»Ich Musste Weg- Kuss, Anne«

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Da ist dieses Fernweh in mir, und es zieht an mir, zieht an meinem Inneren, und wenn ich diesem Ziehen nicht irgendwann folge, werden sich diese unsichtbaren Fäden des Bedürfnisses nach mehr verheddern, bis ich irgendwann, völlig hilflos, in meinem ruhigen und sicheren Leben ertrinke.

Eines Tages werde ich einfach abhauen. Kein negatives abhauen, sondern ein positives und glückliches abhauen, eins, was ich mein Leben lang nie vergessen, und ohne welches ich wahrscheinlich nie so richtig überleben werde.
Ich werde einen Rucksack mit meinem Portmonee und der Kleidung packen, die ich zur Zeit am liebsten trage. Eine Zahnbürste und Zahnpasta, eine Bürste und Zopfgummis. Ich werde nichts planen, mir nicht überlegen wo ich hin will, mir keine Gedanken über Geld oder Papiere machen.
Es wird spontan sein, wahrscheinlich nachts und ich werde mich oft fragen warum ich das eigentlich gemacht haben, aber es wird früher oder später passieren.
Ich muss einfach weg. Nicht weil mein Leben gerade so anstrengend und kompliziert ist, oder ich etwas schlimmes erlebt habe und ich im hier und jetzt, an genau diesem Ort, immer wieder daran erinnert werde, sondern einfach weil ich weg muss. Ich muss raus aus diesem Alltag und irgendwie, auch mal raus aus meiner Sicherheit. Raus aus meiner Komfort Zone.
Mir geht es gut hier, mir geht es wirklich gut, ich habe alles was ich brauche, Familie und Freunde, Eltern die mich lieben, Geschwister die mir die Welt bedeuten und trotzdem, werde ich eines Tages verschwinden und mich höchstwahrscheinlich nicht mal richtig verabschieden. Nicht weil mir all diese Leute nichts bedeuten, sondern weil ich mich nicht verabschieden will. Es sollte kein Abschied sein, irgendetwas an Abschied ist zu endgültig vorbei, zu sehr mit Trauer behaftet.
Vielleicht werde ich es irgendwann bereuen, die Leute zu verlassen die ich liebe und die mich lieben, mein Leben, so wie es gerade ist, zu verlassen, aber auf Nummer sicher zu gehen und zu bleiben, wird dieses Verlangen nach „einfach raus hier, einfach weg" nicht stillen.
Vielleicht werde ich nichtmal wieder kommen, vielleicht finde ich ganz woanders das, wonach ich suche, selbst wenn ich jetzt noch nicht weiß was das sein wird. Vielleicht suche ich auch einfach mich selbst, vielleicht muss ich, auf der suche nach mir selbst, erstmal aus mir raus kommen und ins jetzt steigen, in das neue Hier und Jetzt, jenes Hier und Jetzt, bei dem ich einfach mal mache, und einfach mal meine Sachen packe, und einfach mal abhaue.

Und wenn dieses Ziehen des Fernwehs eines Tages unvermittelt stärker ist als meine Vernunft, werde ich meinen Rucksack packen, in den nächsten Lkw steigen der mich weg bringt und wahrscheinlich nur einen Notizzettel hinterlassen, mit der Aufschrift: »Ich musste weg, ich werde euch Postkarten schicken, von wo auch immer ich noch sein werde - hab euch lieb, Kuss, Anne«.

Viridiflora-TulpenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt