Ein Jahr war es nun her, dass sie Roberto Millefiores Mörder überführt hatten – und ein halbes seit Lara Försters Einzug in Schrödingers Institut für rätselhafte Phänomene.
Ein Sprung in der Zeit, sieben Jahre zurück in die Vergangenheit, ausgelöst durch einen Engel. Die wenigen Fakten, die Schrödinger der wortkargen jungen Frau über das mysteriöse Verschwinden Harry Brücks präsentiert hatte, waren mehr als ausreichend gewesen, um ihre Zunge zu lockern.
Statuen, die keine waren, meistens als Engel getarnt, und im gerade erst zu eröffnenden Skulpturengarten, den es in der Stadt nur für kurze Zeit geben sollte, hatten sie den idealen Ort gefunden, um sich unentdeckt im Verborgenen zu halten und in Ruhe abzuwarten. Ausgerechnet eine Replik der weltberühmten Skulptur „Der Kuss" von Rodin war Lara zum Verhängnis geworden, noch vor Eröffnung der neuen Sehenswürdigkeit.
Dargestellt waren Paolo Malatesta und seine Schwägerin Francesca da Rimini, in einer leidenschaftlichen Umarmung vereint. Niemals war das ein echter Rodin, das sinnliche Kunstwerk war viel zu kostbar, um in unserem Park Wind und Wetter ausgesetzt zu werden. Eine Fälschung aber auch nicht...
„Ein Windstoß wirbelte Sand und trockenes Laub auf, und ich kniff die Augen zu, um von dem Schmutz verschont zu bleiben. Böser Fehler. Irgendwo in der Nähe erklang ein leises Kichern wie das eines kleinen Kindes, und noch im selben Augenblick trennten sich Paolos Lippen von denen Francescas, er hob den Kopf und sah mir direkt in die Augen".
Schrödinger hatte keine Ahnung, was den Knoten hatte platzen lassen, aber mit einem Mal sprudelten die Worte nur so aus ihr hervor.
„Francesca sank reglos zu Boden, Paolo stieg über sie hinweg und kam langsam auf mich zu, ohne seine Blicke von meinen zu lösen. Dann ergriff er meine Hand und zog mich an sich. Das Smartphone in meiner Hand war nutzlos geworden, denn ich konnte mich seinem Kuss nicht entziehen – er ging mir durch und durch, brachte mein Herz zum Glühen und schickte mich gleichzeitig in ein eisiges Dunkel. Klar und deutlich konnte ich seine wohltönende Stimme hören: Mia cara. Danke, dass Du mich befreit hast. Endlich hat diese Liaison ein Ende, und auf uns wartet..." Den Rest bekam ich dann leider nicht mehr mit, weil mich Paolo in eine Art Zeitschleife befördert hatte.
Eine Zeitschleife, die mich immer wieder mit ihm zusammenbrachte, und zwar in immer kürzeren Zeiträumen: mal für sechs Monate, mal für drei – oder nur für zwei Wochen."
Irgendwann hatte sie ihr Leben im Reset-Modus zwischen zwei Fixpunkten so satt gehabt, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte. Bewaffnet mit einem Tablet hatte sie gewartet, bis sich Paolo mit ausgebreiteten Armen auf sie gestürzt hatte, um sie an sich zu ziehen – dann hatte sie das Gerät hochgerissen und „Es ist aus!" geschrien.
Beim Anblick seines eigenen Spiegelbilds war er dann auch prompt zu Stein erstarrt, aber Lara endgültig im Jahr 2013 gelandet.
Dass sie die Wahrheit sprach, daran zweifelte Schrödinger keine Sekunde. Doch je länger er darüber nachdachte, desto deutlicher erkannte er, dass er damit unmöglich an die Öffentlichkeit gehen konnte.
Den Rest des Lebens in der Geschlossenen verbringen? Wie einfacher dagegen war es doch, Lara Förster eine neue Identität zu verschaffen und sich für die Kollegen im Vereinigten Königreich eine halbwegs glaubwürdige Hintergrundstory auszudenken, die mit dem Ableben der ehemaligen Langzeitgefangenen endete.
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Auf Eis gelegt
Mystery / ThrillerEin Zwangsurlaub führt sie zusammen: Er: Schrödinger, Berliner Kommissar, von Überlastung und teilweise aufgeklärten Fällen mit mysteriösem Hintergrund an den Rand des Burnouts getrieben. Sie: Polizistin Maren Fuchs, frustriert und gelangweilt von i...