Clueso
»Wir hatten gerade noch Pläne, lauter kleine Probleme, eben war’n wir noch gerad auf’m Sprung, fühlten uns stark und so jung…«
Noch immer zieht sich Cluesos Brust bei diesen Songzeilen aus Inas Song Pläne schmerzhaft zusammen, auch noch bei der zweiten Probe in Mathias‘ Studio. Sofort fühlt er sich an seinen eigenen Song, Du warst immer dabei, erinnert. Eigentlich hat er den Song für alle Freundschaften in seinem Leben geschrieben, aber eben auch für einen seiner Kumpels, dem es gesundheitlich nicht gut geht. Er hofft wirklich, dass sich auch dieses Jahr niemand diesen Song aussuchen wird. Clueso weiß, dass er sich viel zu selten bei seinen Freunden meldet, dass er viel zu wenig Zeit hat, auch wenn das in den letzten zwei Jahren natürlich anders war. Aber dennoch fällt es ihm schwer, Inas persönlichsten Song zu singen. »Ich pack’s nicht«, seufzt er und rauft sich kurz die Haare. »Sorry, aber… die Nummer macht mich echt fertig.«
»Was ist das nur mit euch beiden?«, wundert sich Bandleiter und Keyboarder Mathias. »Ina hat sich auch erst ganz spät für einen Song von dir entschieden. Erst wollte sie Gute Musik singen, aber letzte Woche hat sie es sich doch nochmal anders überlegt.«
»Hat sie, echt jetzt?«, muss Clueso dann doch grinsen. »Gute Musik von ihr hätte ich mega abgefeiert.«
»Ihr beiden seid echt seltsam«, schüttelt Mathias den Kopf. »Es ist bloß Ina.«
Ist sie eben nicht, aber das kann Clueso selbstverständlich nicht erklären. »Keine Ahnung, ich wollte eigentlich diesmal auch gern eine oder zwei krasse Nummern machen«, zuckt er die Schultern. »Ich werd’s schon hinbekommen, Ina ist eben… eine absolute Größe, bei ihr bin ich jetzt schon total nervös. Da weiß ich einfach nicht… keine Ahnung, sie ist Moderatorin durch und durch, und ich…«
»Du packst das schon«, legt Mathias ihm eine Hand auf die Schulter. »Ihr kennt euch doch. Deine Version ist großartig. Tausend Prozent Clueso, sie wird es lieben.«
»Wenn du das sagst«, grinst Clueso.
Aber seine Gedanken bleiben bei Ihr kennt euch doch hängen. Eben genau das ist das Problem. Sie kennen sich viel zu gut, aber trotzdem liest Clueso sich am Abend Zuhause noch ein paar Interviews von Ina durch. Irgendwann stößt er auf einen Bericht, in welchem Ina erzählt, dass sie es sogar schwierig findet, wenn einer ihrer früheren Partner abends etwas zu Essen kochen wollte und sie dadurch in ihrer Freiheit eingeschränkt war, weil sie sich nicht mehr spontan mit Freundinnen verabreden konnte. Kurz hält Clueso inne. Er hat nie viel über Johannes’ und Inas Beziehung gewusst, aber eines weiß er – so sehr Johannes sie geliebt haben muss, Clueso kann sich nicht vorstellen, dass er mit dieser Art Beziehung wirklich so lange glücklich war. Er erlebt seinen Freund jetzt so anders, natürlich auch unabhängig, das sind sie beide. Aber Johannes ist sehr bedacht darauf, dass sie so viel Zeit wie möglich miteinander haben, und prompt fragt Clueso sich wieder, warum ihm nie aufgefallen ist, dass Johannes offenbar nicht glücklich war. Und ob er es jetzt ist. Sie haben bisher noch nicht wieder darüber gesprochen, ob das zwischen ihnen genau das ist, was Johannes sich von einer Beziehung wünscht. Er hat doch nichts anderes verdient als glücklich zu sein, und natürlich kreist auch die Frage durch Cluesos Kopf, ob er selbst der Richtige dafür ist. Er liebt Johannes, ist unendlich glücklich, dass seine Gefühle inzwischen so sehr erwidert werden, ist ziemlich zufrieden mit ihrer Beziehung gerade, aber ist es Johannes auch?
Seufzend schiebt Clueso die Fragen, auf die er jetzt ohnehin keine Antworten finden wird, beiseite. Er hat noch viel zu tun, muss sich auf die Künstler vorbereiten, die mit ihm nach Südafrika fliegen, und Ina gehört nun einmal dazu. Er erinnert sich noch gut an seinen Auftritt in ihrer Sendung vor etwa einem Jahr, als sie eigentlich richtig viel Spaß hatten. Damals hätte Clueso im Leben nicht daran gedacht, dass Ina und Johannes ein halbes Jahr später getrennt sein würden, und wieder fragt er sich, warum er nichts bemerkt hat. Was für ein mieser Freund er doch gewesen ist.
Er ist nachdenklich, als Johannes am Abend anruft, was seinem Freund natürlich nicht verborgen bleibt. »Ist… alles okay bei dir?«, fragt er prompt und Clueso fährt sich durch die Haare.
»Ja, ich… keine Ahnung, ich hab mich heute bisschen über Ina informiert und so, und… Mann, wieso hast du nie erzählt, dass es nicht mehr so lief bei euch? Ich komm darauf einfach nicht klar.«
Clueso sieht im Facetime, wie Johannes seufzt. »Ich hab’s selbst einfach gar nicht gecheckt«, zuckt er die Schultern. »Es war so wie es war, ich kannte Ina ja nicht erst seit ein oder zwei Jahren. Und ich hatte jetzt auch nicht unbedingt Bock etwas zu ändern, ehrlich gesagt. Man wird bequem mit bestimmten Lebensumständen, weißt du doch. Ich war eigentlich sehr okay damit, ich brauche auch meinen Freiraum. Und ich hätte sie never ändern wollen. Dass das dann irgendwann nicht mehr zusammen passt, war halt klar, aber wir haben es viel zu spät realisiert.«
»Und… was ist jetzt?«, rutscht Clueso dann die Frage heraus, die ihn seit dem Morgen beschäftigt. »Bist du jetzt… glücklich?«
Kurz stolpert sein Herz, weil diese Frage jetzt so direkt im Raum steht, er das doch eigentlich nicht übers Facetime klären wollte. Aber er muss es wissen, damit seine Gedanken Ruhe geben. Johannes lächelt, nähert sich dem Handy ein wenig, sodass Clueso seine Augen deutlicher sehen kann, und sein Herz klopft warm. Trotzdem hat er natürlich ein bisschen Panik vor Johannes' Antwort. »Vergiss es, ich wollte bloß… keine Ahnung, bin jetzt einfach schon durch irgendwie«, seufzt er und verflucht sich innerlich. »Gastgeber bei dieser Show zu sein ist einfach zu krass.«
Aber Johannes grinst. »Ich bin glücklich«, meint er dann. »Ich meine, ich hab jetzt nicht unbedingt damit gerechnet, dass ich nach Ina so schnell wieder mit jemandem zusammen kommen würd, und auch nicht mit…« Er stockt, räuspert sich peinlich berührt.
»Sag’s ruhig«, kichert Clueso. »Mit mir?«
»Hat mich schon überrumpelt«, gibt Johannes zu. »Aber ich bin verdammt glücklich, wie’s gerade ist. Und immerhin weiß ich, dass du nicht so strikt gegen engeres Zusammensein bist wie Ina. Ich glaub, man merkt erst, was einem gefehlt hat, wenn man genau das dann hat.«
Clueso muss schmunzeln. »Klingt nach nem guten Refrain«, bemerkt er, beginnt mit den Fingern zu schnippen und irgendetwas zu singen. Johannes lacht, greift zu seiner Gitarre, und prompt entwickelt sich eine kleine Session. Genau das ist es, was Clueso so sehr liebt – sie können aus jeglicher Situation heraus eine Session beginnen, einfach so, ohne dass groß etwas entstehen muss.
»Was ist mit dir?«, fragt Johannes dann aber doch irgendwann. Sie telefonieren inzwischen schon zwei Stunden, aber das ist vollkommen egal. »Ich mein… bist du glücklich?«
Clueso lächelt. »Bin ich«, versichert er. »Ich mein, ich hab das Schicksal rausgefordert, ja, und das hätte auch echt schiefgehen können, ich hätte dich komplett verlieren können, aber ich… bin glücklich. Ich... liebe dich.«
Für einen kurzen Moment verflucht Clueso sich wieder, weil er das doch anders sagen wollte, wenn Johannes bei ihm ist, aber es sind seine Gedanken, die raus müssen. Die aus dem Herzen kommen und gesagt werden müssen.
Johannes lächelt sanft, Clueso schluckt, weil es besondere Worte sind, er kann sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann er es zuletzt gesagt hat. »Mann, ich vermiss dich«, seufzt Johannes. »Dauert einfach viel zu lange, bis du übermorgen kommst.«
Clueso erwidert das Lächeln, hat zwar für einen kurzen Moment gehofft, dass Johannes seine Worte erwidern würde, aber das genügt ihm doch auch schon. Er weiß, wie wichtig Johannes das zwischen ihnen ist. »Vielleicht muss ich doch endlich Führerschein machen«, witzelt er. »Ist dann doch schon schwer, jemanden zu finden, der mich nach Hamburg kutschiert.«
»Wär gut«, lacht Johannes auf. »Aber lass mal schlafen gehen, du siehst echt fertig aus.«
»Na danke«, brummt Clueso, aber er fühlt sich auch schon ziemlich erledigt und hat schon ein paar Mal ein Gähnen unterdrückt. »Schlaf gut«, meint er. »Ich meld mich morgen.«
Der Januar und auch der Februar gehen Dank der Vorbereitungen für Sing meinen Song viel zu schnell vorbei. Johannes spielt Anfang Februar ein besonderes Konzert mit Orchester in der Philharmonie in Essen, aber Clueso muss wegen der Proben für Sing meinen Song absagen. Es tut ihm schon weh, dass er nicht einmal zusehen kann, aber er will bestens vorbereitet in die Show starten. Clueso sieht Johannes die Enttäuschung durchaus an, auch wenn er ihn natürlich zu verstehen gibt, dass es okay ist. Aber gerade bei solch besonderen Konzerten tut es gut, enge Vertraute um sich zu haben, und als sie am Abend zuvor telefonieren, muss Clueso lachen, weil Johannes tatsächlich ziemlich nervös ist.
»Dir geht ja echt der Stift, Oerding«, kann er nicht anders als seinen Freund aufzuziehen. »Dabei bist du so ein alter Hase im Konzertbusiness.«
»Das ist mit Orchester, das mach ich jetzt auch nicht alle Tage«, stöhnt Johannes.
»Ach was, das wird geil«, ist Clueso überzeugt. »Genieß es, ich bin schon bisschen neidisch.«
»Kann ich nichts für, wenn du ein wichtigeres Date hast«, schmunzelt Johannes, aber Clueso hört sehr wohl auch immer noch die Enttäuschung in seiner Stimme.
»Ich weiß, ich hab’s verkackt«, seufzt er. »Tut mir leid. Wirklich, ich revanchier mich.«
»Da bin ich gespannt«, muss Johannes da doch grinsen.
»Aber, ey, du kommst auch nicht nach Südafrika, also sind wir eigentlich quitt«, bemerkt Clueso dann und jetzt muss Johannes lachen.
»Touché«, gibt er zu. Er zögert kurz, so als wollte er noch etwas sagen, dann schneidet er jedoch ein anderes Thema an.
