6 | Claire

91 28 21
                                    

Wütend stapfte ich die letzten Stufen zur Haustür hinauf, sperrte auf und knallte die Tür wieder hinter mir zu

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Wütend stapfte ich die letzten Stufen zur Haustür hinauf, sperrte auf und knallte die Tür wieder hinter mir zu.
Es war nach fünf Uhr, mein Vater hatte mir weder per WhatsApp geschrieben, noch mir sonst irgendwie eine Nachricht zukommen lassen.
Manchmal fragte ich mich, ob er mich wirklich liebte. Ob er sich freute, wenn er mich sah.

Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich war ich nur das kleine, nervige Etwas, dass im Weg herum lag.
Ich stellte die zwei Einkaufstaschen ab. Das Shoppen hatte mich auch nicht aufgeheitert. Ich besaß nun viele mehr oder weniger schöne Dinge, die ich Désirée zuliebe aber natürlich tragen würde und hatte mir einen ganzen Nachmittag Chloéˋs grässliches Gelaber anhören müssen.

Sollte ich jetzt etwas kochen oder nicht?
Entnervt wählte ich die Nummer meines Vaters.
Sofort wurde abgenommen.
„Bonjour?", fragte eine glockenhelle Frauenstimme.
„Salut?", erwiderte ich leicht verstört. „Hier ist Claire, mit wem spreche ich?"

„Ach Claire, wie schön mal von dir zu hören!" Wieder diese Barbie-Stimme, ich konnte mir das Püppchen hinter dem Hörer schon vorstellen.
„Hier ist Marie!" Langsam wurde ich ärgerlich. „Wie Marie? Wer sind sie und warum haben sie das Handy meines Vaters?"
Eigentlich hatte ich nur meinen Vater anrufen wollen, jetzt musste ich mich mit so einer grässlichen Tante rumschlagen.

Ein helles Lachen. „Ach Clairchen, ich bin die Freundin deines Vaters! Hat er dir denn noch nichts erzählt? Naja, er ist ja manchmal etwas verschlossen."
Wieder lachte die Unbekannte, doch ich nahm es nur am Rande war.
Mein Körper fühlte sich einfach nur leer an.

Ein Jahr? Ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter hatte er schon wieder eine Neue?
Eine, für die er seine Tochter täglich sitzen ließ?
Was war mein Vater eigentlich für ein treuloser Arsch?

Ich hörte Püppchen Marie aus dem Hörer mehrmals meinen Namen sagen und legte mit letzter Kraft auf.
Jetzt gab es nur noch einen Ort, der mir die nötige Ruhe geben konnte.

Wie in Trance radelte ich durch die mir so bekannten Straßen, wie Schatten flogen Häuser, Autos und Bäume an mir vorbei.
Ich bemerkte gar nicht, wie schnell ich fuhr, merkte nicht, dass ich mit Hose und Bein am Fahrrad hängen blieb und beides aufriss.
Viel zu sehr war ich aus Welt gerissen, viel zu fassungslos.

Deshalb hat ihn der Tod meiner Mutter nicht so aus der Bahn gerissen.
Deshalb war im alles so egal.
War ich ihm egal.
Deshalb war er nie zuhause und wir hatten trotzdem kein Geld.
„Alles gelogen und betrogen", murmelte ich verstört.

Langsam fügte sich in meinem Kopf ein Puzzle zusammen, dessen einzelne Teile mir schon immer klar waren aber dessen Gesammtbild ich nicht sehen wollte.

Ich erreichte das mir so bekannte Lavendelfeld und warf mein Fahrrad in die Wiese.
Immer noch beinahe blind lief ich durch die Reihen des Lavendels, nur noch darauf aus, mich irgendwo hinzulegen, zu heulen und nicht an meinen Vater zu denken.
Neben einem Baum ließ ich mich nieder und lehnte mich an die raue Rinde.

Langsam liefen mir dicke Tränen die Wangen herunter und ich vergrub mein Gesicht in den Händen.
Ich fühlte mich so betrogen von meinem Vater.
Ich war so unfassbar wütend auf ihn.

Nie hatte ich mir mehr meine Mutter an meine Seite gewünscht, die mich in den Arm nahm und mir beruhigend über den Rücken strich, wenn ich salzige Tränen in ihre Bluse weinte.
Doch meine Mutter war nicht mehr unter den Lebenden.
Mein einziger Erziehungsberechtigter war ein treuloses Arsch.

Ich vergrub meinen Kopf in den Händen und zog mich ganz klein zusammen.
Versuchte auszublenden.
Mich auszublenden aus dieser Welt.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
„Hey, ich bin's Livie", sagte eine Stimme neben mir.
„Alles okay, Claire?"

„Klar", antwortete ich knapp und ohne aufzusehen. Nicht, dass es so wäre. Aber Livie war echt die letzte, der ich mich anvertrauen wollte.
Sie war schließlich nicht meine beste Freundin oder so, ich hatte sogar mit den anderen über sie gelästert. Was machte sie überhaupt hier?
Als ich gekommen war, hatte ich sie nicht gesehen und normalerweise war hier niemand, es war schließlich nur ein Lavendelfeld.

Livie rutschte neben mir auf den Boden und blickte mich schief an. „Sicher?", fragte sie.
Die nachhakende Frage gab mir den Impuls, zu ihr aufzublicken. Warum interessierte sie mein Befinden so?
Livies schmales Gesicht sah auch nicht gerade glücklich aus. Ihre Augen waren rot und die Lippen zusammengepresst. Hatte sie geweint?

Vielleicht war es, weil es ihr auch nicht gut ging.
Vielleicht, weil ich einfach jemanden zum reden brauchte.
Ich wusste es nicht.

Aber plötzlich antwortete ich resigniert: „Nein. Kannst du zuhören?"
Livie schien überrascht von meinem plötzlichen Stimmungswechsel, blickte mich dann aber erwartend an. „Schieß los."

"

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
LavendelträumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt