07 - Der Engel, der ein Teufel war - Teil 2

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„Da lag er vor mir, und ich... ich..." weiter kam Erna Kind nicht.

Ihr Versuch, dem Stuhlkreis zu beschreiben, wie sie ihren geliebten Erwin zusammengebrochen im Kellerdurchbruch gefunden und die bis an den Rand gefüllte Salatschüssel fallengelassen hatte, ging in herzzereißendem Schluchzen unter. Gerade noch hatte sie mit zitternder Stimme geschildert, wie er mit einem Armvoll Rattenfallen ins Kellergeschoss hinabgestiegen war, um den frisch angelegten Vorrat an Kartoffeln zu schützen. Eine Jungratte kam schließlich selten allein, und wo eine war, da war bestimmt ein ganzes Nest. Doch was spielten Nagetiere jetzt noch eine Rolle, selbst wenn sie in Rudeln auftauchen sollten? Sie hatte Erwin unwiderruflich verloren, was kümmerten da Erna noch die Kartoffeln oder gar ihr Kartoffelsalat.

Ratlos blickte der Pfarrer in die Runde, die betreten schaute und nicht wusste, was sie sagen oder tun sollte. Sie alle hatten Erwin gekannt, mehr oder weniger (oder zumindest hatten sie es geglaubt); dass er jetzt so plötzlich von ihnen gehen musste, wo er doch immer gesund und munter gewesen war, das ging den meisten von ihnen über den Verstand. Wahrlich, Gottes Wege waren unergründlich...

Am liebsten wäre Giulia aufgesprungen und hätte dem Pastor für seine salbungsvollen Worte die rote Karte gezeigt. An den Hals gesprungen und gewürgt anstatt geknuddelt... Ja, glaubte der Pfarrer denn, dass sie den Trauernden weiterhalfen? Wirklich nicht! Es reichte, wenn er sie sich für den Trauergottesdienst aufsparte. Dass er den Mord an ihrem Roberto taktvoll ausließ und die blutige Tag nicht auch noch in die Unerforschlichkeit von Gottes Wegen einbezog, hatte ihm im übertragenen Sinne nochmal den Hals gerettet.

 Dass er den Mord an ihrem Roberto taktvoll ausließ und die blutige Tag nicht auch noch in die Unerforschlichkeit von Gottes Wegen einbezog, hatte ihm im übertragenen Sinne nochmal den Hals gerettet

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Skeptisch beäugte Giulia den mit gerunzelter Stirn dasitzenden Schrödinger, wie er in einer Pause zwischen zwei Schluchzern nach ihrer Hand griff und zu tröstenden Worten ansetzte. Worte, die an ihr vorbei rauschten, während sie ihre Blicke durch die Buddelkiste, bis hin zur Tür und wieder zurück zum Verkaufstresen schweifen ließ, hinter dem die blauhaarige Betty Speisekarten sortierte.

Ach, ersetzen wir jetzt auch mal die abgegriffenen Exemplare durch neue? Wurde ja auch langsam mal Zeit, ging es Giulia durch den Kopf. Woher diese Gedanken kamen, wusste Giulia selbst nicht so genau. Jetzt sei doch nicht mal so, schoss es ihr durch den Kopf, schließlich hat das Café erst gestern wieder aufgemacht, und da gibt es sicherlich wichtigere Dinge.

Dennoch pendelte ihr Blick wieder und wieder zwischen der jungen Frau auf ihrem Barhocker hinter dem Tresen und der Tür mit dem noch immer daran klebenden „Geschlossen"-Schild hin und her.

Okay, kann man vergessen abzumachen, und wenn man so will, ist auch ein Trauercafé eine geschlossene Veranstaltung, trotzdem... inzwischen dürfte auch der Letzte begriffen haben, was den Kinds zugestoßen war. Ihr drängte sich immer stärker der Eindruck auf, dass an dem ganzen Arrangement etwas nicht stimmte.

Immer unruhiger huschte Giulias Blick zwischen der kaugummikauenden Betty und dem Türschild hin und her. Reiß Dich zusammen und hör auf, so zu starren... Doch die Selbstermahnung kam um Sekunden zu spät. Mitten im erneuten Blicke-Ping-Pong hob die blauhaarige Servicekraft den Kopf und hielt im Kauen inne, Giulia mit den Augen folgend. Wie in Zeitlupe klappte die junge Frau die soeben erst geöffnete Karte zu und ließ sich träge von dem Hocker herabgleiten und betont langsam und bewusst gleichgültig zur Tür hinüber schleichen. Ein wenig zu langsam, und ein wenig zu gleichmütig, wie Giulia fand. Die Eile, mit der die Servicekraft den Zettel abriss und im Abfalleimer verschwinden ließ, schien so gar nicht dazu zu passen.

Verwirrt wendete sich Giulia wieder der kleinen Trauergruppe zu. Erna schien sich inzwischen wieder gefangen zu haben, dafür aber war es nun an Schrödinger, sich über die Floristin zu wundern. Die verdrehte die Augen in Richtung Betty und gab ihm mit einem vielsagenden Hochziehen ihrer Augenbrauen und kaum merklichen Anheben ihres Kinns zu verstehen, dass er besser daran tat, seine Aufmerksamkeit möglichst unauffällig für sämtliche Anwesenden auf die blauhaarige Serviererin zu lenken. Ihr ganzes Verhalten suggerierte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

Schrödinger wusste zwar nicht, was genau Giulia sich so merkwürdig benehmen ließ und was sie vorhatte, doch er beschloss, ihr Spiel mitzuspielen. Schon stand die Italienerin vor Erna, der die Taschentücher ausgegangen waren und drückte der Witwe ein paar ihrer eigenen in die Hand.

„Geh rüber und lenk Madame Schlumpf ab... aber so, dass sie mich nicht sieht", raunte Giulia ihm leise zu. Das würde sie ihm später erklären müssen. Egal. Irgendetwas war hier faul, und je eher sie herausfanden, was das war desto besser.

Am besten ging er hinüber und verwickelte sie in ein Gespräch über den Punsch, den sie auch am Nikolausmarkt ausschenkten. Den noch in eine der hässlichen Tassen von der Punschbude, geziert von dem Abbild eines Wichtels, gefüllt, und sie konnten das Gebräu als Wunschpunsch verkaufen. Während Betty ihm geduldig Auskunft auf all seine Fragen rund um das kulinarische Thema beantwortete und ihm all die leckeren Zutaten zeigte, die beim weihnachtlichen Verkaufsschlager der Buddelkiste zum Einsatz kamen, schlenderte Giulia zum Papierkorb, als ob sie alle Zeit der Welt hätte und nichts gewesen wäre. Aus dem Augenwinkel konnte er beobachten, wie sie ein angekokeltes Blatt Papier herausfischte und in ihrer Handtasche verschwinden ließ.

Über den abendlichen Himmel zogen irisierende, perlmuttschimmernde Wolken, als Schrödinger am Kirchhof vorbei schritt, zu seiner Rechten ein Marmorengel, der in dem fahlen Licht des untergehenden Mondes wie nicht von dieser Welt, ja geradezu entrü...

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Über den abendlichen Himmel zogen irisierende, perlmuttschimmernde Wolken, als Schrödinger am Kirchhof vorbei schritt, zu seiner Rechten ein Marmorengel, der in dem fahlen Licht des untergehenden Mondes wie nicht von dieser Welt, ja geradezu entrückt, wirkte. Gut, dass es bis zur Blumenhandlung nur noch wenige Schritte waren. Je eher er ins Warme kam, desto besser. Seltsam... hatte der Engel sich bewegt? Ach was, so ein Blödsinn. So ein Seemannsgarn, die ganze Sache nahm ihn anscheinend mehr mit, als er sich eingestehen wollte. Jetzt sah er schon Gespenster, da wo keine waren. Bestimmt war das wieder nur ein Schatten. Im Radio hatten sie erneut ungewöhnlich starke Aktivitäten im Fuhrmann gemeldet.

Er atmete auf, als er endlich die Blumenhandlung betreten und auf Giulias Geheiß das „Geschlossen"-Schild umdrehen konnte, um bei der gemeinschaftlichen Sondierung der Lage im von der Straße kaum einsehbaren Gewächshaus, ungestört zu sein. Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Auf welche Spur Giulia auch immer gestoßen war, nun war es an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. In diesem Fall einen Zettel mit angesengten Rändern. Dieses Pamphlet kannte er doch: „Wegen eines Trauerfalls bleibt die Buddelkiste die nächste Woche geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Ihre Familie Kind".

Und deswegen machte Giulia so einen Stress? Das war das große Mysterium, das sie in Unruhe versetzt hatte?

„Nein, mein Lieber. Nicht die Vorderseite!"

Wie man sich doch irren konnte. Denn es war die Rückseite, auf die jemand drei kurze Sätze gekrakelt hatte:

Ich weiß, was Du vorhast. Aber es wird Dir nichts nützen. Denn ich beobachte Dich ganz genau.

Auf Eis gelegtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt