Kapitel 11

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Entsetzen breitete sich wie eine eiskalte Decke auf mir aus.Kallias stand in Apollos Hyazinthen-Garten, der seinem früheren Geliebten, Hyakinthos, gewidmet war. Die heiße, helle Sonne warf einen goldenen Schein über den Garten und ließ die Farben heller erscheinen, einschließlich Kallias leuchtend rotes Haar, das in einem langen Zopf mit goldenem Lametta über seine Schulter fiel. Seine durchsichtigen weißen Roben fielen in Wellen auf den Kopfsteinpflasterweg. Aber was mich wirklich entsetzte, war, dass Dorean neben ihm stand, der ein wenig verwirrt, aber nicht panisch aussah."Was ist hier los?", fragte ich an zusammengebissenen Zähnen vorbei. Kallias sah erleichtert aus, dass ich ihn nicht wie sonst anbrüllte, was ich eigentlich tun sollte, doch brachte ich das vor Dorean nicht über mich. Ich wusste nur zu gut, dass er laute Geräusche hasste und mein Geschrei würde ihn nur dazu bringen, mich zu hassen... vielleicht war das doch keine so schlechte Idee."Ich dachte mir, dass du dich nur mit mir unterhalten wirst, wenn ich mir deinen Imp hole", gab Kallias zu, weshalb ich hasserfüllt zischte und mir wünschte, ihm jede kleine Strähne seines roten Haares vom Kopf zu reißen, "Und das Beste ist, dass er eine Münze bei sich trug. Oder besser gesagt, mehr als eine." Kallias öffnete seine ausgestreckten Hände von sich und ließ etliche Münzen zu Boden fallen, die in seinen Ärmeln versteckt waren. Das mussten mindestens fünfzig Münzen sein. Meine Augen weiteten sich und mein Kopf schnellte hoch, um Dorean anzusehen, der bis zu den Spitzen seiner spitzen Ohren errötete. Kallias sah sowohl amüsiert als auch verärgert aus."Scheinbar mag dich da noch jemanden genauso sehr wie ich, Xenon", kommentierte er. Dorean runzelte die Stirn, verschränkte die Arme vor der Brust und warf Kallias einen genervten Blick zu."Ja, aber Xenon mag mich nicht auf diese Art", antwortete er. Kallias grinste ihn an."Aber das tut er. Deshalb schreit er mich nicht an und verlässt mich auch nicht, wie er es sonst immer tut", erklärte er. Dorean hielt inne, warf mir einen Blick zu und sah dann Kallias interessiert an."Wer bist du?", wollte er wissen. Kallias lächelte und öffnete den Mund, um ihn zu antworten, doch unterbrach ich ihn mit einem wütenden Knurren."Halt dein verdammtes Maul, Kallias, bevor ich dir die Zunge herausreiße", drohte ich ihm. Kallias sah zu mir und Dorean runzelte die Stirn. Er warf mir wieder diesen strengen Blick zu."Xenon, halt die Klappe", wies er mich an. Da verschlug es mir die Sprache. Niemand, nicht einmal meine eigenen Geschwister oder mein Vater, hatte mir je gesagt, dass ich die Klappe halten sollte. Niemand hat es je gewagt, so mit mir zu sprechen. Und doch hatte ein Imp es gerade so beiläufig und ohne einen Funken Furcht in den silbernen Augen getan. Sogar Kallias sah verblüfft aus, bevor sich sein Gesicht vor Freude erhellte."Mein Name ist Kallias... und Xenon ist mein Bruder", fügte er hinzu. Doreans Augen weiteten sich überrascht, bevor er sich umdrehte, um mich für die längste Zeit anzustarren. Ich erwartete, dass er wütend werden würde, doch zu meiner großen Verwunderung und Verärgerung wandte er sich wieder fröhlich Kallias zu."Ich bin Dorean", stellte er sich vor. Kallias lächelte noch breiter."Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen, Dorean. Mein Bruder weigert sich, mir von dir zu erzählen. Wir haben eine kleine Meinungsverschiedenheit...""Meinungsverschiedenheit", stotterte ich ungläubig, "Du...! Ich kann nicht...!" Ich konnte nicht einmal in Worte fassen, wie sehr ich gerade Kallias tot wollte. Also versuchte ich es nonverbal und stürzte mich auf ihn. Dorean stellte sich sofort zwischen uns und ich hielt abrupt an, holte scharf Luft und zischte an zusammengebissenen Zähnen einen Befehl aus."Zur Seite." Dorean funkelte mich an."Sag mir nicht, was ich tun soll.""Dorean, ich meine es ernst. Ich werde ihn töten.""Warum?""Weil! Jetzt geh zur Seite!""Nein", schoss Dorean zurück, "Du schreist und ich mag es nicht, angeschrien zu werden. Was habe ich zu dir gesagt? Über das Hassen von Leuten?""Tja, weißt du, ich bin halt keine gute Person", erwiderte ich hitzig. Dorean zuckte zusammen. "Ich bin eine schlechte Person. Ich werde diesem betrügerischen Bastard den verdammten Kopf abreißen, wie ich es schon vor Jahrhunderten hätte tun sollen." Dorean bewegte sich noch immer nicht von der Stelle und mein Temperament stieg stetig und es wurde noch schlimmer, als Kallias Doreans Schulter berührte."Er wird mich nicht töten, Dorean", versicherte Kallias ihn sanft, "er wird mich wahrscheinlich nur schlagen und dabei Apollo verärgern. Also, wenn du einen weiteren Krieg mit den Griechen vermeiden willst, lässt du es besser sein. Apollo favorisiert mich so sehr, dass er dir eine Tracht Prügel verpassen würde." Ich zuckte, ballte und löste meine Fäuste, während ich mir wünschte, dass sein Hals zwischen ihnen liegen würde. Dorean zögerte, gab schließlich den Weg frei, blieb aber sehr dicht bei Kallias stehen.Dabei durchfuhr mich ein Schmerz, den ich zu unterdrücken versuchte, da mir klar war, dass Dorean nicht wusste, was für ein Monster Kallias war. Für ihn war Kallias ein höfliches Wesen mit einem liebevollen Lächeln. Aber unter dieser Fassade war er ein verräterischer Bastard. Und dennoch fühlte es sich, wie ein Stich ins Herz an, als ich Dorean neben Kallias stehen sah."Xenon", sagte Kallias sanft und ich strotzte erneutem vor Hass, als sich unsere Blicke trafen, "ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich bereue meine Tat nicht, doch tut es mir leid, was ich dir dabei angetan habe. Wie ich es schon einmal gesagt habe, war es nie meine Absicht gewesen, dir weh zu tun. Ich würde dir nie weh tun wollen. Nicht nach allem, was du für mich getan hast. Schon seit wir Kinder waren, hast du mich immer verteidigt, vor... vor den anderen." Er spie das letzte Wort aus, als ob es ein Fluch wäre. Es juckte mir in den Händen, ihm eine mit meiner Rückhand zu verpassen, dass ihm der Kiefer brach. Einzig Doreans neugieriger Blick, der aufmerksam meine Reaktion abwartete, hinderte mich daran."Du warst für mich immer der beste Bruder gewesen, Xenon", fuhr Kallias fort, erleichtert, dass ich ihn nicht unterbrochen hatte. "Du hast mir deine Geheimnisse anvertraut und ich dir meine. Du warst mein Lieblingsbruder, warst es immer und wirst es immer sein. Denn die Sache, an der du nicht beteiligt warst... war Dextius Tod." Ich sah ihn verwirrt und wütend an."Dextius?", wiederholte ich. Kallias sah nun ein wenig verletzt aus. Einen Moment lang biss er sich auf die Unterlippe und sah zu Boden, bevor sein Kopf wieder hochschoss, um meinen Blick zu begegnen."Dextius. Er war... ein paar Wochen lang, bevor wir gegen die Griechen in den Krieg gezogen waren, mein Geliebter gewesen. Als du hineingeplatzt bist, war er es gewesen, der..." seine Stimme versagte und da fiel es mir wieder ein.Ich erinnerte mich noch gut an den atlantischen Prinzen. Sein Name war auf unserer Insel weit verbreitet gewesen, doch nachdem, was er mir gerade erzählt hatte, fiel mir alles wieder ein. Er war ein wunderschöner Mann mit leichter Bräune, Muskeln und dunkelblondem Haar gewesen, das ihm in Locken um sein gemeißeltes Gesicht fiel und seine wilden blauen Augen betonte. Sein Teint, Haar- und Augenfarbe war eine Seltenheit unter unserem Volk. Noch seltsamer waren die Sommersprossen auf seiner Nase. Er hatte streng darauf geachtet, dass an sämtlichen Feiertagen zu unseren Ehren gefeiert wurde, und an unseren Tempel immer die größte Spende gemacht.Aber Kallias Geliebter? Offensichtlich hatte Dextius Vater nichts davon gewusst, denn auch wenn es eine große Ehre war, für einen Prinzen der Liebhaber eines Gottes zu werden, war sie auch ein Hindernis, da aus dieser Liebe kein Erbe hervorkommen konnte, da sie beide männlich waren – und keine Feen."Ich hatte ihn geliebt", stammelte Kallias, wobei er mich aus meinen Erinnerungen zurückholte, um die Qual in seinem Gesicht zu sehen, "ich wollte ihn für immer bei mir haben. Ich wollte ihn Unsterblichkeit verleihen und ihm erlauben, mein Gemahl zu werden, damit er mich nie verlassen könnte.""Er war ein Prinz!", rief ich aus, verblüfft, dass Kallias mir nie von seinem Geheimnis erzählt hatte. Kallias zuckte zusammen und ballte die Fäuste."Das haben sie auch gesagt", brachte er vor Wut und Schmerz zitternd heraus, "als unsere Brüder und Schwestern von Dextius erfuhren, hatten sie mich nicht unterstützt, wie es Geschwister sollten, sondern ihn ausgetrickst, damit er zu meinem Tempel kam. An meinem verfickten Geburtstag. Er wollte mir ein Geschenk bringen. Dort hatten sie auf ihn gelauert." Kallias atmete schwer."Du willst verdammt nochmal wissen, warum ich jede erbärmliche Kreatur zerstört habe, die es jemals gewagt hat, sich meine Familie zu nennen? Du willst wissen, wieso ich eine Insel voller wertloser Kakerlaken, die es gewagt hatten, über meinen Geliebten herzuziehen, versenkt habe?"Nicht wirklich, aber er würde es mir trotzdem sagen."Sie haben ihn ruiniert", knurrte Kallias plötzlich, was sowohl Dorean als auch mich dazu brachte, einen Schritt zurückzutreten, als eine kalte Kraft durch den Garten fegte, dass es schon an ein Wunder grenzte, dass die Hyazinthen nicht an den extremen Temperaturschwankungen starben, "Diese Bastarde hatten wiederholt ihre Hände auf ihn gelegt! Sie brachten ihn zum Schreien und Weinen! Und als sie mit ihm fertig waren, warfen sie ihn ins Meer, wo er aufgrund seiner Verletzungen ertrank! Sie hatten ihn misshandelt, getötet und weil ich so verdammt beschäftigt damit gewesen war, mich auf einen Krieg vorzubereiten, der mir scheißegal war, konnte ich es nicht verhindern! Ich hörte ihn nicht um Hilfe schreien oder weinen! Das hatten mir dieser erbärmliche Abfall lachend berichtet!""Du lügst", klagte ich, doch es klang schwach. Weil sie das schon einmal getan hatten. Unsere Geschwister, so sehr ich sie auch liebte, konnten geradezu grausam sein, denn so waren Götter nun mal. Personen im Allgemeinen. Gibt man einem zu viel Macht, fängt dieser an, sie zu missbrauchen. Kallias hatte vor Dextius viele Liebhaber gehabt, die, sobald sie von unseren Geschwistern entdeckt und gefoltert wurden, vor Kallias flohen und ihn in Ruhe ließen.Jedes mal, wenn das geschah, war Kallias zu meinem Tempel gestürmt, hatte geweint und geschrien, wie sehr er sie doch hasste. Ich erinnerte mich, ihm und mir gesagt zu haben, dass sie es nur aus Eifersucht getan hatten. Er war unser Bruder und wir wollten niemanden in seiner Nähe, doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr schmerzte es mich zu erkennen, dass sie das nur taten, weil sie bösartig waren."Deshalb habe ich dir nie von ihm erzählt", Kallias verschluckte sich an Tränen, die ihm in die Augen stiegen, "Weil ich wusste, dass du mir wieder dieselbe Rede halten würdest, wie immer. Oh, sie sind nur eifersüchtig, Kallias. Oh, ignoriere sie einfach, Kallias. Oh, du wirst jemand anderen finden, Kallias. Aber Dextius war der Eine! Er war derjenige, den ich beschützen wollte! Er war derjenige, den ich für die Ewigkeit wollte! Für ihn habe ich unser Pantheon verraten! Glaubst du wirklich, ich würde sie damit davonkommen lassen, was sie meinem Dextius angetan haben?! Als ich seine Leiche fand, war sie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt! Ich konnte seine Leiche nicht einmal seiner Familie übergeben! Also haben die Leute irgendeinen Scheiß darüber verbreitet, wie unser Vater ihn weggebracht hatte, weil er dreckig war! Diese Monster haben auf sein Andenken gespuckt! Niemand wusste, wie perfekt und schön und schlau und talentiert er war! Niemand wusste, dass er mit seinem Bogen aus über 30 Metern Entfernung auf ein Ziel schießen konnte! Niemand wusste, dass er all unsere Geschichten auswendig aufsagen konnte! Niemand wusste, dass er jedes kleine Geschöpf schätzte, das ihm über den Weg lief!""Kallias—""Halt die Klappe", rief Kallias unter Tränen und ich runzelte die Stirn, "Sei still! Endlich kann ich es dir sagen, also halt gefälligst den Rand! Ich möchte, dass du weißt, warum ich all diese wertlosen Bastarde getötet habe und warum ich nichts davon bereue! Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es noch einmal tun! Ich würde es langsam tun und sicherstellen, dass all diese herzlosen Monster erkannten, was sie schreckliches getan hatten! Wie konnten sie es wagen, ihn so zu behandeln! Dextius war ihr Prinz! Er wurde vom Gott des Schutzes auserwählt....! Schutz?! Wie könnte ich der Gott des Schutzes sein, wenn ich nicht einmal die eine Person retten konnte, die mir auf der Welt am wichtigsten war? Das haben sie zu mir gesagt, weißt du! Während sie darüber lachten, wie sehr sie ihn misshandelten hatten, bis er blutete und seine Knochen brachen, verspotteten sie mich, weil ich ihn nicht retten konnte, weil ich ihnen in einem Krieg assistierte, den sie begonnen hatten!"Ich bekam kein Wort heraus. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es fühlte sich wie ein Tritt in den Magen an und mir wurde schlecht. Dorean sah aus, als ob er den Tränen nahe wäre. Und zu meiner großen Qual und Überraschung ging er zu Kallias und umarmte ihn, legte seinen Kopf an Kallias Brust. Kallias brach in Tränen aus, sank auf die Knie und umarmte Dorean fest um die Taille. Dorean umarmte ihn zurück.Eine Million Emotionen zerrissen mich. Eifersucht, dass Kallias Dorean berührte. Schmerz, dass Dorean die Person berührte, die ich Jahrhunderte lang gehasst hatte. Schuld, dass ich das Ausmaß von Kallias Leiden nie bemerkt hatte. Verwirrung, dass meine Geschwister so grausam waren. Und einige andere, die ich nicht identifizieren konnte.Ausnahmsweise wusste ich nicht, was ich tun sollte.Also stand ich einfach dumm da und sah zu, wie Dorean Kallias umarmte, bis sein heulendes Schluchzen in Wimmern und Schniefen überging."Es tut mir leid, dass sie die Dextius weggenommen haben", sagte Dorean leise, seine Stimme war das einzige, was die Stille füllte, als Kallias seinen Kopf neigte, um ihn unter Tränen anzusehen, "Es gibt vielleicht böse Leute auf der Welt... Aber es gibt auch gute Leute. Xenon ist gut. Er tut nur so, als ob er es nicht ist, weil er Angst hat." Da versteifte ich mich. Ich wollte es leugnen und ihm sagen, dass er das in der kurzen Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, unmöglich wissen konnte, doch das wäre eine Lüge und ich konnte mich nicht dazu überwinden, noch mehr lügen zu erzählen. Deshalb blieb ich wie ein Idiot angewurzelt stehen, während Dorean Kallias tröstete.Ich wollte eine Lüge in Kallias Erzählung finden, aber seine Reaktion war nicht geschauspielt. Nicht diese Art von Schmerz. Ganz zu schweigen davon, dass meine Geschwister diese Art von Grausamkeit schon früher begangen hatten. Sie würden es wieder tun, nur um Kallias jammern und schluchzen zu sehen.Aber es änderte immer noch nichts an der Tatsache, dass Kallias sie und Tausend andere getötet hatte. Obwohl mein Herz für ihn schmerzte, fiel es mir immer noch schwer, die Tatsache zu verdrängen, dass Kallias mir auch alles genommen hatte, was mir jemals etwas bedeutet hatte. So grausam und verdreht unsere Geschwister auch waren, waren sie noch immer meine Geschwister gewesen. Das gilt auch für unseren Vater, Tanten, Onkel und Cousins. Sie alle waren mit tausend anderen verschwunden, die sich auf den Straßen versammelt hatten, um uns anzubeten und uns zu lieben. Wie konnte ich ihm das verzeihen?"Wenn du willst, dass ich dir vergebe, das werde ich nicht", sagte ich schließlich. Dorean warf mir einen warnenden Blick zu, doch Kallias stand auf und wischte sich mit einer Hand über die Augen, während er mit der anderen Dorean durchs Haar strich, um seine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen."Ich bitte dich nicht, mir zu vergeben", sagte Kallias zwischen einem Schniefen, "ich möchte nur, dass du verstehst, warum ich es getan habe. Und warum ich überhaupt keine guten Erinnerungen an diese Leute habe.""Du hast sie getötet. Sie alle. Du hast sie vielleicht gehasst, aber ich nicht", antwortete ich monoton. Kallias zuckte zusammen und rang seine Hände."Das war egoistisch von mir gewesen und es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe... Aber ich bereue es nicht.""Und ich vergebe dir nicht. Somit sind wir wieder am Anfang, nur dass ich dich dieses Mal nicht töten werde, weil du genug leidest und ich dich lieber leiden sehe, als dass du deine Bestrafung in der Hölle entkommst", antwortete ich kalt. Kallias biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Dorean musterte ihn eine Weile traurig und Kallias lächelte ich traurig an."Kümmere dich um meinen Bruder, Dorean. Bitte. Er ist alles, was ich noch habe", sagte er leise. Dorean nickte, streckte die Hand aus und nahm Kallias Hand, um einen kleinen Kuss auf die Spitze seines Zeigefingers zu drücken. Ein heißer Stich der Eifersucht durchfuhr mein Herz, doch beobachtete ich sie weiterhin nur stumm und regungslos."Ist Impisch", erklärte Dorean Kallias, als er ihm einen neugierigen Blick zuwarf, "Bedeutet, Glück sei mit dir. Ich verspreche, mich um Xenon zu kümmern. Immer." Kallias lächelte und beugte sich hinunter, um Dorean zu umarmen, bevor sie sich voneinander lösten und Dorean auf mich zukam und seinen Arm um meinen legte, als ob er mich besäße. Ich sah Kallias an, verblüfft über Doreans Kühnheit. Kallias lächelte."Ich mag ihn", äußerte er. Dorean strahlte darüber. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also ließ ich uns vom Rauchmantel umwickeln und teleportierte uns von Apollos Tempel zurück zu Hades Palast, wo noch die Babyparty stattfand. Die Musik spielte noch, die Leute unterhielten sich begeistert und die Geschenke waren bereits weggebracht, damit Persephone sie öffnen konnte."Ich mag deinen Bruder", sagte Dorean einen Moment später, als wir in einem Flur standen, indem es ruhiger und privater war. Ich verzog daraufhin das Gesicht, drehte mich zu Dorean um, legte meine Arme um ihn und drückte ihn fest an mich. Er keuchte und sah ein wenig überrascht aus, bevor er sich auf die Zehenspitzen stellte, damit ich ihn besser umarmen konnte. Ich seufzte erleichtert und war froh, ihn in meinen Armen zu spüren.Ich wusste zuerst nicht, was ich denken sollte, als ich Dorean neben Kallias stehen sah. Ich fragte mich, ob Kallias ihn etwas antun wollte. Doch wenn ich bedachte, was unsere Geschwister ihm und Dextius angetan hatten... Es ergab einen Sinn, warum Kallias Dorean nichts angetan hatte. Sonst hätte ich ihn nämlich umgebracht.Dann wäre das atlantische Pantheon wirklich ausgestorben.Ich ließ Dorean los und trat einen Schritt zurück, um ihn zu betrachten, und vergewisserte mich aus Paranoia noch einmal, dass er nicht verletzt war. Es schien ihm gutzugehen, abgesehen davon, dass er mich mit seinen großen silbernen Augen anstarrte – und dass er meinen Bruder mochte. Natürlich wusste er nicht, wie groß der Schaden war, den Kallias angerichtet hatte. Oder vielleicht tat er das und zog es vor, es zu ignorieren. Da war ich mir nicht sicher."Wie hatte Kallias dich zu sich holen können?", fragte ich verwirrt. Dorean sah mich stirnrunzelnd an."Ich weiß nicht", gab er zu. Das gefiel mir nicht, doch wollte ich auch nicht zu Kallias zurückkehren, um ihn zu fragen. Tatsächlich hoffte ich, dass er all die Münzen wieder verlor, die er Dorean abgenommen hatte, damit er mich nie wieder herbeirufen könnte. Ich wollte ihn einfach nur vergessen und weiterhin so tun, als ob ich der einzige verbliebene Atlanter wäre."Xenon?", fragte Dorean. Ich schreckte aus meinem Starr-Wettstreit gegen die Wand zurück, um ihn anzusehen. Er studierte einen Moment lang meinen Gesichtsausdruck und strahlte mich dann an."Er hatte recht", fing er an, was mich irritierte, "Xenon mag mich." Ich fühlte, wie sich Wärme auf meinem Gesicht ausbreitete und wandte mich schnell von ihm ab, um zum Thronsaal zu gelangen. Da Dorean nicht Dorean wäre, wenn er mich entkommen ließe, holte er mich rasch ein, um seinen Arm um meinen zu schlingen und seine Wange dagegen zu drücken."Ist schon okay. Ich kann warten. Ich habe davor ewig gewartet, ich kann wieder ewig warten", versicherte er mir. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, also entschied ich mich, nichts zu sagen, während wir erneut den Thronsaal betraten. Dorean verließ mich umgehend los, um aufgeregt zu Adrian und Abel zu rennen. Ich war mir nicht sicher, was er ihnen erzählen wollte. Hoffentlich nichts über Kallias. Aber Dorean war schlau. Er kannte meine Gefühle zu diesem Thema."Du siehst niedergeschlagen aus", sagte eine Stimme. Ich versteifte mich für einen Moment und drehte mich herum, um Hades zu erblicken, der neben mir aufgetaucht war, seinen Wein im silbernen Kelch wirbelnd. Ich sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an und folgte seinen Blick zu Dorean. Angst und Wut durchfuhr mich, doch ich blieb stoisch."Du siehst verärgert aus", erwiderte ich. Seine Mundwinkel zuckten, bevor er sich zu mir umdrehte und ich ihn wachsam beobachtete."Blaine scheint den Bedingungen zuzustimmen. Doch ich lasse dich noch nicht vom Haken. Du wirst morgen da sein, wenn Ambrosius zur Welt kommt", sagte er mir und verzog das Gesicht."Warum muss ich da sein?""Um sicherzustellen, dass Blaine ihn abgibt.""Und was, wenn nicht? Was dann? Ihm eine verpassen?""Wenn es sein muss.""Dann wird Cerberus meine Hoden toasten.""Ein kleiner Preis für meinen Sohn.""Ich verliere meine Hoden nicht wegen eines Säuglings, für den ich nicht einmal verantwortlich bin.""Oh", Hades zog eine Augenbraue hoch und drehte seinen Kopf, um zu Dorean hinüber zu schauen, "für ihn schon." Ich biss die Zähne zusammen und fixierte Hades mit einem feindseligen Blick, den er ignorierte und winkte abweisend mit der Hand, während er einen Schluck von seinem Wein nahm, bevor er mir den Kelch reichte. Als ob ich diese Pisse trinken würde, nachdem er daraus getrunken hatte. Ich kräuselte meine Lippe vor Ekel und er schenkte mir ein selbstgefälliges Grinsen, das mich herausforderte, ihm zu trotzen. Ich war fast versucht, doch dann kehrte Dorean an meine Seite zurück und lächelte zu mir hoch."Xenon, komm, setz dich zu mir!", befahl er."Ja, Xenon", grinste Hades ihn an. Ich warf ihm einen letzten drohenden Blick zu, bevor Dorean mich zu einem Tisch führte, um Platz zu nehmen. Sofort herrschte Anspannung. Abel und Kain saßen uns gegenüber, zusammen mit Adrian und Noe. Alle musterten mich wie eine Spinne in der Dusche. Ich hatte das Gefühl, dass selbst Prometheus willkommener wäre, als ich. Doch ich schwieg wie ein Grab, die Hände in den Taschen geballt, um Dorean nicht zu verärgern und lehnte mich mit ausgestreckten gekreuzten Beinen in meinen Sitz zurück.Abel und Kain beäugten mich beide misstrauisch. Kain sah noch mehr wie eine giftige Schlange aus als Abel, obwohl sie Zwillinge waren. Abel färbte sich das Haar marineblau und hielt es etwas länger, als das von Kains. Es reichte ihm bis zum Nacken und hatte einen Pony. Kain blieb bei seinem natürlichen Kastanienbraun, vielleicht drei Zentimeter kürzer als das von Abels. Jedenfalls war Abel um ein paar Zentimeter größer und etwas schlanker. Er trug ein lässiges, ellbogenlanges Hemd und schwarze Jeans, während Kain ein enges rot-schwarzes Korsett über einem schwarzen Rollkragenpullover und einer Lederhose trug.Wie seltsam für Zwillinge, so ähnlich und doch so unterschiedlich zu sein, aber schließlich hatte ich zwei Zwillingspaare unter meinen Geschwistern gehabt, die ebenfalls das Gegenteil voneinander waren.Währenddessen warf mir Noe nur ab und zu einen Blick zu, als ob er Angst hätte, erwischt zu werden. So wie damals, als ich herausfand, dass er das Orakel von Tartarus war. Noe war ähnlich wie Abel gebaut, schlank und geschmeidig, mehr auf Geschwindigkeit als auf körperliche Stärke ausgelegt. Er war auch um ein paar Zentimeter kleiner, sogar kleiner als Kain. Noes dunkles, fast schwarzes Haar war ungekämmt und reichte ihm bis zum Kinn, mit Ausnahme der beiden längeren Strähnen, die zu beiden Seiten seines Gesichts seine Schultern berührten. Seine Augen hatten einen einzigartigen lavendelblauen Farbton. Anstelle seiner üblichen Uniform trug er fingerlose schwarze Handschuhe, ein malvenfarbiges, ellbogenlanges Hemd unter einem schwarzen ärmellosen Rollkragenpullover und eine Lederhose. Dazu trug er ein Paar Stiefel mit Absatz, mit denen er etwas näher an Kains Größe kam."... so schön! Und das Haus ist so groß und es macht Spaß, darin zu singen, weil es da drinnen hallt!", hörte ich Dorean sagen, als ich aus meinen Gedanken zurückkehrte und von Noe wegsah, um zu sehen, wie Dorean begeistert mit den Händen wedelte."Oh ja", sagte Adrian und warf mir einen scharfen Blick zu, woraufhin ich meine Augen verengte, "doch das klingt irgendwie einsam, da Xenon die meiste Zeit weg ist." Dorean zuckte mit den Schultern und begann sündhaft zu lächeln."Das bedeutet nur, dass ich mich umso mehr freue, wenn er nach Hause kommt", antwortete er. Noe sah ihn an und zog überrascht die Augenbrauen hoch."Der Ausdruck auf deinem Gesicht lässt mich wundern, was ihr macht, wenn er zu Hause ist." Diesmal fixierten mich vier Augenpaare, als würden sie mich beschuldigen, den Imp entjungfert zu haben. Ich wollte ihnen den Vogel zeigen. Wenn jemand vorsichtig sein musste, dann ich. Allerdings würde mir niemand glauben, wenn ich ihnen sagen würde, dass ihr kostbarer unschuldiger Imp mich absichtlich abgefüllt hatte, um mich betatschen zu können, ohne dass ich ausflippe. Andererseits bin ich das sowieso. Also schätze ich, dass Doreans Plan nicht aufgegangen war... Diesmal. Wer weiß, wann er es wieder versuchen würde?So sehr ich Dorean auch liebte, musste ich trotzdem vorsichtig sein. Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Beziehung überhaupt wollte. Es gab zu viele Nachteile, welche die Vorteile überwogen.Dorean würde zu meiner Achillesferse werden. Die Leute konnten mich leicht manipulieren, indem sie ihn als Druckmittel benutzten. Was, wenn ihm etwas zustoßen würde? Auch als Kallias ihn sich geschnappt hatte, konnte ich nicht verhindern, dass sich mein Magen vor Furcht in einen Eisklumpen verwandelte. Wenn ihm meinetwegen etwas zustoßen würde... Nun, dann würde Kallias der letzte lebende Atlanter sein."Xenon?" Ich richtete mich wieder auf. Wow, was hatte ich nur für eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Da drehte ich mich zu Dorean, der mich besorgt ansah. Ich sah auf und stellte fest, dass alle seine Freunde gegangen waren. Mit gerunzelter Stirn blickte ich zu Dorean zurück. In diesen silbernen Kugeln lag ein Funkeln der Trauer, das mein Herz zerquetschte und ich hasste mich dafür, dass ich mich so fühlte. Aber zu leugnen, was ich für Dorean empfand, wäre sinnlos. Es ging darum, zu lernen, mit den Gefühlen umzugehen, mit denen ich Schwierigkeiten hatte."Was ist passiert?", wollte ich wissen. Dorean hob eine Augenbraue und drückte meinen Arm, bevor er nach seinem Glas Wasser griff."Du hattest aufgehört zu reden und wurdest ganz still.""Ich hatte etwas gesagt?""Ja", erwiderte er streng, verzog dann das Gesicht und veränderte seine Stimme so, dass sie wie eine schlechte Imitation von mir klang, "Das ist alles seine Schuld. Er... und dann wurdest du ganz still." Mir wurde heiß vor Verlegenheit, doch dann schluckte ich und räusperte mich."Das tut mir leid", murmelte ich. Dorean seufzte, stellte sein Glas zurück auf den Tisch und strich schmollend mit dem Finger darüber."Nein... mir tut es leid", sagte er und brachte mich dazu, ihn verwirrt anzusehen, "was ich getan habe, war nicht nett. Ah, ich meine letzte Nacht. Ich wusste, dass du mich nicht an dich heranlassen würdest, also... Ich weiß nicht, was ich dachte. Ich verspreche, es das nächste Mal zu tun, wenn du wach bist." Es kostete mich jedes bisschen Kraft, um nicht darüber zu lachen. Zu viel zu seiner Entschuldigung, doch wenn er mich das nächste Mal besprang, würde er es zumindest tun, wenn ich nüchtern war. Es amüsierte mich maßlos, weshalb mir ein Glucksen entkam, woraufhin mich Dorean neugierig musterte."Ich habe mich entschuldigt", stellte er klar. Ich grinste."Ja. Ich habe dich gehört."Jep", erklärte Dorean, "denn das wäre das Richtige. Letzte Nacht warst du nicht bei klarem Verstand, aber das nächste Mal wirst du es sein und ich werde dich dazu bringen, ja zu sagen, und dann können wir uns wieder berühren." Berühren. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, also lächelte ich Dorean nur an, der mich anstrahlte.Ich wusste nicht, wie lange ich mit Dorean zusammen sein könnte, bevor etwas passierte.Ich wollte nicht, dass zwischen uns etwas geschah, aber ich war nur ein Gott.Ich konnte nicht einmal eine Insel voller Anbeter oder mein Pantheon retten. Wenn ich sie schon nicht retten konnte, dann standen meine Chancen, Dorean zu retten...Noch eine Nacht, versprach ich mir.Lasst mir noch eine Nacht mit ihm und dann bringe ich ihn dorthin zurück, wo er hingehört.

Nachspiel [malexmale] (Übersetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt