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Vom Unterricht habe ich die letzten Tage nicht viel mitbekommen. Immer wieder zücke ich unauffällig mein Handy und grinse wie blöd in meinen Schoß. Die Lehrer denken bestimmt, ich werde langsam verrückt.

Guten Morgen. Die Sonne scheint heute so schön. Sie spiegelt sich bestimmt wunderschön auf dem See und in deinem Lächeln. Sehen wir uns heute Nachmittag?

Ich glaube ihm nicht, dass er nichts mit Worten am Hut hat. Ich stelle mir manchmal vor, wie er heimlich Gedichte oder Kurzgeschichten schreibt und habe mich schon bei dem Gedanken erwischt, dass ich hoffe, dass er auch eine für die mysteriöse Neue schreibt. Die, in die er sich verliebt. So zumindest in meinen Gedanken. Meinen spätpubertären, auf Zahpastalächeln eingeschossenen Gedanken.

Klar. Ich warte am See auf dich. 20 Uhr.

»Wer von euch hat sich noch zu keinem Projekt für das Schulfest angemeldet?« Die schrille Stimme meiner Mathelehrerin lässt mich aus meinen rosaroten Gedanken aufschrecken. Die Klasse bricht in Gemurmel aus, doch niemand meldet sich. Meine Lehrerin, sichtlich genervt, versucht es erneut, mit: »Okay, wer von euch hat sich angemeldet?« Hände schießen in die Luft. Und noch mehr. Scheiße. Ich drehe mich unauffällig um und mache mich in meinem Stuhl kleiner. Schließlich sind alle Hände erhoben. Bis auf meine, am Rande der vorletzten Reihe. Und eine in der letzten Reihe.

Theo.

Ich schlucke und starre sofort auf die leere Tischplatte vor mir. Vielleicht sieht mich meine Lehrerin so nicht. »Mallow,« - Ich zucke zusammen, als sie meinen Nachnamen nennt - »Braunskin. Ihr entwerft das Abendprogramm, wenn ihr sonst nichts tut. Gebt den ersten Entwurf bitte bis Montag ab. Danach habt ihr noch ein paar Wochen Zeit.« Meine Hände verkrampfen. Mein Blick bleibt starr auf der Tischplatte hängen und ich vergesse, zu blinzeln. »Ist das klar?«, fragt sie nachdrücklich, da Theo und ich mucksmäuschenstill sind. »Ja«, ertönt es verkrampft aus der hintersten Reihe. Ich nicke stumm.

Ich wünsche mir zum ersten Mal, dass der Unterricht nicht vergeht. Ich würde lieber noch fünf Stunden Vektor-Aufgaben lösen und dreisimensionale Koordinatensysteme ausfüllen, anstatt mit Theo reden zu müssen. Und damit meine ich ernsthaft reden, so mit Ansatz und Lösung. Und dann mit ihm arbeiten, mit ihm Kompromisse eingehen. Mir wird schlecht. Ich bin gerade so gerne in meiner perfekten Scheinwelt, in der Levin der Traumprinz ist und mich in eine andere Wirklichkeit entführt, in der alles so einfach ist. Ich will nicht, dass Theo das alles zunichte macht und mich wieder auf den harten, bösen Boden der Realität zurückholt.

Nach dem Unterricht geht er einfach aus dem Raum. Ich dachte, er würde zumindest warten. »Theo!«, rufe ich ihm hinterher und komme mir so dumm dabei vor, diesem Menschen hinterherzulaufen. Der breitschultrige Braunschopf bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Seine Mine eine Mischung aus Desinteresse und Abneigung. »Wir müssen das machen«, sage ich streng. »Ich weiß. Ich bin nicht blöd«, entgegnet er gestresst. »Wenn wir das bis zum Wochenende fertigkriegen wollen, müssen wir heute anfangen.« Ich rede nun selbst wie eine gereizte Lehrerin. »Ich werde das nicht mit dir machen.« Ich schnalze verblüfft mit der Zunge, sehe mich um, als ob das hier nur eine Spaßsendung wäre und gleich jemand hervorspringt und erklärt, dass das alles nur ein großer Witz ist.

»Blöd nur, dass du keine Wahl hast. Ich erledige das nicht für dich, klar?« Zerknirscht steht er da und malmt heftig seine Kiefer aufeinander. Sein finsterer Blick durchdringt mich, doch schüchtert mich keinesfalls ein. Dafür bin ich zu wütend. »Wir dürfen in dem Zimmer bleiben. Ich mache die erste Hälfte des Abends, du die zweite.« Ich bemühe mich sehr, einfach erwachsen zu bleiben. Er führt sich auf wie ein Fünfjähriger, gut, dann muss ich eben die tolerante Mutter spielen. Zumindest bis der Abend geplant ist und ich endlich wieder meine Ruhe vor Theo haben werde.

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