11 - Harper

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Gähnend, und immer noch im Schlafanzug, ging ich die breiten Treppen runter. Wären meine Eltern hier, würden sie komplett ausrasten. Auch wenn meine Schlafanzüge grundsätzlich nicht bloß teurer, sondern auch hübscher (und definitiv seidiger) waren als die meisten anderen Schlafanzüge, haben meine Eltern es schon immer gehasst, wenn ich im Nachtgewandt die Treppe runterkam. (Wobei es auch definitiv nicht selten war, dass ich eines Abends in die Küche kam und vor einer Gruppe alter Männer, allesamt Anwälte, stand, weil mein Vater ein spontanes Meeting einberufen hatte)

Ich ging durch den Flur in die offene Küche und war verwundert. Ich konnte nicht mal sagen was genau mich verwunderte oder erstaunte, aber ich hatte das Gefühl etwas würde fehlen. Entweder waren es die morgendlichen Streitigkeiten meiner Eltern, die mich normalerweise aus dem Bett lockten, die dauerhafte, betrübliche Gräue die die Sonne ersetzte oder mein Wille zu Leben. Aber es war, wie sich herausstellte, bloß mein Heißgetränk am Morgen. Skeptisch suchend lief ich durch das Haus. Ziemlich Barfuß, was, wie sich herausstellte keine gute Idee war. Es war Ende November und viel zu kalt. War denn niemand hier? Es war doch immer jemand da. Entweder irgendwelche Kollegen, die etwas abholen mussten, die Putzfrau, andere Menschen die das Haus bewachten... Das war doch nicht normal! Wer lebte denn bitte in einem leeren Haus? Nach fünf Minuten die ich schweigend und stirnrunzelnd suchend auf und ab gegangen war, fand ich eine der Angestellten im Putzschrank kramen. „Fanny.", sagte ich deutlich woraufhin sie sich erschrocken umdrehte. Der Schrecken in ihrem Gesicht verflog, als sie sah, dass es bloß ich war. „Harper.", sagte sie erleichtert. „Ich wusste nicht, dass sie da sind."

„Doch bin ich.", meinte ich. War meine Präsenz denn wirklich so unscheinbar? „Und ich hätte gern einen Chai Latte." Sie guckte mich verwirrt an. „Einen Chai Latte?", wiederholte sie. „Ja. Mit laktosefreier Milch bitte. Fettarm, nicht zu viel Zucker und der Prise Salz. Wie immer. Haben sie das etwa vergessen?", antwortete ich spitz. Während ich von dannen schritt, hörte ich sie nur etwas sagen wie: „Aber ich bin doch gar nicht für ihren Chai Latte verantwortlich.", doch wirklich interessieren tat es mich dann nicht mehr. Ich holte mein Handy und setzte mich auf einen Sessel im Wohnzimmer.

Wie immer passierte nichts. Wobei, es schien viel zu passieren. Irgendwelche Bekannten, Kinder von den Kollegen meiner Eltern, posteten Bilder von Shoppingtrips, Kurzurlauben in die Karibik, irgendwelche spaßigen Lerndates oder fröhliches Rumgehüpfe in boomerrang-Format vor ihrer Traumuni (an der sie angenommen waren). Jedem um mir herum geschahen aussergewöhnliche Sachen, bis auf mir. Mir passierte gar nichts. Bis auf, dass ich seit zehn Minuten auf meinen Chai Latte wartete. „Fanny, was dauert denn da so lang!", brüllte ich in die Küche. Zwei Minuten später kam die zierliche Gestalt von Fanny aus der Küche gewatschelt, mit einem viel zu vollem Becher der aussah, als würde dessen Inhalt jeden Moment überschwappen. Ich nahm ihn entgegen und nippte geistesabwesend daran. „Fanny?", fragte ich die Angestellte, die gerade dabei war, das zu tun, für was auch immer meine Eltern sie bezahlten. „Das schmeckt wie mit Wasser verdünnte Milch mit ein bisschen Zimt drüber. Wofür wirst du eigentlich bezahlt?" Mit zu viel Schwung stellte ich den Becher auf den gläsernen Couchtisch. „Na ja, fürs Putzen eigentlich.", stammelte sie, doch ich lief schon wutendbrant aus dem Zimmer raus.

Warum waren alle Menschen immer so unfähig? Also, nicht negativ gemeint, aber zuerst der Typ von der UCL der dafür verantwortlich war mich einzustellen, jetzt Fanny. Außerdem, und dass konnte ich ehrlich zugeben, nervte es mich, dass alle ein interessanteres Leben hatten als ich. Ob es nun Monica mit ihrem Studium war, oder Rose mit ihrem Studium, und selbst ihr angeblicher Arschlochfreund war interessanter als mein Leben. Wobei ich ja nicht genau wissen konnte ob Kai ein Arsch war. Ich wusste ja noch nicht mal genau, was am Wochenende passiert war, weshalb Rose nicht mit uns in die Bar kommen wollte. Ihre letzten Nachrichten, die sie in die Gruppe geschickt hatte, waren nur irgendwas von wegen ziemlich sauer auf Kai.

when life gives you lemonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt