Kapitel 16 Kurz

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Als er seine Augen das nächste Mal öffnete, traute er ihnen kaum. Astrid hatte das Kissen an ihren Körper gedrückt, wie Stunden zuvor, als sie ihm ihr Herz ausgeschüttet hatte, aber sie war dicht an ihn herangerückt. Ihr halbes Gesicht schmiegte sich an seine Brust und ihre Haare waren leicht strubbelig. Sein freier Arm hatte sich verlangend um sie gelegt, während sich sein andere Arm unter seinem Kopf zur Stütze befanden. Er merkte, wie ihm die Röte in die Wangen schoss und sein Herz gegen seine Brust hämmerte. Für einen Moment wusste er nicht, was er machen sollte. Er hatte ihre Grenze überschritten. So viel zum Thema Körperkontakt reduzieren.

Rasch nahm er seinen Arm weg und versuchte sich von ihr zu robben. Dass das Bett nicht für zwei Personen geeignet war und sie ziemlich eng aneinander lagen, hatte er unbewusst verdrängt, weshalb er für die Bettlehnen link und rechts dankbar war. Niemand mag es aus dem Bett zu fallen, nachdem man zuvor einen Nasenbeinbruch und ein paar geprellte Rippen erlitten hat. Er war viel zu fixiert darauf gewesen, sich jedes einzelne Detail aus Astrids Leben zu merken, da hatte er kurzzeitig seine Schmerzen vergessen.

»Leg den Arm sofort wieder da hin und hör auf dich zu bewegen. Ich kann nicht schlafen«, knurrte eine raue weibliche Stimme mürrisch und vor lauter Schreck realisierte er erst einen Moment später, dass es Astrid war. Sie war ihm nachgerutscht und ein Auge war halb geöffnet. Ein Morgenmuffel also. Die Rückenlehne drückte sich in seinen Rücken und fast hätte er geschrien wie ein kleiner Junge, der sein Spielzeug auf den Zeh bekommen hatte. Ihre, an seiner Brust liegende, Hand wanderte quälend langsam um seine Taille und ihre Finger krallten sich in den Stoff seines neuen Shirts an seinem Rücken. Unsicher tat er, wie ihm geheißen und er konnte sagen, dass dieses Gefühl sie so zu halten, wunderbar war. Ihre Taille war gut definiert- auch, wenn er fand, dass sie zu dünn war. Er schluckte kräftig – traute sich nicht sie direkt anzuschauen, wie, als wäre er über Nacht zum schüchternen Volltrottel mutiert. Sie schloss ihr Auge und schien erneut in den Schlaf gesunken zu sein. Die Lichtblenden vor den Fenstern waren unten und er konnte erkennen, dass es bereits helllichter Tag war. Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Waren alle seine Vorsätze der letzten Stunden für die Mülltonne?

Er war definitiv verwirrt und froh, dass das Kissen sie von der Brust bis zur Hälfte des Oberschenkels voneinander trennte.

Astrid und er lagen so dicht aneinander, dass das Kissen ihn an die Füllung einer Cremeschnitte zwischen Biscuitboden erinnerte. Sein Trainings-Shirt, welches sie am Körper trug, war ihr zu groß, weshalb es beim Schlafen verrutscht war und ihre nackte Schulter zu sehen war. Das Einzige, was ihm an dem Anblick nicht gefiel, war, was sie darunter trug. Dieser ätzende Bauchfreie top, dass knapp unter ihren Brüsten endete und im rot gewebten Stil ihren Körper verschandelte. Ein schrecklich obszönes Kostüm. Als er sie das erste Mal darin gesehen hatte, war ihm schlecht geworden. Nicht, dass sie nicht gut darin aussah, aber in seinen Klamotten sah sie einfach viel besser aus. Viel mehr wie sie selbst. Er fühlte sich gut dabei, wenn sie seine Sachen trug. Sie zwang es sich nicht auf und fühlte sich nicht unwohl - das hoffte er zumindest. Sie war einfach sie und nicht jemand, der krampfhaft versuchte jemand anderer zu sein.

Ihre Kolleginnen waren da etwas anders. Nicht nur von Charakter, sondern ihr ganzes Auftreten in diesem Stripclub sah natürlich aus. Astrid hingegen stand da wie ein Stock, lächelte kaum, besah ihre Gäste mit falscher Höflichkeit und wartete darauf, dass man ihr Geld zusteckte. Sie war recht beliebt, das hatte er schon bemerkt, als er sie gestern zum ersten Mal wiedergesehen hatte. Sie war von einem fetten Sack belästigt worden und er hatte ihr geholfen. Er wusste in dem Moment nicht, wer genau sie war, aber er hatte das Gefühl, er kannte sie. Dann verschwand sie und sein Auftraggeber kam mit einem recht jungen Kind am Kragen in den Raum. Es hatte ihn unglaublich wütend gemacht, allein, dass er sie so gehalten hatte – immerhin war sie noch ein kleines Kind. Betrunken oder nicht, so etwas musste nicht sein. Und als Astrid ohne ihre Maske hinter der Bühne vorkam und die Freilassung ihres Kindes forderte, hatte ihn beinahe der Schlag getroffen. Mehrfach.

Seine Gefühle waren mit ihm durchgegangen. Er konnte sich nur schwer bremsen, aber er war dazu gezwungen. Schließlich hatte er den Ruf der Firma zu wahren. Sein Vater würde nicht dulden, dass er der Firma, die er nach Mutters Tod mühsam aufgebaut hatte, schaden zufügte, in den er einen Blödsinn nach den anderen verzapfte und sich von seinen Gefühlen leiten ließ. Schon gar nicht, weil Hicks der Grund für ihren Tod war. Erinnerungen, die er gerne verdrängte.

Als Astrid mit Autumn und ihren Kolleginnen außer Reichweite waren, hatte er ihn freundlich zum Hintereingang gezerrt, nachdem er ihm vor allen aus Versehen den Arm gebrochen hatte. Da war er wahrscheinlich zu weit gegangen – oder auch nicht.

Hicks Nase pochte immer noch wie verrückt und jetzt, da die Kühlkompresse warm war, trat ein stechender Schmerz ins Vorderlicht. Mit dem freien Arm unter seinem Kopf, hatte er es geschafft den Verband mit der Kompresse abzunehmen und ihn hinter sich zu stopfen, ohne, dass der Blondschopf in seinem Arm erneut wach wurde. Sie hatte sich so an ihn gekuschelt, dass er sich fragte, ob er sie jemals von ihm loskriegen würde, was er nicht unbedingt wollte, aber was diese Frau allein durch ihre schlafende Gestalt mit ihm machte, jagte ihm Angst ein. Er dachte an die Nacht im Club zurück. Ihr über zwei Stunden langes Gespräch hatte ihn davon überzeugt, dass er Astrid liebte. Ihr Charakter war so klar, ehrlich, irgendwie verlegen schüchtern und schlagfertig. Heute allerdings war sie anders. Durch ihre Vergangenheit geprägt und sie zeigte Emotionen, die er gar nicht an ihr erwartet hätte. Angst, pure Verzweiflung, Unsicherheit, Fügsamkeit. Das Ergebnis von Misshandlung in vielerlei Hinsicht. So etwas vergisst und verarbeitet man nicht so einfach. Astrid war nicht schwach, deshalb kämpfte sie und versuchte damit klarzukommen.

Er werde ihr helfen, hatte er sich geschworen. Es würde sie nichts und niemand voneinander trennen – ganz zu schweigen davon, dass er mit ihr ein Kind hatte. Niemand wird ihm den Kontakt verbieten und zwischen ihm und diesen beiden Mädchen stehen. Sie waren nun ein Teil von ihm – ein sehr wichtiger Teil.

Ruhig durch den Mund atmend, denn er konnte es durch die Nase nicht gut, verstärkte er seinen Griff um ihre Taille und kreiselte mit dem Daumen ihre vom Shirt bedeckte Haut entlang.

»Ich liebe euch.«

The really normal shit - Hiccstrid:*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt