Ich weiß nicht wie, aber eine Stunde und eine Weinflasche später liegen Brian und ich auf meinem Bett in entgegengesetzten Richtungen, mit dem Kopf zur Decke. Unsere Gespräche sind vom Hundertstel ins Tausendstel gegangen und damit anders als erwartet tiefgründig geworden. Er kennt nun die ganze Situation zwischen mir und Jay und tatsächlich weiß er auch, dass ich ihn liebe. Ohne dem Alkohol wäre es nicht so weit gekommen, aber seine Reaktionen sind alles andere als negativ.

„Und er hat dir bis jetzt nicht gesagt, dass er auf dich steht?" Seine Stimmlage ist eine Oktave höher, was mich zum gackern bringt.

„Nein.", antworte ich genauso überspitzt und ungläubig.

„Junge, ich dachte er hat mehr Eier in der Hose."

Ich hiefe mich hoch in den Schneidersitz. „Glaubst du etwa, dass er auch auf mich steht?"

„Wenn nicht fresse ich 'nen Besen." Sein Blick bleibt nach oben gerichtet. Wenn das schon sein bester Freund sagt, muss da was dran sein.

„Aber warum zieht er immer den Schwanz ein, wenn es ernst wird?"

„Ich bring ihn schon noch zur Vernunft." Jetzt setzt auch er sich hin. Genau in diesem Moment pinkt sein Handy. Unkoordiniert versucht er es aus seiner hinteren Hosentasche zu angeln. Ja auch ihm sieht man seinen Pegel an. Als er es geschafft hat dreht er die Beine aus dem Bett und scant mit den Augen deinen Bildschirm. Für einen kurzen Moment ist es still, bis er es wieder wortlos weg legt.

„Und wie willst du das machen?", greife ich unser Gespräch erneut auf.

„Ihn darauf ansprechen. So wie dich eben. Ihr habt es lange genug totgeschwiegen. Vielleicht gibt er es dann zu. Nicht nur mir, sondern auch sich selber."

„Klingt so, als würdest du dir wünschen, dass sich zwischen uns was entwickelt." Neugierig mustere ich seinen Rücken ab und sehe wie er kurz auflacht.

„Ich kenne dich jetzt, Lynn. Und ich mag dich. Und natürlich wünsche ich meinem ältesten Freund, dass er seine Vergangenheit hinter sich lässt und glücklich wird. Wenn du diejenige bist, die ihm dabei helfen kann, bin ich der Letzte, der etwas dagegen hat."
Mein Herz macht einen Satz, als Antwort auf seine gesagten Worte, da sie mich wirklich berühren. Wir wollten es immer vor ihm geheim halten und jetzt ist Brian derjenige, der mich dabei unterstützt. Ich fühle mich nicht schwach, weil ich vor ihm meine Gefühle zugegeben habe, sondern bestärkt, dass ich an ihnen festhalte. Nicht nur Resi - auch Brian hat meine Denkweise geändert und mich ermutigt nicht aufzugeben. Da ich ihm noch nicht geantwortet habe, dreht er sich nach mir um. Er sieht meine feuchten Augen und kann sich denken, was in mir vorgeht. Kurzerhand nimmt er mich in den Arm. Ich merke, dass er etwas verhalten ist, aber für ihn ist es ein großer Schritt seine harte Schale abzulegen. „Du packst das schon Kröte." Dann vibriert mein Handy und wir lassen ab. Wer schreibt mir denn um diese Uhrzeit noch? Ich klicke den Bildschirm an und lese Jayden's Namen darauf. Meine Atmung bleibt angespannt stehen.
„Was ist los?" Brian ordnet meine Reaktion ein.

„Jayden.", sage ich knapp.

„Ja bei mir auch."

Mein Kopf schnellt zu ihm herum. „Er war es, der dir gerade geschrieben hat?"

„Er hat mich gefragt, wo ich bin, aber ich wollte ihm jetzt noch nicht antworten. Wahrscheinlich will er sich für heute früh entschuldigen. Und was will er von dir?"

Ich setzte mich neben ihn an den Bettrand und halte mein Handy fest in der Hand. „Ich habe noch nicht geguckt."

„Worauf wartest du? Den Weltfrieden?"
Also entsperre ich es und tippe die Anzeige an, dann lese ich mir seine Nachricht durch.

Ich muss mit dir reden. Bitte.

Wieder und wieder überfliegen meine Augen den Text. Hatte Resi recht? Brian beugt sich zu mir rüber und schaut sich ebenfalls den Text an.
„Und?"

„Ich werde ihn abwimmeln." Zum einen sitzt Brian gerade neben mir und anderseits habe ich den Ratschlag meiner Freundin im Hinterkopf. Ich soll ihn zappeln lassen, sonst macht er vielleicht doch noch einmal kehrt.

„Du weißt, dass er dann austikt."

„Dann weißt du ja jetzt warum."
Herausfordernd sieht er mich an.
„Du hast gesagt, dass du mir helfen wirst.", hänge ich hinten dran, bevor er widerspricht.  Ich fange an zu tippen und Brian lässt es geschehen.

Ich brauche erst einmal Zeit zum nachdenken. Vorerst nicht.

Mit einem tiefen Atemzug schicke ich die Antwort an ihn ab und sehe dann zu meinem Saufkumpanen. „Jetzt brauche ich noch ein letztes Glas."

„Ich bin Barkeeper." Er erhebt sich stöhnend, nimmt die Gläser vom Boden auf und geht zum Kühlschrank. Als er zurück kommt reicht er mir meines. „Kann ich an deinem Fenster eine rauchen?"

„Von mir aus. Mach aber das große Licht aus, dass sich nicht jeder sieht."

Er greift in seine Jackentasche und holt die rote Schachtel heraus. Während ich mein kleines Nachtlicht anmache, knipst er den Hauptschalter aus und wirft die Jacke auf den Boden, neben seine Schuhe. Und sowie ich Brian dabei zugucke wie er im dämmernden Licht auf meinem Fensterbrett sitzt und sich eine Kippe anzündet, kommt mir der Gedanke, dass es damals immer Jay war, bin dem ich solche Abende verbracht habe. Fast so als hätte ich einen neuen besten Freund, jetzt wo sich meine Gefühle zu Jayden verändert haben.

„Er flippt bestimmt gerade richtig aus." Brian pustet den grauen Rauch in die kalte Herbstluft und wirkt dabei ziemlich nachdenklich. „Naja bis hier habt ihr es erstmal geschafft. Jetzt müsst ihr irgendwie noch zum wir werden."

„Es würde nichts bringen jetzt schon nachzugeben, so gerne ich es auch möchte."

"Ich weiß. Ich mach mir nur Sorgen um ihn." Er trinkt einen Schluck vom Wein und nimmt einen erneuten Zug.

"Ich auch. Du solltest zu ihm gehen." Ich stehe auf und bringe mein leeres Glas zur Spüle. Als ich es abwasche schließt Brian das Fenster und kippt es an. Ich höre ihn zu mir herüber kommen, bis er neben mir stehen bleibt. Er stellt seines ab und dreht sich dann zu mir.

"Kommst du klar?"

"Natürlich. Und du?"

"Mein Kopf hat viel zu verarbeiten, aber ich hatte tatsächlich Spaß mit dir du Spaßbremse."

„Ich hasse dich."

Er fängt an zu lachen und ein letztes Mal für heute nehmen wir uns in den Arm. Als er seine Jacke aufhebt und sich die Schuhe anzieht, lasse ich den Abend im Schnelldurchlauf Revue passieren. Es war wirklich ein schöner Abend. Ich bin erleichtert und fühle mich sogar richtig gut - auch wenn ich Jay eine Absage erteilt habe. Er hat schneller geschrieben als gedacht, was ein gutes Zeichen ist. Und wenn Brian gleich nach Hause kommt, hat er mit ihm eine super Unterstützung.

„Komm gut Heim, du Penner.", verabschiede ich ihn an der Tür, bis er salutierend den Raum verlässt. Dann bleibe ich alleine zurück. Erschöpft schließe ich die Tür hinter mir und falle ins Bett. Was für ein verrückter Abend.

𝕍𝕠𝕟 𝕙𝕚𝕖𝕣 𝕓𝕚𝕤 𝕫𝕦𝕞 𝕨𝕚𝕣 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt