I Believe in You

Abschied

Am liebsten wäre sie sofort mit ihrer Freundin zu Anne gefahren, aber es war bereits fast acht Uhr morgens und es gab noch sehr viele andere Dinge zu tun. Eigentlich hatte sie mit Violet reden wollen, aber in diesem Zustand war das nicht verantwortbar. Also rief sie Walter an und bat ihn, mit Violet zu Anne zu fahren, während sie zum Anwesen zurückkehrte und mit den Sirs Lanchester und Marshall redete. Das würde ein furchtbarer Tag werden, auch wenn Alucard am Telefon gemeint hatte, jetzt sehr viel mehr Informationen über Millennium zu besitzen.

Walter hatte ihr schweigend in eine Jacke geholfen und eine Zigarette angesteckt, an der sie begierig sog, während sie auf dem Beifahrersitz geschnallt wurde. Ihre Tränen waren mittlerweile versiegt, trotzdem schluchzte sie noch. Integra hatte ihr ihr Handy in die Hand gedrückt, damit sie erreichbar war. Es waren viel zu viele Anrufe in Abwesenheit, da der Großteil aber von Walter und Integra war, konnte sie diese getrost ignorieren und stattdessen Annes Nachricht abhören.

Am Anfang kam nur Husten, dann räusperte sich ihre Schwester und sprach mit einer Grabesstimme. "Bună, soră. Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass du nicht abgehoben hast. Ich würde aber zu Ja tendieren. Hoffentlich verbringst du deine Zeit mit Integra oder diesem Vampir. Wäre vielleicht gut, wenn du endlich mal deine Jungfräulichkeit verlierst." Sie lachte, was wieder ins husten ausartete. "Scherz beiseite, ich will es nicht länger machen, als es ohnehin schon ist. Mein Körper schmerzt und ich spüre meine Seele von Tag zu Tag schwerer werden. Es juckt überall und ich kann mich nicht kratzen, immer wenn ich die Augen schließe, sehe ich diese Kerle. Ich kann wirklich nicht mehr. Es tut mir leid. Ich habe dich wirklich ganz doll lieb, Violet, aber auch wenn du an mich glaubst, ich kann nicht an mich glauben. Ich hätte gern noch einmal gehört, wie du mich fragst, wie es mir denn gehe, aber vermutlich ist es besser so, wenn wir nicht unnötig viel aufheben darum machen. Ich wünsche dir ein wunderbares Leben und in zwei, beziehungsweise drei Wochen fröhliche Weihnachten und ein schönes neues Jahr. Ich halte es bis dahin nicht mehr durch, aber da ich noch nicht erwachsen bin, musst du mir noch einen letzten Gefallen erfüllen: Sag den Ärzten, sie sollen alle lebenserhaltenden Maßnahmen beenden, ich will nicht vor mich hin vegetieren wie Mutter. Für mein Grab reicht etwas schlichtes. Komm mir aber auf keinen Fall mit der Grabinschrift "Ich glaube an dich"." Ein letztes Mal lachte Anne noch, dann legte sie auf.

Walter hielt sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Landstraße, so kam ihr der Weg ewig lang vor. Sie rauchte während der Fahrt knapp sieben Zigaretten, weshalb Walter das Fenster irgendwann öffnete. Alle zehn Minuten wurde sie wieder von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt.

Als Walter dann auf der Hälfte des Weges auf einmal auf einen Waldparkplatz abbog und anhielt, wurde sie aber aus ihrer Verzweiflung gerissen. "Ist was? Wir haben doch hoffentlich keinen Platten?" Selbst sie hörte, wie heiser und kehlig ihre Stimme klang. Sie sollte mehr trinken und weniger rauchen, aber das passte nicht zu ihrer Stimmung.

"Nein, mit dem Auto ist alles in Ordnung." Walter umklammerte immer noch mit beiden Händen das Lenkrad, obwohl der Motor längst schwieg.

"Was ist dann los? Wenn es um Lanchester geht, können wir das später machen? Ich will jetzt zu meiner Schwester." Zum Ende des Satzes hin brach sie wieder in Schluchzen aus.

"Nein, es geht nicht um diese deiner Torheiten. In letzter Zeit stellst du ja wahrlich genügend an." Der Butler klang überraschend harsch, meist schlug er Integra und ihr gegenüber einen sehr freundlichen, fast väterlichen Ton an, aber der passte eher zu Richard Hellsing.

"Bitte, Walter, können wir weiterfahren? Wir können auch die Fahrt über reden", flehte sie.

"Ich fahre nicht weiter, bevor wir das nicht geklärt haben", beharrte der Butler finster und sah sie jetzt zum ersten Mal am heutigen Tage auch an. "Als erstes musst du mir ein paar Dinge erklären."