11 - Matjesgeschwader - Teil 3

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Was für ein Tag!

Maren hatte nur noch einen Wunsch: Zuerst ein heißes Bad, danach noch einen Tee, und dann ab ins Bett. Wäre nicht die Millefiore mit ihrem Gezeter über ihr zerstörtes Gewächshaus gewesen, sie hätte es einen Erfolg auf ganzer Linie nennen können.

Gestärkt durch exzellente Matjesbrötchen, hatte sie mit Feddersen den erneuten Gang zu Gabriels Haus angetreten, doch im Gegensatz zu ihrem Herumstochern in den verkokelten Fragmenten des Erpresserbriefs hatten sie diesmal genau gewusst, wo sie die Schlinge zuziehen mussten. Übertriebene Härte war nicht nötig gewesen, denn so schnell wie Mattes Gabriel eingeknickt war, schien er sie schon erwartet zu haben. Es war jedoch seine gesamte Erscheinung, die Maren schockiert hatte. Das zerknitterte Hemd offenbar schon länger nicht mehr gewechselt, die Augen blutunterlaufen und eine Schnapsfahne vor sich her tragend, so hatte er ihnen die Tür geöffnet. Wie wenig wir einander doch kennen, hatte sie gedacht, denn so hatte sie den Juniorchef nicht in Erinnerung gehabt. Nicht nur er hatte einen verwahrlosten Eindruck gemacht, auch das Haus befand sich in einem ähnlich desolaten Zustand.

„Das habe ich nicht gewollt", hatte er vor sich hin gestammelt, „obwohl er es verdient hatte."

Doch bevor er mit der Sprache herausrücken konnte, hatte plötzlich sein Vater im Wohnzimmer gestanden und das bevorstehende Geständnis verhindert, indem er auf einem Anwalt beharrte. Sie hatten schon schwarz gesehen, dann aber selbst erkannt, dass es in diesem Zustand zwecklos war und ihn trotzdem mitgenommen, damit er in der Ausnüchterungszelle erst einmal seinen Rausch ausschlafen konnte.

Der in der Zwischenzeit in Alarmbereitschaft versetzte Anwalt hatte just in dem Augenblick auf der Matte gestanden, als Gabriel Stunden später wieder vernehmungsfähig gewesen war. Mit Argusaugen von seinem Anwalt bewacht, war es ihnen dann Stück für Stück gelungen, die Wahrheit im Laufe des mehr als holprigen Verhörs aus Gabriel herauszukitzeln.

Seit der Sache mit dem Erpresserbrief, den er bekanntlich nicht geschrieben hatte, war sein Misstrauen gegenüber Silvia gewachsen, hatte aber nicht glauben wollen, was Gabriel senior ihr unterstellte. Sie und Brück? Niemals. Nicht, nachdem Brück vorhatte, an Otto & Co. zu verkaufen. Seine dämlichen Werbespots konnte er inzwischen auch nur mit genügend Küstennebel ertragen, schließlich war ja immer irgendwas, und wenn er erst einmal einen gewissen Pegel hatte... Natürlich immer nur so viel, dass keiner was merkte.

„Ach, hätte ich mir an dem Abend doch nur die Lichter komplett ausgeschossen..."

Ja, hätte hätte... Hinterher ist das Gejammer groß, führte Maren seine Selbstvorwürfe in Gedanken fort. Mit einem gewissen Pegel ging alles leichter? Mit einem gewissen Pegel hätte er erst gar nicht versucht, Brück am Strand zur Rede zu stellen, oder besser gesagt, den Mann, den er für Harry Brück gehalten hatte. Hätte er sich mal besser bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen, dann hätte ihn der Seidenschal Silvias in der Hand des Widersachers nicht rot sehen und zum Stativ greifen lassen. Hinterher ist das Geflenne groß. Das habe ich nicht gewollt? Maren glaubte es ihm gerne. Genauso, wie sie ihm das auf den Schock folgende schlechte Gewissen abnahm, als er seinen Irrtum erkannt hatte, sowie den Versuch, die im Affekt begangene Bluttat zu vertuschen.

Mit dem Geständnis hätte alles in Butter sein können. Hätte, hätte? Irgendwas war immer? Um die Millefiore würden sie sich morgen kümmern. Jetzt noch schnell den Anrufbeantworter abgehört, und dann ab in die Wanne. Als ihr eine leider nur allzu gut bekannte Stimme aus dem Lautsprecher entgegen schallte, hoffte sie, dass es sich bei dem Anrufer, von dem sie am liebsten nie wieder etwas gehört oder gesehen hatte, nur um eine Sinnestäuschung handelte. Ein Blick auf das Display, und sie ließ entsetzt ihre Teetasse fallen. Ihr rot blinkender Anrufbeantworter war voll mit Nachrichten.

35 Anrufe in Abwesenheit, und alle waren sie von Miguel Andrés

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35 Anrufe in Abwesenheit, und alle waren sie von Miguel Andrés.

„So, Frau Millefiore, jetzt nochmal ganz langsam und zum Mitschreiben", versuchte Sönke Feddersen, der sein Feierabendbierchen und seinen holländischen Sahnematjes in unbestimmbare Ferne entschwinden sah, die aufgebrachte Floristin zu beruhigen.

Ein demoliertes Gewächshaus, dessen Scheiben von einem Unbekannten zertrümmert worden waren - und dabei waren die auch besonders bruchsicherem Spezialglas und dementsprechend teuer (O-Ton Giulia Millefiore) – und ein von Marmorbrocken übersäter Boden. Die zarten Pflänzchen waren komplett hinüber. Reichte es denn nicht, dass ihr geliebter Roberto nicht mehr unter den Lebenden weilte? Jetzt würde es zur Beisetzung nicht einmal Blumen geben...

Gin aus der Flasche anstatt aus dem Reagenzglas: Seit Roberto Millefiores Mörder hinter Schloss und Riegel saß, stand niemandem mehr in Bali der Sinn nach Küstennebel

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Gin aus der Flasche anstatt aus dem Reagenzglas: Seit Roberto Millefiores Mörder hinter Schloss und Riegel saß, stand niemandem mehr in Bali der Sinn nach Küstennebel. Wie gut, dass sie die beiden Toten nun endlich zur letzten Ruhe betten konnten.

Mit leichter Schlagseite und bei Giulia untergehakt, denn er hatte sich erboten, die schwarzgekleidete Floristin bis nach Hause zu geleiten, verabschiedete sich Schrödinger von denen, die dem Landvermesser die letzte Ehre erwiesen hatten. Ein halbes Stündchen hatte Giulia gerade noch durchgehalten, dann war es auch ihr zu viel geworden. Die anderen konnten auch ohne sie weiter auf sein Wohl trinken. Sie beachtete weder den aufziehenden Nebel noch die über den Himmel flackernden Lichter in Pastell, sondern wollte nur noch auf dem kürzesten Weg nach Hause.

Der kürzeste Weg? Schrödinger konnte kaum fassen, dass sie den Friedhof überqueren wollte. Mit der Urne in der Tasche, bereit für die für Neujahr geplante Überführung nach Italien und Beisetzung für den Dreikönigstag, durchschritt Giulia das schmiedeeiserne Portal, von dem aus es nicht mehr weit war. Gleich hatten sie das rostige Türchen auf der anderen Seite erreicht, da nahm ihnen ein Schatten die Sicht.

Brück. Ausgerechnet der!

Sein Anblick, wie er im Torbogen stand, war für Giulia unerträglich. Gift und Galle spuckend, ging sie fauchend vor Wut auf ihn los, um auf den Mann, der für sie an allem schuld war, blindlings einzuschlagen. Dieser Teufel! Wäre er nicht gewesen, Roberto wäre jetzt immer noch am Leben und würde sich bester Gesundheit erfreuen. Ihr Schrei war mörderisch.

Von Brücks jähem Auftauchen überrascht, reagierte Schrödinger auf Giulias Losreißen eine Sekunde zu spät. Die berühmte Schrecksekunde genügte, dass Schrödinger das sah, was Giulia in ihrer blinden Hysterie nicht wahrnahm: Während sie die Krallen ausfuhr wie ein Panther auf der Jagd, fächerten sich hinter dem von Giulias Angriff überrumpelten Geschäftsmann monströse Schwingen auf und ragten schwarz und gigantisch in den fahlgelben Himmel.

Es waren dieselben Schwingen, die Schrödinger vor kurzem noch für eine Halluzination gehalten hatte und denen er einen seiner schlimmsten Alpträume zu verdanken hatte.

Auf Eis gelegtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt