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Das Läuten der Kirchenglocken schallte durch die kahle Landschaft mit toten Bäumen und verbrannten Gräsern, in der sich zwei identisch aussehende Männer durch eine feiernde Masse schoben und dabei mit schwarzen und roten Blütenblättern beworfen worden. Zwischen all diesen Leuten war auch ich. Das Mädchen, dass vor fünf Jahren nicht nur Alice die böse Königin besiegt hatte, sondern auch Erbin des Königreichs Vampirland wurde. Leider schleppte mich Daddy immer zu solch blöden Veranstaltungen mit. Also wirklich, wer wollte schon sein eigenen Bruder heiraten? Angeekelt nahm ich einen Schluck von meinem Vodka. Dieses Getränk war die einzige Chance diesen Tag für mich amüsant zu gestalten. „Ein bisschen mehr Begeisterung! Sie spielen hier sogar Santiano.", tadelte mich Daddy, der neben mir stand. „Aber wieso?! Ich kenne nicht mal das Hochzeitspaar!", beschwerte ich mich. „Das sind Alter-Knacker 1 und Alter-Knacker 45, natürlich kennst du sie. Sie sind Familie!", erwiderte er daraufhin entrüstet. „ Also schenke den beiden doch bitte ein wenig Aufmerksamkeit und gebe ihnen diese Blumen!" Damit drückte er mir verwelkte Rosen in die Hand, die irgendwie hot aussahen. Schulterzuckend packte ich sie in meine Tasche. Das waren jetzt meine! Auf einmal entbrannte tosender Applaus los und ich scannte irritiert die öde Hochzeitslocation. Mein Blick blieb bei einer aus Pappkartons gefertigten Bühne hängen. Die Alten-Knacker hatten sie safe aus ihren Pappresten gebaut, die beim Errichten ihrer Papierstadt in unserer Küche übrig blieben. Auf der Bühne stand ein Mädchen mit schwarzen kurzen Haaren und hielt eine E-Gitarre in der Hand. „Hey?", hauchte sie unsicher ins Mikro. Daraufhin fiel das Mikrofon zu Boden und gab dabei einen schrillen, ohrenbetäubenden Ton von sich. Das Mädchen kicherte nur schüchtern: „Upsii hihi." Anschließend hob sie das Mikro auf und begann mit Schweizer Dialekt zu singen. Ihr erstes Lied war ein Remix aus Somewhere Over The Rainbow und Another Love. Zwischendrin unterbrach sie ihren Gesang immer wieder um „Hihi" oder „Lol" zu sagen. Selbst mir stellten sich bei dieser Kakophonie die Nackenhaare auf. „Ohaaaaa", staunte Jasper neben mir, beeindruckt von der Darbietung. Erschrocken zuckte ich zusammen und erlitt fast einen epileptischen Anfall. „JASPER!", fauchte ich ihn wütend an. Abwehrend hob er seine Hände: „Ich habe doch gar nichts gemacht!", beschwerte er sich. Genervt verdrehte ich meine Augen. „Jasper, was willst du?", fragte ich nach ein paar Schweigeminuten genervt. Normalerweise redete er nie mit mir, es sei denn es war wichtig. Tatsächlich schaute er ertappt zum Boden als würde er sich für etwas schämen. „Ich muss weg", flüsterte er bedrückt nach einer weiteren Schweigepause. „Wohin?", fragte ich semi-interessiert. „Ebony!", tadelte er mich streng, als hätte ich irgendwas nicht richtig verstanden, „Ich muss einfach weg!" damit ging er weg und ließ mich verwirrt zurück. Jasper war schon immer sus für mich gewesen! Er muss irgendwas aushecken! Skeptisch verrenkte ich meinen Kopf um 90 Grad und schaute ihn aufmerksam mit Schlitzaugen hinterher. Als ich ihn in der feiernden Menge aus den Augen verlor, stellte ich fest, dass auch die stimmgewaltige Sängerin von der Bühne verschwunden war. Endlich! Erleichtert über das Ende des schrecklichen Gesanges, drehte ich mich um, um mir auf dieser öden Veranstaltung eine Beschäftigung zu suchen. Zum Beispiel Alte-Knacker