwirrt schaut Summer vorsichtig umher, setzt sich langsam auf und untersucht ihren veränderten Körper. Ihre Haut ist immer noch sehr hell im Teint, alabastergleich mit einem leicht bläulichen Ton. Jegliche Muttermale und Narben, welche sie als Mensch hatte, sind verschwunden; ihre Haut ist überall ebenmäßig, glatt und komplett ohne kleine Härchen, selbst ihre Intimbehaarung ist verschwunden wie sie mit einer leichten Verlegenheit feststellt. Ihre vormals schulterlangen Haare sind jetzt so lang und geschmeidig, dass sie sanft über ihre Schultern auf den Altar fließen. Sie sind nicht mehr hellblond, sondern jetzt schneeweiß mit einem eisigen blauen Glanz, welcher durch den Schein des Mondes noch verstärkt zu werden scheint und den Haaren einen fast ätherischen Anblick beschert.

Summer erhebt sich langsam auf ihre unbedeckten Füße und die Haare fallen an ihrem nackten Körper vorbei, fast bis auf den Boden.

Verblüfft über diese Veränderung beginnt sie sich lachend im Kreis zu drehen und die Haare wirbeln wunderschön um sie herum und sinken nur langsam wieder zu Boden, als die junge Frau in der Bewegung stoppt, ganz so als würden sie durch unsichtbare Hände gehalten, die sie langsam durch die Finger gleiten lassen.

Sie fühlt sich wie neugeboren, erfüllt von einer Leichtigkeit und Sorglosigkeit wie sie die junge Frau schon lange nicht mehr erlebt hat. Verschwunden sind ihre Selbstzweifel und die Unsicherheit. Sie weiß jetzt endlich wer sie wirklich ist und wo sie hin gehört. Hier im Norden, in diesen einsamen Eispalast gekrönt durch den ewigen Wintersturm ist sie zuhause, ist ihre Heimat. Nie wieder muss sie sich verstellen oder verstecken, nie wieder wird sie wegen ihrer kalten Haut gehänselt werden, nie wieder wird man hinter vorgehaltener Hand über ihre niedrige Körpertemperatur tuscheln. Jetzt, in diesem Moment, fühlt sie sich endlich frei und vollständig.

Ausgelassen, wie betört, beginnt sie eine volle Runde über die Plattform zu tanzen, am Rande entlang, immer wieder mit der stürmischen Wand kokettierend, kichernd und lauthals lachend. Sie kostet dieses Gefühl in vollen Zügen aus, viel zu lange hat sie darauf verzichten müssen mit dem Wind zu tanzen, der sie immer wieder spielerisch durch die Winterluft schweben lässt, die Schneeflocken um sie herum zu wirbeln und einfach dem Drängen in ihrem Inneren nach Nähe zum eisigen Wetter freien Lauf zu lassen, welches jetzt noch viel stärker und präsenter ist, als vor ihrer Veränderung. Nach einigen Runden voller unschuldiger Freude und dem gänzlichen Hingebens an den Winter endet ihr ausgelassenes Gebaren am Altar und sie fühlt sich nicht erschöpft, ganz im Gegenteil. Summer fühlt sich geradezu belebt und voller Energie und Tatendrang. Mit einem breiten Lächeln steht sie da und betrachtet liebevoll das weiße Treiben um die Plattform herum, da fällt ihr wieder ein, dass sie ja gar nicht alleine ist in dieser Festung des Winters, unten am Fuße des Turms wartet ja jemand auf sie.

„Rune..." spricht sie seinen Namen laut aus und muss erneut lächeln bei dem Gedanken, dass er dieses Mal nicht umsonst wartet. Neugierig was er wohl zu seiner Winterprinzessin und ihrem veränderten Aussehen sagen wird, läuft sie aufgeregt auf den Durchgang zur Wendeltreppe zu.

Leichtfüßig schwebt sie fast die Stufen hinunter, in Windeseile ganz ohne Anstrengung diesmal, um endlich dem Eiswolf die gute Nachricht mitzuteilen.

Vor der letzten Windung hält sie jedoch noch einmal inne, sie kann Runes Anwesenheit hinter der Biegung spüren. Verlegen stellt sie fest, dass ihr Körper ja noch immer völlig unverhüllt ist, nach dem sie auf dem Altar erwacht ist. Doch sie weiß nicht einmal, wo ihre Kleidung hin verschwunden ist, geschweige denn wo sie jetzt auf die Schnelle neue Sachen herbekommen soll. Leicht verzweifelt beginnt sie ihre Haare um sich herum zu drapieren. Als einzige Möglichkeit versucht sie diese so fallen zu lassen, dass zumindest das Nötigste verdeckt wird. Nach wenigen vergeblichen Versuchen gelingt ihr es ihr einigermaßen und vorsichtig, damit ja nichts verrutscht, schreitet sie die wenigen verbliebenen Stufen weiter bis der Eiswolf in ihr Sichtfeld gelangt.

Ihre Gefühle schwanken zwischen Stolz und Unsicherheit als sie ihrem Mentor und Freund entgegenblickt, welcher würdevoll zu ihren Füßen am Ende der Treppe sitzt und geduldig wartet.

Ein einnehmender Blick aus grünen Augen empfängt sie und stolz und sprachlos hört sie ihn in ihrem Kopf wispern:

Eure königliche Hoheit..."

Samtig rollt dieser Titel durch ihre Gedanken und sie spürt gerade zu die Freude, den Stolz und die Erleichterung die Rune angesichts ihrer Wandlung erfüllen.

Berührt durch seine Emotionen bleibt sie wenige Stufen über ihm stehen. Unfähig etwas zu sagen sehen sich die beiden einfach nur in die Augen, gefangen im Moment, beiderseits eingenommen von den Empfindungen des Anderen.

Rune jedoch ist der Erste, der die Verbindung bricht und nach einem schnellen Blick über ihre restliche Erscheinung verlegen den Blick senkt und sich nicht nur im Geiste hörbar räuspert. Fast meint sie auch eine leichte Röte auf den Wangen unter dem dünnen Fell auszumachen, jedoch ist diese schnell verschwunden, so dass Summer sich nicht sicher ist, das wirklich gesehen zu haben.

Ähem, ich.. also... Eure Hoheit wollen vielleicht zuerst Ihre Gemächer sehen um ein passendes Gewand zu finden. Es ist mir eine Ehre Euch dorthin zu geleiten."

Als die Worte in ihrem Kopf verhallen, wird ihr bewusst, dass sich einige der sorgsam hingelegten Strähnen bewegt haben und nicht mehr so liegen wie zuvor und etwas von dem preisgeben, dass Summer gerne bedeckt gehalten hätte. Jetzt ebenfalls verlegen sieht sie zu Boden und nickt einfach nur vorsichtig.

Als Rune sich herum dreht und eine der beiden Türen ansteuert, deren Ziel der jungen Frau noch unbekannt ist, ist sie froh dem Wolf nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. So peinlich wie ihr das ganze jetzt ist, überzieht ihre Wangen bestimmt mehr als nur eine leichte Röte.

Um sich abzulenken, versucht sie sich vorzustellen, wie ihre „Gemächer" wohl aussehen werden. Rune hatte anfangs ja etwas geheimnisvoll getan und gemeint, dass die Räume nicht geeignet seien für einen Menschen. Was wird sie dort denn erwarten? Eine Eishöhle ohne richtige Möbel? Oder ein Raum ähnlich wie die Plattform oben am Turm, leer bis auf den pfeifenden Wind? Muss ja ganz schön unwirtlich sein, wenn es kein menschliches Wesen dort aushalten kann.

Winter - Die Saga der Jahreszeiten Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt