Epilog

92 8 7
                                    

Die Sonne scheint das erste Mal in diesem Jahr warm auf meine Haut.

Die ersten Vögel zwitschern, die vielen Blumen strahlen in bunten Farben und die Kulisse wäre fast perfekt.

Wären da nicht die kalten Grabsteine und die ausgeblichenen Holzkreuze auf dem blassen Rasen. Und der kühle Wind, der die klägliche Stille des Vermissens um unsere Ohren weht.

Doch ich liege in Theos warmen Armen und blicke mit einem schwachen Lächeln auf das Grab meiner Eltern hinab.

Ich glaube, dass ich lernen könnte, wirklich damit klarzukommen. Mit meiner Trauer umzugehen. Auch Theo habe ich überredet, mit einer Therapie anzufangen und er beginnt allmählich, aufzublühen.

»Schön, dass ich euch auch endlich kennenlernen darf«, sagt Theo und drückt mich fester an sich. »Sie würden dich mögen«, erwidere ich leise. »Vielleicht«, füge ich hinzu. Theo lacht. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und lasse all die Eindrücke und mein flaues Gefühl im Magen, welches sich nicht zwischen all den Emotionen entscheiden kann, auf mich wirken.

»Ich bin stolz auf dich«, sagt Theo dann. Ich sehe zu ihm auf. Seine längeren braunen Haare bewegen sich leicht im Wind. Sein Gesicht ist nicht glatt rasiert und er wirkt älter und reifer als letztes Jahr.

»Und ich auf dich«, antworte ich leise.

»Hast du dich schon entschieden?«, fragt er. Ich sehe wieder auf das Grab vor mir und überlege kurz. »Nein«, antworte ich.

»Wie gesagt. Mir ist es egal, ob wir wegziehen aus diesen Dörfern. Ich verbinde sie mit nichts Gutem«, sagt er.

Ich nicke. Eigentlich war ich es, die wenige Wochen nach dem Schulfest vorgeschlagen hat, dass Theo und ich nach unserem kurz bevorstehenden Abschluss in die Stadt ziehen. In meine alte Heimat. Weg vom Land und den Bauernhöfen und den kurvigen Landstraßen.

Doch nun sind mir alle so sehr ans Herz gewachsen. Natürlich Enya und Louise, aber irgendwie auch alle anderen. Meine nervigen Lehrer, Louises Freundinnen, mit denen sie manchmal Kaffee trinkt. Mein Nachbar Ed, dem ich immer über die Hecke zuwinke. Und Eric, der sich seit dem Schulfest immer öfter in der Gegenwart meiner Cousine aufhält.

»In der Stadt ist es nicht so, dass dich fast jeder mit einem Lächeln begrüßt. Dass du gesehen wirst, wenn du durch die Straßen läufst. Dass du erkannt und mit offenen Armen empfangen wirst. Auch, wenn man anfangs vielleicht abschätzig gemustert wird. Aber wenn du erst mal dazu gehörst, dann tust du es für immer«, sage ich und Theo sieht mich überrascht an.

Ich erwidere seinen Blick. »In der Stadt wäre ich ein Niemand. Ein Niemand ohne meine Familie und Freunde.« Theo nickt langsam. »Das heißt, du willst doch hier bleiben?«

Ich überlege erneut und lächle dann leicht. »Zumindest die nächste Kleinstadt wäre eine gute Idee. Aber ich will in der Nähe bleiben. Hier, bei meiner Familie. Bei meinen neuen Freunden.«

Theo beginnt zu lächeln und als sich sein lächeln in ein unaufhaltbares Strahlen entwickelt, umarme ich ihn fest.

Die Therapie tut uns gut. Wir tuen uns gut. Und das soll so bleiben. Für immer.

__________________

[Ende]

NeuanfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt