I Believe in You

Plan

Den Gedanken anderer Menschen zu folgen, war meist sehr amüsant. Es sei denn man erwischte die einen Gedanken, die unausstehlich waren. Alucard hörte gerne Integras Gedanken zu, besonders, wenn sie so tat, als würden seine Worte keine Auswirkungen auf sie haben oder dachte, er würde ihnen nicht lauschen. Heute hatte er allerdings eine unschöne Passage erwischt.

John und Vater hatten immer erzählt, Mina hätte sich von Alucard abgewandt und wäre freiwillig zu Jonathan zurückgegangen, hatte das nicht gestimmt? Eine Draculina war sie auf jeden Fall gewesen, aber wie sie zurückverwandelt worden war, wusste niemand. Sonderlich lange zu leben, hatte sie danach aber auch nicht.

Der erste Satz war schon schlimm gewesen, der zweite hätte ihm fast eine Träne ins Auge getrieben. Er hatte Mina nach seiner Versklavung nie wieder gesehen gehabt - bis 1930 war er vollkommen abgeschottet in seinem Kerker gefoltert worden und danach hatte niemals das Wort Harker Abrahams oder Arthurs Verstand auch nur gestreift. Gesagt hatten sie auch nichts. Als also Violet so vor ihm gestanden hatte und sie schon in ihrer ganzen Art so widerspenstig und auf ganz andere Art intelligent gewesen war, hatte er Mina darin wieder gesehen. Als Walter ihm ihren Namen genannt hatte, hatte das alles auch einen Sinn ergeben gehabt. So hatte er vermutet, dass Mina ein glückliches, aber normales Leben geführt hatte, ihrem Mann vielleicht ein, zwei, drei Kinder geschenkt hatte und eines dieser Kinder Violet und ihre Schwester gezeugt hatte. Mittlerweile wusste er, dass John Abraham Harker der einzige Sohn Minas gewesen war und erst im hohen Alter, ähnlich wie Arthur, Kinder gezeugt hatte. Und jetzt schrien Integras Gedanken ihm auch noch entgegen, dass der Preis, den Mina dafür gezahlt hatte, wieder ein Mensch zu werden, ihr Jahrzehnte ihres Lebens genommen hatten?

"Und gefällt dir, was du bisher gesehen und gehört hast?", riss ihn Integra aus seinen Gedanken, ihr schien auch unwohl mit der ganzen Situation, aber aus einem völlig anderen Grund.

Um sich abzulenken, nahm er seine Brille ab und spielte etwas mit ihr, je nachdem wie er sie hielt, spiegelten sich die Tischlampen in den orangenen Gläsern. "Wer weiß...", seufzte er nur. Integra konnte er keinesfalls erklären, was er fühlte - er wusste ja nicht einmal, ob er in Harker Mina sah oder wirklich sie. Klar, er konnte die Regungen seines Körpers spüren und wusste, dass er Violet haben wollte. An seiner Seite, nicht mehr nur im Bett. Aber ob sie sie sein sollte oder einfach nur Mina ersetzen...

Die Tür flog auf und im Rahmen stand Violet mit klitschnassen Haaren, triefender Wolljacke und ebenso nasser Hose, es sollte auch nicht angenehm sein, in ihren Turnschuhen zu laufen. Auf ihrem Arm befand sich das kleine Hunde-ähnliche Geschöpf, dass er bereits gesehen hatte, als er dem ersten Krankenpfleger in Annes Einrichtung eine Hypnose aufgelegt hatte. Integra hatte ihm befohlen gehabt, nicht Anne aufzusuchen, auf dem Parkplatz des Krankenhauses zu stehen, auf dem die Pflegekräfte parkten und in deren Gedanken nach Anne Harker Ausschau zu halten, war ihm nicht verboten worden.

Dass Violet ihm soweit schon gefolgt war, ließ ihn grinsen.

Harker setzte den Hund herab und dieser lief sofort in die Ecken, um die neue Umgebung zu erschnüffeln. Seine Meisterin beachtete den Vierbeiner nicht weiter, Violets Gedanken schrien ihn allerdings beinahe an, den Brief aus dem Geschirr des Pudels zu nehmen. In der Ecke, in der der Hund gerade war, war es sehr dunkel, so hatte er kein Problem damit, einen Schatten zu dem Beutel auszustrecken und den dann mitzunehmen.

Währenddessen begrüßte Harker ihre Freundin überschwänglich und umarmte sie, sodass sie auch nass wurde. "Hi, Tegra, wie geht's, wie steht's? Wurde das Abendessen vorverlegt?"

Integra schien etwas perplex und nicht gerade amüsiert darüber, nass geworden zu sein. "V! Was fällt dir eigentlich ein?!"

Harker drückte Integra einen Kuss, nicht direkt auf den Mund, aber als Wange war das auch nicht zu zählen.