Kapitel 6

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20:35 Uhr. Die Nacht war recht kühl. Der hell scheinende Vollmond am tiefschwarzen Nachthimmel und die zehn gelblich leuchtenden Straßenlampen vor ihr waren die einzigen Lichtquellen um Astrid und Autumn. Der Weg zum Club war zehn Minuten von ihrer Wohnung entfernt, allerdings führte der schnellste Weg durch einen kleinen Park in ihrer Nähe. Nur sieben Minuten. Ihr erster Auftritt war um 21:00 Uhr und für das Umziehen brauchte sie nicht lange. Astrid hatte Autumn gegen den Willen ihres Chefs mitgenommen, aber was für eine Wahl hatte sie? Das Geld brauchten sie und ihr Kind alleine zuhause lassen, kam für sie absolut nicht in Frage. Sie verstand seine Bedenken, aber verstand er ihre Gründe? Sie betete jeden Tag auf ein Wunder. Jemanden der sich bereit erklärt ihnen zu helfen oder Autumn für die Nacht zu sich nehmen konnte. Eine bessere Jobmöglichkeit mit mehr Geld, um sich und Autumn versorgen und die Schulden, die ihr Ex-Freund ihr hinterlassen hatte, weiter zu minimieren. Bis jetzt hatten ihre Bemühungen kaum Früchte getragen. Seufzend ging sie über die Straße und bog in den Park ein. Mit dem Ärger ihres Chefs beschloss sie sich später rumzuschlagen. ,,Ma-maa ma", quengelte Autumn am Busen ihrer Mutter. Astrid schmunzelte und streichelte ihr behutsam über den, mit ihrer blauen Mütze bedeckten Kopf. Autumn war es mittlerweile gewohnt so lange munter zu sein, denn sie schlief vor und konnte bei Eintreffen im Club auf dem Sofa sofort weiterschlafen. Astrid bemühte sich, ihrem Kind ein halbwegs normales Leben zu geben, aber es war schon oft der Fall, dass sich die junge Mutter vollkommen überfordert und alleingelassen fühlte. In dieser Zeit glaubte sie nicht daran eine gute Mutter zu sein, denn welche gute Mutter nahm ihr Baby mit in einen Strip Club? Sie kannte keine. Nach einer Zeit wollte sie sich mit diesen Gedanken nicht mehr zufriedengeben und begann die Dinge aus einem anderen Sichtwinke zu sehen. Sie war von Autumns Geburt an schon eine gute Mutter. Sie hatte das winzige Wesen, dass sie zur Welt gebracht hatte, nicht aufgegeben, nie aufgehört sie zu lieben und ihr trotz der schwierigen Situation immer ein Lächeln gezeigt - und das hatte sich die zwanzig-jährige bei jeder noch so kleinen negativen Empfindung vor Augen gehalten. Sie hatte jemanden für den sie bis in den Tod kämpfen wird und dieser Jemand kuschelte sich in diesem Augenblick an ihr Dekolleté und sah ihrem einigen herunterschwebenden Blättern beim zu Boden fallen zu. Diese ruhige Art hatte Autumn definitiv nicht von ihr.

,,Hallo?", eine hellklingende männliche Stimme ertönte. Astrid schreckte auf und blickte in strahlend blaue Augen. Er war nur etwas größer, wie sie. Sein Haar war schneeweiß, wuschelig und kurz. Er trug einen Anzug, der Astrid verriet, dass er mit absoluter Sicherheit nicht in dieser Gegend wohnte. Ihr Blick fiel auf die Tür hinter ihm. Die Hintertür zum Club.
Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht mitbekam, dass sie bereits angekommen war. Lorenz, so hieß ihr Club-Chef war der festen Überzeugung, dass seine Tänzerinnen die hintere Tür, anstelle des Haupteingangs zu benutzen hatten und sie hinterfragte das nicht. Die Hintertür lag in einer kleinen Gasse nur wenige Schritte entfernt.
,,Haben Sie sich verlaufen Miss?", fragte er freundlich. Sein besorgter Blick wanderte und traf auf Autumn. Besser gesagt auf ihre Mütze, denn das kleine Mädchen saß so in der Tragetasche, dass sie sich nicht umdrehen konnte, um den Fremden Löcher in den Kopf zu starren.
Er zog eine Augenbraue hoch.
Astrid schüttelte verneinend den Kopf und deutete auf die Tür hinter ihm.
,,Ich arbeite hier", antwortete sie knapp. Sie klang genauso angewidert, wie sie es sich im Kopf vorgestellt hatte.
,,Dann sind wir schon zwei, aber dürfte ich fragen, warum Sie ein Kind mit in den Club nehmen? Kinder sind hier nicht erlaubt."
Astrid seufzte. Wohl einer der neuen Türsteher.
,,Ich konnte keinen Babysitter finden, also, wenn Sie nun so freundlich wären mich durchzulassen, damit wir beide keinen Ärger bekommen, wäre ich Ihnen sehr verbunden, Mister?", log sie und fragte nach seinem Namen.

Seit wann platzierte ihr Chef Türsteher am Eingang der Tänzerinnen?
Vielleicht eine weitere Sicherheitsmaßnahme, damit so ein Vorfall, wie der von damals nicht nochmal geschieht.
Es war nur drei Monate her, aber sie und eine Kollegin sind im Club angefallen worden, wären die anderen Tänzerinnen, die einzigen zwei Bodyguards im Innenbereich und der Barkeeper nicht direkt zur Stelle gewesen, wäre das nicht gut ausgegangen.
Seither legte ihr Chef großen Wert auf Sicherheit.

,,Jack. Jack Frost", sagte er und trat zur Seite. Sie ging mit einem milden Lächeln an ihm vorbei. ,,Schön dich kennenzulernen, ich bin Astrid und das ist Autumn." Sie drehte sich zur Seite, damit auch Autumn jack nun sehen konnte und eilte dann nach drinnen. „Wir sehen uns, Jack!"
Sie hörte ihn noch:,,Bis dann!", rufen, ehe sich die Tür hinter ihr schloss.

Drinnen angekommen, huschte sie geschwind in die Kabine der Mädchen. ,,Da bist du ja Astrid!", rief ihre Kollegin Mira und strahlte sie an. ,,Hallo, Mira. Wie war dein Tag denn so?", Astrid erwiderte ihr Lächeln und zog sich geschwind die Jacke aus. ,,Hätte besser sein können, aber war nicht schlecht. Die anderen haben sich schon in Schale geworfen und tanzen schon. Und wie war euer Tag?"
Astrid zuckte mit den Schultern.
,,Nicht sehr aufregend."
Mira nickte verständnisvoll und wandte sich dem dritten Menschen in diesem Raum zu.
,,Da ist auch mein Lieblings-Baby. Hey Autumn. Warst du auch artig heute?"
Astrid nahm Autumn grinsend aus der Tragetasche, während Mira die Kissen auf dem Sofa verteilte. Autumn lächelte sie an, als hätte sie Mira Jahrzehnte nicht gesehen und begann quirlig zu werden. Astrid bedankte sich bei ihr für ihre Hilfe. Sie konnte froh sein, dass sie unter ihren Kollegen und Kolleginnen so freundliche Menschen wie Mira an ihrer Seite hatte. In Windeseile war die Kleine aus ihrer Jacke und ihren Schuhen geschält und auf die weichen Kissen gelegt worden. Mira nahm der kleinen Maus die Mütze ab.
Auf den Boden vor dem Sofa, hatte ihnen Mira bereits zwei weitere Kissen aufgelegt. Sicherheitshalber.
,,Kannst du noch niedlicher werden? Astrid, warum ist sie so süß?!", schwärmte sie und griff nach Autumns kleiner rechter Hand. Das kleine Mädchen drehte den Spieß um und griff mit der linken Hand nach Miras schwarzen, schulterlangen Haaren. Mira quietsche schmerzerfüllt und begann kurz darauf zu lachen. Da war ihre Tochter ja wieder, seufzte die junge Mutter gedanklich, während sie zu ihrem Tisch ging und ihr Outfit für heute begutachtete. Ein hellbrauner Tanga. Ein sehr knapper Fell-Rock, auf den rechteckige, aus Leder bestehenden Paneele genäht war. Auf diesen Lederpaneelen wiederrum befanden sich sowohl abgestumpfte Stahlstacheln, als auch metallene Totenköpfe, die auf Hüfthöhe an ihrem Rock befestigt waren. ,,Astrid die sexy Wikingerin, na wenn sich der Boss da nicht seinen Teil gedacht hat, dann weiß ich auch nicht weiter. Meine Wenigkeit darf sich jetzt noch in einen weißen Hasen-Zweiteiler quetschen", seufzte Mira, als sie das rote Weboberteil in die Hand nahm. Es war Bauchfrei und dazu gab es ein aus Kunstfell gemachtes Cape, dass sich vorne mit einem Ring verbinden lässt. An den Enden des Capes, an der Stelle befanden sich ebenfalls Totenköpfe. Braune Armwärmer mit Lederbändern und ein beiges, kaputzenartiges Oberteil aus Kunstfell und metallenen Schulterschützern, braunen Fellboots und einem ledernen Stirnband machten das Outfit komplett. Sie hasste es nicht, aber so wirklich lieben tat sie es auch nicht. Es war mehr als sie normal trug, wenn sie tanzen musste.
,,Das kann nur ein sehr aufregender Abend heute werden", prustete Astrid und begann sich anzuziehen. Allzu schwer anzulegen war das Kostüm nicht und Schminken brauchte sie sich auch nicht. Ihr goldblondes Haar flocht sie geschwind zu einem seitlichen Zopf, und fertig war ihre Verkleidung für die heutige Mottoparty. Ihre Maske war das Einzige, was nicht dazu passte, aber es war ihr wichtig, dass keiner ihr Gesicht sah. ,,Sag mal, was ist denn das Motto der Party?", fragte Astrid beiläufig und streichelte Autumns Wangen.
,,Karneval im Winter oder so", antwortete sie kurz. Ihr Hasenkostüm saß gut, war allerdings sehr knapp untenrum. Ein Weißer Tanga mit weißem Plüschrock und einem ebenso weißem Hasenohren-Kopfreifen. Sie trug weiße Plateauschuhe mit schwarzem Absatz und war dezent geschminkt. Alles in einem, sah Mira total niedlich aus und das verriet Astrid allein Autumns durchlöchernder Blick auf ihre Hasenohren. ,,Später, meine Süße. Es wird Zeit Astrid.", sagte die schwarzhaarige Frau und deckte die kleine Maus mit einer hellgrünen Decke für Kinder zu, die Mira vor wenigen Wochen extra für sie gekauft hatte.
Astrid nickte und verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Stirn von ihrem Kind. ,,Sei ein braves Mädchen, Mama kommt bald wieder." Autumn kicherte.
Die Uhr an der Wand zeigte an, dass es bereits 21 Uhr war.
,,Showtime!"

The really normal shit - Hiccstrid:*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt