Safranstaubkussspuren, Knospenkollisionskurs, Irisreinkarnationslied: Ein klarer Fall für die Sprachpolizei, dachte sich Schrödinger, als er den seitenlangen, vor Stilblüten nur so wimmelnden Brief im Stehen wieder mühsam zurück in die Akte friemelte. Irgendwo in der Ferne schlug unermüdlich ein Zaunkönig sein Lied.
Heimlich hatte Schrödinger die Akte an die Ostsee mitgenommen. So urlaubsreif, wie er war, hätte er eigentlich entspannen sollen. Wenn das herauskam, dann war der Teufel erst richtig los. Hoffentlich kam niemand auf die Idee, die Hängeregister in seinem Schreibtisch genauer zu kontrollieren. Entspannen, das sagte sich so leicht. Nur zu gerne hätte er eine Gebrauchsanweisung dafür gehabt, doch so sehr er in sich nachspürte, er kam zu keinem anderen Ergebnis. Schrödinger seufzte tief. Das Leben war eben kein Rosenstrauß und auch kein Bukett voller Sommerblüten. Eher bittersüß und seine Überraschungen fragwürdig.
Wo er die Maßnahme seines Vorgesetzen für sinnlos hielt, hätten ihn andere für die ihm aufgezwungene Auszeit von dem Stress beneidet und vor Freude gejodelt: ein Monat an der See! Einmal den Alltag vergessen, weitab von den öden Trabantenstädten und Berliner Straßenschluchten. Doch die erwarteten Frühlingsgefühle wollten sich nicht einstellen, und das lag nicht daran, dass bereits vor Tagen Schnee gefallen war.
„Erholung am Meer", so hatte sein Chef ihn aus seinem Büro hinauskomplimentiert, „ist genau das, was Sie jetzt brauchen".
Welch banale Erkenntnis! Erst hatte er lang und breit vor sich schwadroniert, dass ihm „sein geschätzter Mann für alle Fälle" gar nicht mehr gefiel und er sich des Eindrucks nicht erwehren könne, die mehr als intensive Zusammenarbeit mit den Kollegen von Interpol im Fall „Lara" wäre keinesfalls spurlos an ihm vorbeigegangen. Dann aber hatte es dem alten Schlawiner gar nicht schnell genug gehen können, dass der Zwangsbeurlaubte endlich verschwand.
„Mensch, Schrödinger, seien Sie doch kein Narr. Oder wollen Sie der nächste sein, der mit Burnout in der Notaufnahme landet? Nur Geduld, wir werden Ihre Beurlaubung und die vielen Überstunden schon irgendwie verwurschteln."
Ja, auf Achtsamkeit legte Haase ganz besonderen Wert. Dennoch hatte er geradezu erleichtert die Tür hinter Schrödinger geschlossen, der sich dann auch prompt folgsam entfernt und seine privaten Habseligkeiten eingesammelt hatte, die er in den nächsten Wochen brauchen würde. Eine Dose Paradeiser, eine Packung Meeresfrüchte aus Schokolade und zwei Bücher über Prag und das Land mit dem Ahornblatt auf seiner Flagge. Er hatte die beiden Reiseführer gerade erst gekauft, nun würde er sie schneller brauchen, als ihm lieb war, auch wenn er in absehbarer Zeit dort nicht hinkommen würde.
Ihn hinausgedrängelt... Wer konnte schon so genau wissen, warum es dem Chef so eilte. Aber das war ja nichts neues. Schrödinger kümmerte es wenig, was man hinter vorgehaltener Hand über Haase, der noch nicht lange diesem Präsidium vorstand, den lieben langen Tag so munkelte. Und gemunkelt wurde viel, wenn der Tag lang war: angefangen beim Schwingen des Tanzbeins zu Klängen aus seinem altertümlichen Radio, über eine Übungspartie zur Verbesserung seines Handicaps mit Hilfe des ausgerollten künstlichen Golfrasens, bis hin zu verstohlenem Bürosex mit der Königin vom letzten Sommerfest, die ihm den Kopf verdreht hatte... alles war möglich. Schrödinger tippte ja eher darauf, dass er sich in die Planung seiner nächsten Chinareise mit dem Moped oder seiner Knutschkugel vertiefte. Die zur Dekoration aufgehängten, für dieses Land so typischen Laternen, rechts und links seiner Aktenschränke, hätten für jeden Besucher Hinweis genug sein müssen. Nach China auf zwei Rädern? Vielleicht versuchte er es lieber mit Zweibrücken...
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Auf Eis gelegt
Mystery / ThrillerEin Zwangsurlaub führt sie zusammen: Er: Schrödinger, Berliner Kommissar, von Überlastung und teilweise aufgeklärten Fällen mit mysteriösem Hintergrund an den Rand des Burnouts getrieben. Sie: Polizistin Maren Fuchs, frustriert und gelangweilt von i...