erschrecken. Ich erschrak. Fünf Centimeter von meinem Gesicht befand sich das Gesicht der Sängerin, die mich aus großen dunkelbraunen Augen ohne zu blinzeln anschaute. Sie wollte mich jetzt aber nicht küssen, oder? Innerlich fing ich an zu zittern, da ihr Mundgeruch selbst mir weiche Knie bereitete. Ihr Schlund roch nach faulen Eiern, mit einem Hauch von Zwiebeln. Ich verzog mein Gesicht. „Bah", krächzte ich und versuchte mich nicht zu übergeben. Selbstgefällig grinsend rückte die Sängerin ein Stück von mir ab. Ihrer starrer Blick musterte mich dabei eingebildet und es schien als würde sie sich über mein Aussehen lustig machen. „Was willst du?", pamte ich sie passiv-aggressiv an. „Ich will wissen, woher du dieses absolut hässliche Oma-Kleid herhast", mobbte sie meine Kleidung, „vielleicht von Ali Express?" Oh nein, das hatte sie jetzt gerade nicht wirklich gesagt?! Das schwarze Lederkleid mit der dazu passenden pinken, zerrissenen Fischnet-Strumpfhose und Nieten besetzten Plateaustiefel war viel, aber nicht hässlich! „Hast du das Kleid von meiner toten besten Freundin gerade als hässlich beleidigt?", fauchte ich sie aggressiv an und stapfte auf sie zu, blieb aber noch weit genug von ihr entfernt wieder stehen, um ihren faulen Geruch nicht wieder ertragen zu müssen!! Das Mädchen nickte nur frech und erwiderte: „Ja hab ich, wieso so wütend? Also ich trage ja immer nur Hosen und so. Ich gehöre halt zu den Jungs. Hihi." Bevor ich ihr das schräge Lachen aus dem Gesicht schlagen konnte, schob sich Jacobina zwischen uns. „Oh ich sehe schon Ebony, du hast bereits Bekanntschaft mit Eyeliner Gibbert, der famosen Hochzeitssängerin gemacht", trällerte sie gut gelaunt und schob uns ein Stück weiter auseinander. „Ich mag sie nicht", beichtete ich Jacobina aufgebracht, „Was bildet die sich eigentlich ein?!" Eyeliner zischte nur wütend und gab nur „Pfffff, du bist ja sooo pick me" von sich. Ok jetzt reichte es mir! Ohne zu zögern zog ich mir eine versteckte Pistole aus dem BH. „Oh non!", hörte ich Jacobina nun verängstigt auf Französisch kreischen. „NA HÖR' MAL!", dröhnte Daddys Stimme daraufhin aufgebracht über die öde Landschaft und unterbrach meinen Mordversuch. Eyeliner fing natürlich dramatisch an zu heulen und versuchte dabei sexy auszusehen, um Daddys Mitleid zu erregen. „Ebony, jetzt heult schon jemand wegen dir!", schimpfte Daddy verärgert und ignorierte Eyeliners Darbietung geflissentlich, „Ich habe dir doch verboten während der Hochzeit Unruhe zu stiften. Das gibt eine Woche Shoppingverbot!" Beleidigt drückte ich meine Lippen aufeinander und begann wegzurennen. Wohin? Gute Frage, ich wusste es nicht. Einfach nur weg. Weg von dieser öden Veranstaltung in der öden Landschaft. Weg von Daddy. Schneller als Licht rannte ich über Felder, Wasser, Wiesen und Steine. Irgendwann brach ich entkräftet zusammen und lehnte mich mit letzter Kraft gegen einen Baum. Ein schluchzen brach aus mir hervor. Ich war hier ganz alleine und Daddy zog diese blöde Eyeliner mir vor! Na toll. Dabei weiß er doch eigentlich, dass ich Leute nie grundlos mit einer Waffe bedrohe. Blutige Tränen rannten mir über die Wangen. :'-( Langsam merkte ich wie der Sprint seinen Tribut forderte und meine Augenlieder schwer wurden. Der Mond stand schon hoch über den Bäumen. Morgen würde ich weitersehen, doch jetzt brauchte ich dringend einen Powernap! Aber nur einen kleinen...

Ebony 2  - Im Schatten der KroneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt