17. Von nächtlichen Ausgangssperren

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Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie ein aufgedrehter Flummi, so sehr springe und wusle ich durch mein Zimmer. Ich bin total überdreht und kann es kaum erwarten, in die Schule zu kommen. Ja, es ist tatsächlich so, dass ich heute pünktlich aus dem Haus gehe und erwartungsvoll auf das Nachbarhaus starre.

Eigentlich sind wir nie oder nur selten zusammen zur Schule gegangen, aber heute früh, als ich aufgewacht bin und auf mein Handy geschaut habe, war von ihm eine Nachricht da.

Guten Morgen Darling,

sollen wir heute zusammen zur Schule gehen?

Wie ein Honigkuchenpferd grinsend habe ich ihm natürlich gleich ein Ja zurückgeschrieben und nun stehe ich hier und beobachte ihn fasziniert dabei, wie er die Tür ins Schloss zieht und dann mit schnellen Schritten die Straße überquert und vor mir stehen bleibt.

Wortlos sehen wir uns für eine halbe Ewigkeit an, dann kann ich ein verliebtes Grinsen nicht länger zurückhalten und schaue beschämt zu Boden.

„Ich hoffe, du hast gut geschlafen?", will er von mir wissen und ich schaue ihn wohl recht entgeistert an, denn er zieht die Augenbrauen hoch. Die Frage hätte er sich aber wirklich sparen können, denn so unruhig habe ich mein ganzes Leben lang noch nicht geschlafen und das weiß er auch.

„Naja, bis so um halb 2 wars ok, danach war meine Nacht etwas aufwühlend, aber im Großen und Ganzen recht befriedigend".

Darauf gibt er mir keine Antwort, aber er greift nach meinem Rucksack und nimmt ihn mir ab. Er ist und bleibt eben ein Gentleman.

Schweigsam gehen wir zum Schulgelände. Der Fußweg beträgt ungefähr zehn Minuten. Normalerweise ärgere ich mich, dass ich zu nah an der Schule wohne, um nicht mit dem Bus fahren zu dürfen und doch weit genug weg, dass der Fußmarsch echt anstrengend ist. Aber heute hätte die Distanz auch tausend Meilen betragen können und es wäre mir egal gewesen – so sehr schwebe ich auf Wolke sieben. Wie eine liebeskranke Kuh trotte ich grinsend neben ihm her und werfe ihm immer wieder schmachtende Blicke zu. Unauffällig geht anders, aber es ist mir einfach nur egal. Hin und wieder strauchle ich und er fängt mich immer wieder in Sekundenschnelle ab, damit ich nicht stürze. Gott, er ist wirklich unfassbar aufmerksam! Und er sieht unfassbar gut aus! wer hätte gedacht, dass Männer in schwarzen Bundfalthosen so zum Anbeißen aussehen können? Und erst sein Hemd. Ob er wohl die Rüschen alle einzeln bügelt? Ob er das selbst macht oder seine Mom? Steht er dann, nur in Boxershorts, vor dem Bügelbrett und drückt das heiße Bügeleisen mit all seiner männlichen Kraft nieder und wegen des heißen Dampfs muss er sich den Schweiß von der Stirn tupfen...

Ok, ich schweife etwas ab und pruste leise vor mich hin bei dieser inneren Vorstellung.

„Was ist denn nun schon wieder in dich gefahren?", will er von mir wissen und sieht mich mit seinem stechenden Blick fest an.

„Ach nichts, ich habe mich dir nur gerade beim Bügeln vorgestellt", sinniere ich.

„Mit solch etwas Banalem gebe ich mich nicht ab. Das erledigt Albert, immerhin ist er darin ausgebildet worden. Meine Zeit ist zu kostbar".

Echt schräg die Grigoris, denke ich, aber lasse seine Äußerung unkommentiert. Was hat Adrian denn Großes zu tun? Klar, ich leide auch oft unter meinem Freizeitstress, aber mir ist dabei schon bewusst, dass ich im Grunde alle Freiheiten der Welt habe. Ich schätze, bei ihm wird es nicht groß anders sein.

Wir kommen in der Schule an und holen unsere Geschichtsbücher aus unseren Spinden, dann gehen wir zur ersten Stunde. Die haben wir zum Glück zusammen. Wie immer lässt er mir den Vortritt und hält dabei sogar die Türe auf. Wahrscheinlich habe ich gerade pinke Herzen in meinen Augen, wie bei einer Comicfigur. Aber er setzt dem Ganzen noch die Krönung auf, indem er mir meine Bücher, die ich unten den Arm geklemmt habe, abnimmt und mit der anderen, noch freien Hand, meinen Rücken sachte umfasst und mich zu unseren Plätzen dirigiert. Ich strahle ihn an, aber er verzieht keine Miene und legt die Bücher auf meinen Platz. Dann lässt er sich geschmeidig auf seinen Stuhl nieder und holt seinen Schreibblock und einen schwarzen Füller heraus. Ich kenne niemanden in unserem Alter, der noch mit einem Füllfederhalter schreibt. Aber fasziniert schaue ich ihm dabei zu, wie er das Gehäuse abschraubt, eine neue Tintenpatrone einsetzt und alles wieder zusammenfügt. Dann notiert er oben rechts das heutige Datum und das Fach. Das tut er immer, als wäre er noch in der Grundschule. Leider muss ich zugeben, dass ich es ihm seit einigen Wochen gleichtue. Es hat durchaus seine Vorteile, wenn man lose Blätter findet und auf jedem vermerkt ist, wo ich es bei meinen Schulsachen einsortieren muss.

Der Geschichtelehrer, Mr. Miller, kommt tatsächlich zehn Minuten zu spät und als er dann endlich im Klassenzimmer auftaucht, wirkt er abgehetzt und hat einen hochroten Kopf. Da mein Blick fast ausschließlich auf Adrian klebt, bemerke ich seine Stirn, die sich kurzzeitig fragend in Falten zieht.

„Entschuldigt die Verspätung!", keucht Mr. Miller und lässt seine schwere Ledertasche geräuschvoll auf den Pult fallen.

„Wir hatten eine Notfallkonferenz im Lehrerzimmer, nachdem uns heute Morgen ein besorgniserregender Anruf aus der Polizeiwache erreicht hat. Ich habe euch, leider, eine wichtige Mitteilung zu machen". Alle kleben gespannt an seinen Lippen und es ist mucks Mäuschen still.

„Wahrscheinlich habt ihr es schon mitbekommen, aber die Vermisstenfälle häufen sich. Die Polizei hat noch keinerlei Spur und daher wird ab heute eine Ausgangssperre ab acht Uhr abends verhängt. Diese gilt für das ganze Gemeindegebiet. Zudem fallen alle AGs am Nachmittag aus, auch die Footballspiele".

Bei der Erwähnung von Letzterem geht eine Welle der Entrüstung durch die Menge. Morgen wäre ein wichtiges Spiel gewesen und alle hatten schon darauf hin gefiebert. Ungefähr eine viertel Stunde wird noch aufgeregt diskutiert, wer hinter den Vermisstenfällen steckt, ob es überhaupt Entführungen sind, oder nur Ausreißer, die sich gerade in der nächsten Großstadt volllaufen lassen. Die Meinungen gehen weit auseinander. Fast alle beteiligen sich, sogar ich. Auf meine Frage, ob man denn nicht in Begleitung eines Erwachsenen abends ins Kino gehen könne (im Hintergedanken wegen meines baldigen Geburtstags), erklärt mir Mr. Miller, dass alle Geschäfte in der Stadt um acht Uhr schließen. Das wars dann wohl mit meinem heimlichen Wunsch, zusammen mit Adrian in einem Kinosaal zu sitzen und wie verrückt zu knutschen.

Enttäuscht brumme ich vor mich hin. Als mein Blick auf Adrian fällt, hat er noch immer seine Stirn in tiefe Falten gelegt. Sehr untypisch für ihn, da er sonst fast gar keine Mimik hat.

„Alles ok bei dir? Mach dir keine Sorgen, wahrscheinlich handelt es sich nur um ein paar bekloppte Teenies, die sich gerade in ihrem Geheimversteck eine Line reinziehen", witzle ich an ihn gewandt.

Erst sagt er gar nichts, doch dann kommt Bewegung in seinen Körper. Er holt seinen Ordner heraus, heftet in fließenden Bewegungen das noch leere Blatt ein. Dann legt er all sein Schreibwerkzeug wieder in sein Federmäppchen und räumt es zurück in seine Tasche.

„Was hast du vor?", wispere ich ihm aufgewühlt zu. Will er etwa gehen? Wir haben gerade mal die erste Stunde halb hinter uns.

„Ich muss ein wichtiges Gespräch führen. Entschuldige mich bitte".

„Dein Ernst? Du machst jetzt einfach die Fliege?", zische ich und ziehe ihn an seinem Arm zurück, als er gerade aufstehen muss.

„Hast du etwa so Schiss, dass du jetzt gleich nach Hause läufst und dich in deinem Zimmer einsperrst?"

Er kann jetzt nicht einfach abhauen. Nicht nach letzter Nacht. Ich habe mir Romantik versprochen. Händchenhalten am Gang und vielsagende Blicke zwischen uns. Eine leichte Berührung da, ein kleiner gestohlener Kuss vielleicht. Aber nicht, dass er ohne eine vernünftige Erklärung türmt.

Tatsächlich glättet sich seine Stirn und sein Mundwinkel zuckt leicht.

„Ich muss mir definitiv keine Sorgen machen, Darling. Aber du und die anderen Lämmchen hier. Bleib einfach brav in der Schule bis zwei Uhr und dann hole ich dich ab. Ok, Darling?".

Selbstfällig nickt er mir zu und steht schon auf, da schnaube ich hörbar und er blickt zu mir nieder. Schmollend halte ich meine Arme vor der Brust verschränkt und versuche seinem Blick auszuweichen. Er bückt sich zu mir hinunter und seine Hände heben leicht mein Kinn. Mir wird nur allzu bewusst, dass die anderen uns anstarren.

„Ich muss etwas Wichtiges erledigen. Danach hole ich dich von der Schule ab und wir reservieren heute noch das Kino für deinen Geburtstag". Und dann tut er etwas Unvorstellbares: Er küsst mich vor der ganzen Klasse ungeniert auf den Mund. Zwar nur ganz kurz und ohne Zunge oder anderen Flüssigkeitsaustausch, aber er drückt seine kalten Lippen auf die meinen. Ich bin so baff, dass ich nur stocksteif und mit offenem Mund dasitze und ihm wie eine dumme Gans nachstarre. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 26 ⏰

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Don't kill me Darling (Dark Romance)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt