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"Du hast gesagt, das wäre ein schöner Film!" beschwerte sich Lukas. Der Abspann von "Forrest Gump" lief auf Liz' kleinem Fernseher.
"Hä? Das ist der schönste Film, den ich kenne!"
Lukas rieb sich das linke Auge.
"Sag mal, weinst du etwa?" neckte ihn Liz und knuffte ihn in die Schulter.
"Quatsch...war nur Staub".
"Oh, armer Junge" sagte sie neckisch und streichelte ihm über den Kopf.
Er sah sie an und musste lachen. "Richtig männlich...".
Er richtete sich auf und streckte sich. Der Abend auf dem Sofa steckte ihm in den Gliedern.
"Willst du das letzte Stück?" fragte er und deutete auf den Pizzakarton.
Sie schüttelte den Kopf und er biss genüsslich ab.
"Wo steckst du das eigentlich hin? Du hast doch gefühlt 2/3 davon gegessen!" sagte Liz und piekte ihm in den Bauch.
"Iff hab beftimmt nur gute Gene" schmatzte er.

Vier Wochen waren seit ihrem ersten Treffen vergangen.
Seitdem hatten sie sich fast jeden Tag gesehen.
Seine "Krankenbesuche" ließ er sich nicht nehmen. Liz war seitdem nicht mehr in der Schule gewesen.
Morgen würde sie zum ersten Mal wieder zum Unterricht gehen.

Er sah ihr die Anspannung im Gesicht an.
Der Film und die Gesellschaft von Lukas hatten sie ganz gut abgelenkt, aber jetzt rückte der nächste Morgen immer näher.
Er nahm ihre Hand und drückte sie.
"Hey" sagte er sanft. "Das wird schon alles gut werden. Du wirst sehen! Nach ein paar Tagen ist es so, als wärst du nie weg gewesen."
Sie lächelte matt. "Das weiß ich ja... tut mir leid. Ich hab halt keine Ahnung, wie die Anderen auf mich reagieren werden. Ich hab keinen Bock auf irgendwelche Fragen."
"Du schaffst das. Und du weißt doch, Jule und ich sind für dich da! Wir lassen dich nicht alleine!"

Jule war ihre Klassenkameradin und seit ihrem ersten Schultag in Deutschland ihre beste Freundin. Ohne sie und Lukas hätte sie die letzten Wochen nicht überstanden.
Lukas war ihr so sehr ans Herz gewachsen. Wenn sie jemand gefragt hätte, sie hätte es nicht erklären können. Er war so plötzlich in ihr Leben getreten und war mittlerweile einer der wichtigsten Menschen für sie.
Ihr Vater hatte ihn schon scherzhaft "brother from another mother" getauft.

"Ich mach mich mal langsam auf den Weg, ja?" sagte Lukas und packte seine Sachen zusammen.
"Ich bin morgen um 7 da, okay?"
Sie nickte und sie umarmten sich zur Verabschiedung.
"Kopf hoch, Kleine, ich pass auf dich auf."
Sie lächelte. "Du bist mein bester, guter Freund, Bubba"
Verwirrt sah er sie an. Dann lachte er, als er das Zitat zugeordnet hatte. "Gute Nacht, Forrest" sagte er und zerzauste ihre Haare, so wie er es immer tat.

In dieser Nacht hatte sie kaum geschlafen. Zu groß war die Nervosität. Und wenn sie einmal in den Schlaf gefunden hatte, hatte sie unruhig geträumt. Sie war alleine durch die Gänge der Schule gelaufen, alle hatten auf sie gezeigt und sie ausgelacht. Und als sie um eine Ecke gebogen war, hatte ER dort gestanden... Stefan. Er hatte sie angegrinst und gewunken. Dann war sie schweißgebadet wachgeworden.

„Guten Morgen, mein Schatz" begrüßte sie ihre Mutter, als sich Liz an den Küchentisch gesetzt hatte. Sie bekam kaum einen Bissen runter. „Süße, du weißt - wenn es nicht mehr geht, rufst du mich oder Dad an, und wir holen dich ab, okay?". Sie streichelte ihr sanft über den Rücken. „Danke Mum, ich weiß...". Liz hatte so ein schlechtes Gewissen. Ihre Eltern hatten seit Wochen so einen Aufwand mit ihr. Und alles nur, weil sie so dumm gewesen war...

Die Klingel riss sie aus ihren Gedanken. Ihre Mutter ging zur Haustür und kam kurz darauf mit Lukas im Schlepptau in die Küche zurück. Er grinste und schnappte sich das angebissene Stück Toast von ihrem Teller. „Morgen, Schlafmütze".

Auf dem Weg zur Schule plapperte er ununterbrochen. Sie wusste, warum er das tat, und insgeheim war sie froh darüber, dass er versuchte, sie abzulenken. „... und ich habe nochmal nachgedacht. Ich fand den Film echt unlogisch. Ich meine, wieso konnte er auf einmal so viel laufen? Der muss doch auch mal Pause gemacht haben! Versteh' ich nicht." Damit schaffte er es, sie aus der Reserve zu locken. „Strobel, sag noch einmal etwas böses über meinen Lieblingsfilm und ich dreh dir den Hals um!" Zum zweiten Mal an diesem Tag grinste er. „Oh okay, Verzeihung euer Hoheit!" Er machte einen Knicks und zog eine Grimasse.

Am Schultor trafen sie auf Jule, die bereits auf sie wartete. Sie umarmten sich zur Begrüßung und Jule drückte ihr eine Brötchentüte in die Hand. „Hier, Nervennahrung." Liz schaute abwechselnd Lukas und Jule an. Ihre besten Freunde. Sie spürte, wie ihr schon wieder die Tränen kamen. „Ihr seid so lieb zu mir, ich weiß gar nicht, wie ich euch verdient habe..." „Rechnung kommt noch" sagte Lukas und stupste sie mit seiner Schulter an. „Mach dir keine Gedanken, Kleine." Die Glocke ertönte und Liz' Nervosität stieg noch weiter an. „Wir sehen uns in der Pause, okay?"sagte Lukas und machte sich auf den Weg in ein Nebengebäude der Schule. „Na dann wollen wir mal". Jule legte ihre Hand um ihre Schulter und gemeinsam betraten sie das Gebäude.

Der Tag ging schneller rum, als Liz erwartet hatte. Zu Beginn hatten ihre Mitschüler getuschelt und ihr hinterher geschaut, als sie den Gang hinunter gegangen war. Aber irgendwann hatte sich das gelegt und jeder war wieder mit seinen oder ihren eigenen Problemen beschäftigt. Die Lehrer ließen sie komplett in Ruhe und behandelten sie eher wie ein „rohes Ei". Sogar ihre Mathelehrerin, die sie eigentlich immer auf dem Kieker hatte, tat so, als wäre sie immer noch nicht wieder da.

Am Nachmittag trafen sich Liz und Lukas bei ihm Zuhause um Fotos für seine Homepage zu schießen. Es war eine gute Zusammenarbeit, denn er hatte das Gefühl, sie wusste genau, was er sich von den Bildern wünschte.

„Okay, Herr Gatoah" sagte sie, als sie schon einige Stunden verschiedenste Posen und Outfits hinter sich hatten. „Jetzt vielleicht nochmal eins ohne Sturmhaube?" Er setzte einen entrüsteten Gesichtsausdruck auf. „Bitte Liz, wie oft denn noch?! Alligatoah! Es heißt Alligatoah!" 

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