Kapitel 20 Lang

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Wie viel Zeit vergangen war, wusste sie nicht, aber sie hatte die halbe Mall bereits durchquert, als ihr die Puste ausging. Sie atmete schwer und ungleichmäßig. Ihre Seite stach und ihre Beine waren schwer wie Blei. Während des gesamten Marathons hatte sie ihre Arme um Autumn gelegt, um ihr ein Schleudertrauma zu ersparen und auf sie eingeredet, um ihre Angst zu minimieren. Es begünstigte ihr Seitenstechen nicht, aber irgendwas musste sie um Autumns Wohlergehen tun. Sie lief an der Kita vorbei. Blicke folgten ihr und wandten sich genauso schnell wieder ab. Es war nicht viel los, denn es war Donnerstag früh. Die Geschäfte würden erst um acht Uhr öffnen. Sie alle mussten denken, dass Astrid vollkommen irre sei. Selbst das Security-Team sah ihr irritiert hinterher – nicht wissend, was sie mit einer panischen Frau machen sollten, die ein schreiendes Kind in einer Babytragetasche an ihnen vorbei trug. Sie konnte es ihnen nicht verübeln. Wäre sie in deren Schuhen, würde sie genauso dumm dreinschauen. »Bleib nicht stehen Astrid«, dröhnte Hicks Stimme aus ihrem Handy. Für einen Moment hatte sie vergessen, dass sie ihn in ihrer Panik angerufen hatte und er auf dem Weg zu ihnen war. Sie schnaufte ein »Ich versuchs« und bog um die Ecke. Beinahe wäre sie mit einer Frau zusammengestoßen, aber Astrid konnte bremsen und zur Seite ausweichen. Vor lauter Schreck hatte sie keinen Ton herausgebracht. »Passen Sie doch auf, wohin Sie laufen ... Miss?« Sie lief weiter – vorbei and der Dame, die sie beinahe umgerannt hatte. Ein Blick auf das Display verriet ihr, dass es 7:30 war. Ihre Schicht würde bald beginnen.

Unentschlossen und erschöpft lief sie die Rolltreppen in den zweiten Stock hoch. Das Café war ihr Ziel. Dort würde sie sicher sei. »Café ... Hicks«, sagte sie und lief die fast leere Shoppingmeile des zweiten Stocks entlang, bis sie sie vor der verschlossenen Tür ihrer Arbeitsstelle stand. Schwer atmend klopfte sie gegen die Glasscheibe. Einmal, zweimal dreimal, bis ihr Chef erschien und sie irritiert ansah. Er war einer dieser Menschen, die schon früher auf der Arbeit waren, um Papierkram im Büro zu erledigen. Sie vergaß ganz und gar, dass sie einen Schlüssel besaß, aber sie würde sich nicht die Mühe machen, diesen in ihrer Jackentasche oder gar ihrer Handtasche, die sie geschultert hatte, zu suchen. »Astrid, was –«Sie quetschte sich an ihm vorbei ins Lokal, ließ sich auf einer der grau bezogenen Lederbänke fallen und fuhr sich zitternd durch die halb offenen, zerzausten Haare. Der Pferdeschwanz hatte sich gelockert und hing ihr tief in den Nacken. Sie spürte das Zopfgummi und wischte sich die Haarsträhnen, aus dem Gesicht. Die Frisur würde sie später erneuern müssen. Lang war sie nicht gelaufen – höchstens ein paar Minuten.

Autumns Hände hatte sich in die braune Jacke gekrallt. Darauf bedacht keinen Millimeter von ihr getrennt zu sein, presste sie ihre Wange gegen Astrids Dekolleté. Ihr Geschrei war laut und untypisch für Autumn.

»Würdest du mir bitte erklären, warum zum Henker du wie eine Irre an die Scheibe hämmerst, du so panisch aussiehst und Autumn einer Feuerwehrsirene Konkurrenz macht.«

Er stand vor ihr, nachdem er die Tür geschlossen, aber nicht versperrt hatte. Seine Arme waren verschränkt und seine Haltung und die zusammengezogenen Augenbrauen, zeigte ihr, dass er besorgt, aber auch irritiert und verärgert war. Seine braunen Augen waren so dunkel, wie Kaffee und in seinen nussbraunen Haaren zeigten sich erste graue Strähnen. Sein genaues Alter wusste sie nicht, aber sie erinnerte ihn immer an den netten alten Bibliothekar aus der Stadtbibliothek an die fünfundvierzig Minuten von hier. Zu Atem kommend begann sie zu erzählen was passiert war, dass ihr verrückter Ex sie verfolgt hatte und sie zu hektisch geworden war und nicht mehr wusste, wo ihr Schlüssel war. Von Hicks erzählte sie auch – und, dass er auf dem Weg zu ihr war. Ein kurzes, monotones »Hallo«, ertönte.

»Äh ... Hi. Also ist er da noch draußen?«, fragte Erik und sah kurz zur Tür.

Sie nickte, während sie Autumn aus der Babytragetasche nahm, sie wieder an sich drückte und sie beruhigend im Arm schaukelte. Ihre Oberschenkel waren beim Laufen etwas eingequetscht worden. Astrid wusste nicht genau, ob er ihr nach ihrer Flucht aus dem Bus wirklich hinterhergelaufen war. Sie konnte es sich nur denken. Das Gesicht ihrer Tochter war schon rot und verweint und ihre Augen glasig. Durch die ganze Aufregung hatte sie Schnappatmung und eine laufende Nase bekommen. Ein Anblick, der für Astrid schwer zu ertragen war. Sie hielt sie dicht an ihren Körper, um den bebenden kleinen Körper tröstende Zuneigung zu geben. »Es tut mir echt leid, dass ich dich aus deinem Büro geklopft habe, aber ich wusste echt keinen besseren Ort. Die Damentoiletten war mein erster Gedanke, aber die würden ihn nicht aufhalten, wenn ich allein da gewesen wäre. Insofern er uns gefunden hätte.«

The really normal shit - Hiccstrid:*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt