Kapitel 22

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Jeongguks Sicht:

Jimin konnte sich so weit von mir weg drehen, wie er wollte. Ich würde seine Tränen immer sehen können. Im ersten Moment war mir nicht klar, wieso er weinen musste. Aber als ich das Geburtstagsdatum seiner Eltern sah, erklärte sich das von selbst. Nelken waren die Geburtsblumen des Januars und wahrscheinlich hatten sie für Jimin und seine Eltern eine tiefsinnige Bedeutung. Ich fand sie jedenfalls sehr schön und sie machten diesen schrecklichen Ort etwas erträglicher für mich. Es herrschte so eine dunkle Aura, die einem die Kehle zu schnürrte. Taehyung hatte mir mal erzählt, dass wir die Seelen der Verstorbenen spürten, wenn wir dinen Friedhof betraten. Damals habe ich ihm kein Wort geglaubt und dachte, dass er mich bloß ärgern wollte. Aber als ich vorhin vor diesem Tor stand, kam es mir so vor, als würde ein Felsen auf mich stürzen. Ein Felsen voller negativen Gefühlen, die sich in mein Fleisch und Blut bohrten.

Dementsprechend stand ich versteift vor dem Grab von Jimins Eltern und versuchte mir nichts anmerken zu lassen, wie schlecht es mir mit jeder Minute ging. Ich wollte diesen Ort nicht mal betreten, weil all meine Alarmglocken klingelten. Aber ich hatte Jimin versprochen, mich bei seinen Eltern zu entschuldigen.

"Das ist so bescheuert. Aber ich bin hier um mich bei Ihnen zu entschuldigen, Frau und Herr Park. Jimin mag mich nicht besonders und will eigentlich gar nichts mit mir zu tun haben. Aber es ist meine Aufgabe an seiner Seite zu bleiben und auf ihn aufzupassen. Darauf wurde ich mein ganzes Leben vorbereitet, aber irgendwie... bin ich sehr schlecht darin. Mir tut es leid, wenn ich ihren Sohn zur Weißglut und das schlechteste aus ihm heraus bringe. Ich hoffe, dass sie nicht allzu sauer auf mich sind", murmelte ich leise, sodass Jimin mich nicht hörte.

Ich presste die Lippen zusammen und sah zu Boden, während ich mich von dem Grab abwandte. Jedoch hielt ich kurz inne und drehte mich wieder zurück.

"War er schon immer so zickig? Ich meine es ernst. Er meckert mich für jeden Scheiß an und macht mir das Leben schwer. So schlimm bin ich auch nicht, um mich so behandeln zu müssen. Ich weiß nicht mal, ob ihm die Calendulas gefallen. Wieso ist er so schwierig? Ach, ich bin einfach verzweifelt. Ich werde mir jedenfalls Mühe geben, auch wenn er mich in den Wahnsinn treibt", flüsterte ich ihnen aufgebracht zu, bevor ich mich endgültig abwandte und zu dem Schwarzhaarigen lief, der die Blumen in seinen Armen betrachtete.

"Lass uns nach Hause gehen. Ich bin müde", sagte er schniefend, als ich vor ihm stand.

Dabei schaute er mit seinen geröteten und angeschwollen Augen in meine. Seine Nasenspitze war etwas rot und sein Gesicht glich einer weißen Wand. Seine schwarzen Haare wehten im Wind, sodass seine Stirn etwas freigelegt wurde. Meine Mundwinkel hoben sich leicht, weil er zum ersten Mal entspannte Gesichtszüge in meiner Gegenwart hatte. Vielleicht sollte ihm öfter Blumen schenken, wenn diese sein Gemüt verbesserten. Er richtete nach wenigen Augenblicken seinen Kopf zu Boden und wimmerte gequält. Mein Lächeln verschwand und in meiner Brust zog sich alles zusammen.

"Okay, wir gehen nach Hause", erwiderte ich und wollte mich in Richtung Ausgang bewegen, jedoch hielt er meinen Arm fest und stoppte mich somit.

"I-Ich brauche doch kurz eine Minute", murmelte er und lehnte seine Stirn gegen meine Schulter.

Unbeholfen stand ich wie eine Statue da und wusste nicht, ob ich ihn umarmen sollte. Wahrscheinlich hackte er mir die Hände ab, wenn ich wagen würde ihn anzufassen. Seine Haare streiften meinen Hals und ich hatte das Bedürfnis durch diese zu fahren. Ich mochte Umarmungen unbeschreiblich sehr, aber bei Jimin traute ich mich nicht mal wirklich zu atmen.

Eben hatte er mich noch angeschnauzt und nun weinte er wieder. Ich wünschte, dass ich verstehen könnte, wie es ist seine Eltern zu verlieren. Ich war mein ganzes Leben lang auf mich allein gestellt und hatte ein paar Betreuer als Kind, die auf mich aufgepasst hatten. Ich verstand einfach nicht, wie es war, eine konstante Person an meiner Seite zu haben.

"Danke für die Blumen. Sie sind sehr schön", murmelte er nach wenigen Sekunden und entfernte sich langsam von mir.

Kleine Bäche aus Tränen wanderten über seine Wangen, während er den Blumenstrauß in seinen Händen anschaute und mir dann ein kurzes Lächeln schenkte. Ihm gefielen die Blumen! Mein Herz schlug vor Aufregung und Erleichterung höher und mein ganzes Gesicht hellte sich auf. Er sah viel schöner aus, wenn er lächelte. Ich hoffte, dass er es irgendwann öfter tun würde.

"Kannst du sie vielleicht bis nach Hause tragen? Meine Hände schmerzen durch die Kälte etwas", sprach er weiter, da ich vor Freude nichts über die Lippen bekam.

"Klar", nickte ich und nahm ihm die Blumen ab.

Danach ging Jimin an mir vorbei und stellte sich vor das Grab seiner Eltern. Er verabschiedete sich von ihnen mit einem schwachen Lächeln und winkte ihnen zu, was mir erneut das Herz brach. Dieser Anblick war unfassbar traurig und es schmerzte dabei zu zuschauen wie dieser Mensch durchgängig litt. Meine Stimmung sank zu Boden, weil mich die endlosen Selbstzweifel in den Abgrund zerrten. Jimin brauchte einen anderen Wächter, der mit seiner Situation umgehen konnte. Ich machte alles bloß viel schlimmer. Giselle hätte sich nicht für mich einsetzen sollen. Ich war einfach nicht gut genu-...

Dieser Ort brachte all meine schlechten Gedanken an die Oberfläche. Ich schüttelte meinen Kopf und setzte mich in Bewegung. Der Kies knirschte unter meinen Füßen, sodass Jimin in meine Richtung sah, jedoch lief ich still an ihm vorbei. Ich musterte die Blumen in meinen Händen und fand mich so lächerlich. Wieso freute ich mich so sehr darüber, dass ihm die Blumen gefielen? Er könnte auch lügen. Er möchte sie nicht mal halten. Blumen werden nicht dafür sorgen, dass er mich irgendwann mochte.

Guardian | JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt