Ich schaue Adrian Grigori einfach gerne an. Er ist wirklich ein Augenschmaus. Wie er gerade vor mir steht, mit seinem obligatorischen Rüschenhemd, dessen oberste Knöpfte offenstehen und einen Blick auf seine haarlose Brust freigeben. Er trägt eine Kette um den Hals, dessen Anhänger wie immer unter dem Hemdkragen verschwindet.
Sein weißes Hemd ist in die schwarze Stoffhose gesteckt, die seine Beine umschmeichelt. In engen Jeans würde er einfach zum Anbeißen aussehen. Darüber trägt er seinen Mantel, den er heute aber nicht zugeknöpft hat. Seine schulterlangen, blonden Haare hatte er wie immer zu einem Pferdeschwanz gebunden. Zu diesem doch recht altmodischen Outfit trägt er seine weißen Converse, die einen totalen Stilbruch darstellen, aber genau das macht sein Outfit erst perfekt. Seine braunen Augen durchbohren mich eindringlich.
„Guten Tag, Valerie", begrüßt er mich mit seiner melodischen Stimme und ich stehe einfach nur da und himmle ihn an. Als mir bewusst wird, dass ich ihn schon etwas zulange anstarre, reiße ich mich von seinen Augen los und räuspere mich.
„Hey Adrian. Wieso bist du rübergekommen?", will ich von ihm wissen, denn das verstehe ich wirklich nicht ganz. Wir hatten uns ja erst am Vortag in der Schule gesehen. Heute ist Samstag und er hatte mir gestern noch gesagt, dass er heute den ganzen Tag über keine Zeit haben würde.
„Grüß Gott Mrs. White. Gut sehen Sie heute wieder aus. Das grün Ihres Pullovers harmoniert perfekt mit ihren Augen", schmeichelte Adrian meiner Mutter. Ich hatte sie gar nicht bemerkt und erschrecke, als sie sich plötzlich von hinten neben mich stellt.
Verwundert begutachte ich das Outfit meiner Mutter an. Puh, da hat er mal wieder übertrieben. Sie sieht definitiv nicht gut aus und das grün ihres Pullovers ist ein ganz anderer Ton als der ihrer Augen. Aber seine Worte verfehlen nicht ihr Ziel, denn ihre Wangen färben sich sogleich rot und sie macht mit ihrer Hand kichernd eine wegwerfende Bewegung.
„Ach hör schon auf mit diesem Unsinn! Ich trage heute nur mein Hausarbeitsoutfit", kichert sie weiter wie ein Schuldmädchen.
Seit wann hatte meine Mutter ein extra Outfit für daheim? Sie läuft immer so rum, selbst sonntags, für den Kirchgang.
Ich will zu einer bissigen Äußerung ansetzen, aber sie rempelt mich in die Seite und wirft mir einen giftigen Blick zu. Nun gut, dann verkneife ich mir eben meinen Kommentar. Es war wirklich leicht, ihr Honig ums Maul zu schmieren. Aber dennoch mochte sie Adrian nicht wirklich. Ihr Verhalten war einfach nur paradox.
„Dürfte ich Ihre Tochter für einen Moment entführen? Ich muss etwas Wichtiges mit ihr besprechen", fragte er an meine Mutter gewandt. Jedes Mal finde ich es mega nervig, dass er sie ständig um Erlaubnis fragt. Einmal hat er darauf bestanden, dass ich sie in der Arbeit anrufe, nur weil er mit mir an einem schulfreien Tag noch an den Strand fahren wollte. Ohne die Erlaubnis meiner Mutter machte er nichts.
Zum Glück willigt meine Mutter sogleich ein und Adrian packt mich am Handgelenk und zieht mich aus der Haustüre raus.
„Lass mich wenigstens noch meine Schuhe anziehen", beschwere ich mich und er lässt tatsächlich mein Handgelenk los und sieht mir geduldig dabei zu, wie ich in meine Ballerina schlüpfe und nach einer leichten Jacke greife und sie anziehe.
„Fertig? Gut, dann lass uns zum Strand fahren".
Mit diesen Worten überquert er mit schnellen Schritten die Straße. Sein Mantel bläht sich leicht im Wind. Hoffentlich hält das Wetter, denke ich und starre beim Gehen in den Himmel. Dicke Regenwolken schieben sich vom Meer her über uns. Heute war generell ein recht kühler und düsterer Oktobertag.
Er steuert auf die Garage seiner Eltern zu und gibt seitlich bei der Alarmanlage den Code ein, damit das Tor hochfährt.
Die Grigoris haben. eine Schwäche für sündhaft teure Oldtimer.
Sein Vater fährt einen schwarzen Aston Martin, seine Mutter einen roten Carrera und Adrian selbst besitzt einen Rolls-Royce Silver Cloud. Den Namen weiß ich so genau, weil er mich ungefähr hundertmal damit schon vollgequasselt hatte.
Er redet wirklich nicht viel und oft sitzen wir stumm nebeneinander, aber wenn es um Autos geht, da taut sogar er auf. Typisch Mann eben.
Auf alle Fälle ist das Baujahr seines Gefährts 1961. Das Auto ist schwarz, welche Farbe auch sonst und es hat eine wirklich lange Schnauze. Um ehrlich zu sein finde ich, dass er damit wie ein Leichenbestatter aussieht. Zumindest stellt man sich einen Leichenbestatter klassischerweise so vor: Schwarzes Auto, dunkle Kleidung und eine düstere Ausstrahlung. Das habe ich ihm schon mal gesagt, aber mehr als ein Zucken seiner schönen, blassen Lippen war dafür nicht drin. Generell ist es schwierig, ihn zum Lachen zu bringen.
Das Tor ist erst zur Hälfte hochgefahren, als er sich schon bückt und darunter hindurch schlüpft. Ich tue es ihm gleich und sofort fällt mir ein vierter Wagen ins Auge, den ich noch nie zuvor gesehen habe: Ein dunkelblauer Porsche Carrera. Aber kein Oldtimer, sondern ein aktuelles Modell.
„Haben sich deine Eltern ein neues Auto gekauft?", will ich verblüfft von ihm wissen. Er steht gerade vor dem Regal mit den ganzen Autoschlüsseln und hält in seiner Bewegung inne.
„Nein, das Auto gehört Lucian", beantwortet er meine Frage, wobei sich bei mir jetzt eher mehr Fragen bilden.
„Wer ist Lucian?", will ich von ihm wissen. Inzwischen hat er den entsprechenden Autoschlüssel geholt und geht zur Beifahrerseite seines Royce-Rolls und öffnet mir galant wie immer die Türe.
Ich lasse mich auf den dunkelroten, ledernen Sitz plumpsen.
„Ladylike wie immer", höre ich ihn noch murmeln, bevor er geräuschvoll die Türe zufallen lässt. Schmunzelnd beobachte ich ihn, wie er das Auto umrundet und sich auf den Fahrersitz niederlässt.
„Du bist nicht mit mir befreundet, weil ich gute Manieren habe", spotte ich ihn aus. Er zieht die Augenbrauen in die Höhe und mustert mich.
„Wahrlich, das ist definitiv nicht der Grund. Zu anderen Zeiten hätte ich dich für dein respektloses Verhalten mir gegenüber bestrafen lassen", meint er dann und über die Ernsthaftigkeit seiner seltsamen Worte muss ich die Stirn runzeln.
„Wie war das schon wieder gemeint?", will ich von ihm wissen. Er zuckt nur mit den Schultern und bleibt mir somit eine Antwort schuldig. Leider kommen von ihm oft so komische Kommentare, meistens geht es dabei um meine Umgangsformen, meine Outfits oder um meine Kochkünste, die gleich Null sind.
Er ist nicht gerade charmant, aber er hält mir alle Türen dieser Welt auf. Aber ich verteile auch gerne meine giftigen Kommentare, daher gleicht es sich aus.
Er stellt den Rückwärtsgang ein und fährt vorsichtig aus der Garage. Dann wendet er in der Auffahrt und steuert auf die Hauptstraße zu, die geradewegs zur Küste führt.
Sobald wir auf der Geraden sind, kurbelt er sein Fenster herunter.
„Du stinkst erbärmlich", gibt er mir kurz angebunden als Erklärung und ich muss schmunzeln, als ich an die mit Knoblauch versetzten Spagetti denke. Da ich ihn nicht länger quälen möchte, kurble ich auch mein Fenster runter. Da er mich mit seinem Besuch überrumpelt hat, habe ich gar keine Tasche mit Handy oder dergleichen dabei. Aber aus alter Gewohnheit, und weil Adrian generell sehr geruchsempfindlich ist, habe ich immer einen Kaugummi in der Hosentasche. Schnell pule ich ihn aus der Verpackung und stecke ihn mir in den Mund.
„Danke", kommt es von gegenüber.
Die Schaltung geht recht schwerfällig und man hört jeden Gang, wenn er ihn einlegt. Nicht das erste Mal bin ich froh darüber, dass meine Mutter einen Automatikwagen fährt und ich somit auch. Mit Gangschaltung wäre ich heillos überfordert.
„Du bist mir noch eine Antwort schuldig", unterbreche ich das Schweigen. Wir haben inzwischen die Stadt verlassen und fahren an der Küste entlang. Er will heute anscheinend zum Schildkröten Strand – der ist zwar etwas weiter weg, aber dafür wenig bis gar nicht besucht und wie der Name schon sagt, ist dort eine Schildkrötenkolonie zuhause.
„Ich kann mich an keine Frage von dir erinnern", gibt er zurück, ohne seinen Blick von der Straße zu wenden.
„Wer ist Lucian?", will ich wissen.
„Er ist mein Bruder", antwortet er. Ok, damit habe ich nicht gerechnet.
DU LIEST GERADE
Don't kill me Darling (Dark Romance)
VampireValerie ist ein normales Durchschnittsmädchen: Nicht besonders klug, nicht außergewöhnlich hübsch und nicht extrem aufregend. Als sie auf Adrian trifft, wird ihr bis dato langweiliges Kleinstadtleben ziemlich durcheinander gewirbelt, denn er ist ei...