Den Nachmittagsunterricht lassen wir sausen. Das ist nicht das erste Mal und wir sind inzwischen Meister darin uns Entschuldigungsschreiben zu fälschen. Wobei Adrian dabei seit Anfang an so gewirkt hat, als würde er das öfters machen. Ich habe noch jedes Mal ein irrsinnig schlechtes Gewissen, aber das ist meine einzige Chance, um jetzt noch Zeit mit ihm verbringen zu können, bis er endgültig wegzieht.
Der Gedanke, dass er allein wegen mir geblieben ist, hängt wie ein Damokles Schwer über mir. Was sagt mir das über seine Gefühle zu mir aus? Ist da mehr, oder will er einfach nur sein Wort halten? Tatsächlich ertappe ich mich bei dem Gedanken, ob es nicht besser gewesen wäre, den ganzen Kummer inzwischen hinter sich zu haben und nach vorne blicken zu können.
Der Schmerz des Verlustes ist ja nur aufgeschoben und nicht aufgehoben. Der Wunsch, dass ich für ihn mehr sein könnte, als nur das nette Nachbarsmädchen, keimt immer wieder in mir auf. Aber jeder Blick in seine ausdruckslose Miene belehrt mich eines Besseren. Ich war, bin und werde immer nur das nette Mädchen von nebenan sein. Nicht mehr und nicht weniger.
Gerade sitzen wir wieder an „unserem" Strand, der Schildkröten Bucht. Der Wind bläst heute irrsinnig stark, aber zum Glück trage ich meine Haare sowieso zu einem Pferdeschwanz.
„Der Wind kotzt mich so richtig an", beschwere ich mich laut, da ich gegen den Wind anschreien muss, damit Adrian mich verstehen kann. Anscheinend hat er mich aber laut und deutlich vernommen, denn ich sehe gleich, wie seine zuvor noch neutrale Miene in eine leicht genervte überschwappt.
„Dein loses Mundwerk treibt mich irgendwann noch in den Wahnsinn, Valerie", belehrt er mich.
Etwas eingeschnappt verschränke ich die Hände vor der Brust. Manchmal komme ich mir in seiner Gegenwart vor wie ein ungezogenes Kind, das man maßregeln muss.
„Aber es stimmt doch. Das Wetter ist extremer Mist heute", setze ich erneut an.
„Ich verstehe die Jugend von heute nicht", platzt es aus Adrian heraus. Seine Stimme ist aufbrausend, geradezu laut. So habe ich ihn noch nie erlebt.
„Immerzu nehmen sie abscheuliche Ausdrücke in den Mund, wie Wichser, Hurensohn, Arschloch und so weiter. Könnt ihr euch nicht anders artikulieren?".
Sein Gesicht färbt sich tatsächlich leicht rot. Ungläubig sitze ich neben ihm und kann meinen Augen nicht wirklich trauen: Adrian Grigori ist gerade dabei, richtig aus der Haut zu fahren. Er ist also doch kein Transformer, so ganz ohne Gefühle. Leise muss ich kichern. Das lässt sein Gesicht in Windeseile zu mir herumfahren und mich böse mustern.
„Und du solltest ganz besonders auf dein Mundwerk achten. Wenn ich nur daran denke, was für Ausdrücke du mir am Samstag an den Kopf geworfen hast. So hat noch NIEMAND mit mir gesprochen! Hörst du! NIEMAND! Und wenn es jemand getan hätte, dann hätte er dafür bezahlen müssen".
Mit einem verkniffenen Gesicht sitzt er jetzt neben mir und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Er schmollt, wer hätte das gedacht. Anscheinend ist er wirklich noch sauer, dass ich ihn am Samstag als Hurensohn bezeichnet und ihm geraten habe, sich selbst ins Knie zu ficken.
Ich schaue immer wieder zu ihm hinüber, ob er sich schon beruhigt hat, aber Pustekuchen. Er schmollt schon ganze fünf Minuten lang. Schließlich ist die Zeit gekommen, da nur noch eines helfen kann, diese angespannte Atmosphäre zu lockern: Chuck Norris Witze.
„Chuck Norris hat nicht Geburtstag – er war schon immer da", eröffne ich den Witze-Wettbewerb.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst", höre ich es neben mir leise knurren, aber davon lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen.
„Chuck Norris hat bis zur Unendlichkeit gezählt – zweimal".
Immerhin schmollt er jetzt nicht mehr, sondern springt auf und zieht an der karierten Decke, auf der ich noch immer im Schneidersitz sitze und meine Witze zum Besten gebe. Er zieht so stark an dem Stück Stoff, dass ich kichernd zur Seite umkippe. Mit einem letzten Ruck fegt er die Decke unter mir weg und faltet sie zusammen, um sie sich dann kommentarlos unter den Arm zu klemmen und zurück zu seinem Auto zu stapfen.
Meine wenigen Habseligkeiten, bestehend aus Handy und einer Sonnenbrille, die ich heute leider überhaupt nicht gebrauchen konnte, laufe ich ihm hinterher.
„Einige Leute tragen Superman Schlafanzüge. Superman trägt einen Chuck Norris Schlafanzug".
Er beschleunigt seine Schritte zu läuft jetzt geradezu zu seinem Auto.
Mit beschwingten Schritten gehe ich hinter ihm her, denn mir ist klar, dass ich ihn in der Hand habe. Er hasst Witze, da er anscheinend extrem humorlos ist und einfach nicht darüber lachen kann und ich liebe Chuck Norris Witze, aber seine fehlenden Reaktionen dazu finde ich am besten.
„Weißt du was, Valerie? Ich gebe mich geschlagen! Du kannst alles von mir verlangen, nur verschone mich für den Rest der Woche mit diesen dämlichen Witzen. Wer bitte soll darüber lachen können?", bittet er mich und faltet dabei flehentlich seine Hände zusammen.
Lächelnd lege ich meinen Kopf schief und grinse ihn dann an.
„Nur, wenn ich den Film für Freitag aussuchen darf", schlage ich als Deal vor.
„Alles, was du willst", gibt er sich geschlagen.
„Großartig, dann schauen wir uns Interview mit einem Vampir an. Ich liebe nämlich Brad Pitt!"
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Don't kill me Darling (Dark Romance)
VampirValerie ist ein normales Durchschnittsmädchen: Nicht besonders klug, nicht außergewöhnlich hübsch und nicht extrem aufregend. Als sie auf Adrian trifft, wird ihr bis dato langweiliges Kleinstadtleben ziemlich durcheinander gewirbelt, denn er ist ei...