Natürlich läuft das Konzert ohne Schwierigkeiten, wie Johannes’ Fotograf Clueso schreibt. Als sie am übernächsten Tag wieder telefonieren, ist Johannes schwer begeistert und es tut Clueso wirklich leid, dass er nicht dabei sein konnte.
Drei Wochen später fliegt Clueso nach Südafrika, und als der Jeep die Auffahrt zum Grootbos hinauffährt und vor dem Reservat hält, klopft Cluesos Herz einen Schlag schneller. Es ist ein besonderes Gefühl zurückzukehren, hat er sich doch schon im letzten Jahr in diesen Ort verliebt. In die Atmosphäre am Set der Show, in die wunderschöne Umgebung, in die warmherzigen Menschen, die ihn empfangen. Vorab hat Produzent Carsten ihn noch darüber informiert, dass sie in seiner Künstlerstory die Entwicklung der Hilfsprojekte beleuchten wollen. Clueso hat sich auch hier vorbereitet und ist ungeheuer gespannt auf die Kinder und die Projekte im Grootbos selbst.
Als er den Balkon vor seiner Suite betritt, dreht er ein kurzes Live-Video für Instagram, macht ein paar Fotos, von denen er Johannes eines schickt. »Zu ruhig hier ohne dich«, schreibt er dazu, versucht zu ignorieren, wie sehr er Johannes gerade hier vermisst und setzt sich draußen am Pool an den Flügel. Er ist zwei Tage vor den anderen Teilnehmern angereist, morgen wird er die Projekte im Grootbos besichtigen und auch so wenig Zeit haben, Johannes zu vermissen. Und das ist auch gut so.
Zwei Tage später reisen die übrigen Teilnehmer an, Clueso holt sie mit einem Jeep vom Flughafen ab. Er freut sich riesig, alle endlich zu sehen, sein Herz setzt jedoch einen Schlag aus, als Ina vor ihm steht. »Cluesen, ich freu mich so, dass es endlich losgeht«, begrüßt sie ihn jedoch und umarmt ihn ohne Umschweife.
»Ich… äh, freu mich auch«, bringt Clueso hervor und verflucht sich in Gedanken. Wenn er jetzt schon Muffensausen hat, wie soll es dann bei den Aufzeichnungen werden?
»Hi, Bro, so ne coole Sache, dass wir dabei sind«, klatscht ihn Clemens von Milky Chance ab, auch sein Bandkumpel Philipp bringt Clueso sofort auf andere Gedanken. Vielleicht, hofft Clueso, kann mit diesen beiden entspannten Jungs eine ähnlich gute Freundschaft entstehen wie mit Dag und Vincent.
»Lasst uns erstmal fahren, ihr werdet es lieben«, sagt Clueso, nachdem er auch Michael, Madeline, Udo und Axel Bosse begrüßt hat. Auf der Fahrt lassen sich alle sofort von der atemberaubenden Landschaft anstecken, und als sie abends grillen, ist Clueso schon überzeugt, dass sie eine gute Gruppe werden. Die Vibes stimmen definitiv. Auch wenn sein Herz jedes verdammte Mal nervös klopft, wenn er Ina gegenüber steht. Und natürlich ist Clueso auch klar, wieso das so ist. Nicht etwa, weil sie eine wirkliche Größe im Showbusiness ist. Er hat schon mit so vielen Stars zusammen gearbeitet.
Die Tatsache, dass Ina Johannes’ Ex ist und nicht im Geringsten ahnt, dass er jetzt mit Johannes zusammen ist, schwirrt ununterbrochen in seinem Kopf herum und Clueso hat keine Ahnung, wie er das bis zum Start der Aufzeichnungen morgen aus seinem Kopf bekommen soll.
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Tanz aus der Reihe (SMS 2022)
ContoClueso will die Einladung zur Teilnahme an der neunten Staffel von Sing meinen Song erneut ablehnen, so wie alle anderen vorher auch. Aber sein enger Freund Johannes Oerding hat etwas dagegen - und gute Argumente für eine Teilnahme im Gepäck. Clueso...