Kapitel 24

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Rastlos lief Fioretta im Garten ihres Vaters umher und war blind für die bunte Pracht des Frühsommers, die sie umgab. Die Bäume, die Sträucher, die Blumen – alles war geziert mit wunderschönen, zarten Blüten. Selbst das Gras war noch frisch und intensiv grün. Doch Fiorettas Gedanken ließen ihr keine Ruhe und es verhalf ihr auch nicht wie üblich zu mehr Klarheit, wenn sie ihre innere Unruhe durch Bewegung herausließ. Wie sollte sie sich an der Schönheit des Gartens erfreuen, wenn jede Blüte sie an ihn erinnerte. Der Spitzname, den er ihr verpasst hatte, haftete an ihr wie ein Parfum. Selbst ihr eigener Vater zog es vor sie nur noch Fioretta zu nennen und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, mochte sie den Namen viel lieber als ihren eigentlichen Taufnamen Antonia oder dessen Verniedlichung. Vielleicht lag es daran, dass sie eher eine kleine, florentinische Blume als eine unschätzbare Römerin war.
Doch dieser Mann bereitete ihr nichts als Kopfschmerzen, wenn er nicht bei ihr war. Sie konnte ihn einfach nicht verstehen, ganz gleich wie sehr sie sich anstrengte aus ihm schlau zu werden. Aber manchmal wirkte er, als wäre er eine vollkommen andere Person. Wenn er sich nachts in den Garten ihres Vaters schlich und sie auf einen Spaziergang einlud, gab er ihr das Gefühl, als wären sie allein auf der Welt. Er hörte ihr zu, gab ihr das Gefühl verstanden und ernst genommen zu werden. Ihn schien ihre Meinung tatsächlich zu interessieren und ihr Herz sehnte sich nach jemandem, mit dem sie ihre Ideen teilen konnte. Ihr Vater war ein Professor, ein Gelehrter, und er hatte alles dafür getan, dass sie die gleiche Bildung erhielt, die dem Sohn gebührt hätte, den er niemals bekommen hatte. Fiorettas Mutter war bei ihrer Geburt gestorben und ihr Vater hatte es nicht über sich gebracht eine andere Frau zu heiraten.
Bei Nacht war Giuliano wirklich alles, was sie sich jemals erträumt hatte. Aber je öfter sie sich trafen, desto deutlicher entstand zwischen ihnen eine Kluft. Immer mehr schien er sich von ihr zu entfernen und zunächst hatte sie ernsthaft geglaubt, dass er schlicht ihre Tugend bewahren wollte. Niemals kam er ihr näher, als es sich schickte. Himmel, das einzig Unschickliche an ihren Treffen war die Uhrzeit, zu der sich eine junge Dame längst nicht mehr im Garten aufhalten sollte. Doch mittlerweile war sich Fioretta sicher, dass dies nicht der Grund für seine Zurückhaltung war. Dieser Mann war Giuliano de' Medici, wenn er sie wirklich begehren würde, hätte er sie längst mit seinem berüchtigten Charme verzaubert und sie hätte sich ihm vermutlich hingegeben, nur um dann von ihm fallen gelassen zu werden. Seine Zurückhaltung konnte nur bedeuten, dass er nicht das Gleiche für sie empfand und Fioretta wusste nicht, wie sie mit ihrer Zuneigung für ihn umgehen sollte. In keinem ihrer Bücher stand, wie sie sich verhalten sollte. Ihr Herz sagte ihr, dass sie mit ihm reden sollte, dass sie sogar mit ihm reden musste, wenn sie jemals Gewissheit erlangen wollte. Doch ihr Kopf erinnerte sie an ihr letztes Gespräch über Herzensangelegenheiten. Noch immer wühlte es sie auf, wie nah er ihr gekommen war und sie verstand nicht, weshalb er sich überhaupt auf diese Art zu ihr hingezogen fühlen sollte. Vielleicht würde ihr irgendwann seine Freundschaft genügen können. War es nicht gut so, wie es zwischen ihnen war?
Plötzlich rief eine Stimme ungeduldig nach ihr. Verwirrt drehte sich Fioretta um und begegnete dem erleichterten Blick ihres Vaters. Seine Statur war durchschnittlich und auch sonst spiegelte sein gesamtes Auftreten seinen Beruf und seinen Stand wider. Seine Kleidung war wie ihre eigene weder zu protzig noch zu schlicht. Niemand würde einen von ihnen auf der Straße anhalten, um die Einhaltung des Verbots von Luxusartikeln zu überprüfen. Sein braunes Haar zeigte bereits einige graue Strähnen. Um seine Augen befanden sich dunkle Schatten von langen Nächten, die er über seinen Büchern und Schriften verbrachte.
„Hier steckst du, Tochter!", stieß Vater erleichtert aus und zückte seine Brille. Aufmerksam musterte er sie durch die Gläser und Fioretta unterdrückte ein belustigtes Grinsen. Heute Morgen hatte sie sich für sein Lieblingskleid aus dunkelrotem Stoff entschieden. Ihre Mutter hatte zu ihrer Hochzeit ein ähnliches Kleid getragen. Vermutlich mochte er es deshalb so gern an ihr. Gedankenverloren betrachtete er das zarte Blumenmuster mit einem entrückten Lächeln, als würde er wieder in seinen Erinnerungen versinken. Freundlich lächelte sie ihren Vater an und erkundigte sich, weshalb er nach ihr gesucht hatte. Irritiert legte er den Kopf schief und blinzelte sie einen Herzschlag durch seine Gläser an. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen den Kopf.
„Du musst sofort aufbrechen, sonst verpasst du deine Sitzung mit Maestro Botticelli", meinte er, nahm sie sanft am Arm und zog sie mit sich ins Innere des Hauses. War es so weit mit ihr gekommen, dass sie über einen Mann bereits ihre Verabredungen und Pläne vergaß?

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