Beste Feinde Kapitel II

148 3 0
                                    

6.20 Uhr.

Es war bereits der dritte Wecker und damit das endgültige Signal, sich aus dem Bett zu erheben, gehetzt seinen Magen mit einer Schüssel Cornflakes zu füllen und danach einen weiteren ermündenden Tag in der Schule zu beginnen. Er hatte die Menschen nie verstanden, welche bereits nach dem ersten Weckerklingeln die Bettdecke in die Höhe rissen und an der Türschwelle parat standen. Sollte die Welt doch ein wenig länger auf ihn warten. Dämonen und Albträume waren geduldig, das wusste er, doch es war leichter, diese Gedanken zu verdrängen, wenn man ein weiches Kissen unter dem Kopf hatte.

Zentimeter für Zentimeter schälte er sich von der warmen Matratze und schlurfte dann zu dem breiten Gaming Stuhl vor seinem Schreibtisch, auf dessen Lehne fein säuberlich die Kleidung für den heutigen Tag aufgereiht war. Eine Marotte, welche er sich schnell in seinem neuen Zuhause angewöhnt hatte. Seine Tür war wie immer einen Spalt breit geöffnet - Eine weitere seltsame Gewohnheit, die er sich vor Jahren angeeignet hatte - und so begrüßten ihn die vertrauten Geräusche von bewegtem Geschirr und fleißigen Schritten in der Küche. Die Klänge, welche jeden Morgen seinen Tag starteten.

Die meisten Teenager in seinem Alter bevorzugten es, nach dem Aufstehen - oder auch den kompletten Tag über - allein gelassen zu werden, um mit keinem "peinlichen" Erwachsenen kommunizieren zu müssen. Nicht er jedoch. Er wusste schmerzlich gut, was Einsamkeit bedeutete. Ein schreckliches Gefühl, als hätte jemand ein Loch in deine Brust gefressen. So hatte er es sich als Kind immer vorgestellt. Die Gewissheit, dass jemand jeden Morgen auf ihn wartete und zur Stelle war, wenn man ihn brauchte, machte das Leben in diesem schier unendlich großem Haus ungemein leichter.

Nachdem er sich die Kleidung übergestreift, sein Gesicht gewaschen und versucht hatte, sein krauses weißes Haar irgendwie zu bändigen, trat er seinen altbekannten Marsch die lange Wendeltreppe nach unten an. Eine Wendeltreppe war nur etwas für feine, privilegierte Leute. Vorallem, wenn ihr Geländer vergoldet und ihre Stufen aus Marmor waren. Personen, die in all ihrer aufgeblasenen Überheblichkeit und Egozentrik völlig vergaßen, dass sie auch zur Kategorie "Mensch" zählten und andere ihrer Spezies wie untergeordnete Primaten behandelten. So hatte er zumindest gedacht, bis er selbst entdeckt hatte, dass die Treppe in seinem neuen Zuhause in einer Wölbung nach oben verlief. Jetzt war er vorsichtig damit, solche Kommentare laut zu äußern.

>>Guten Morgen, Tomura. Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Schlaf.<<

Die Begrüßung war so ätzend höflich, wie immer. Zumindest hatte er dem Butler ausreden können, ihn mit "Sie", statt dem gewöhnlichen "Du" anzusprechen.

>> 'Morgen Kurogiri. Mein Schlaf wäre besser, müsste ich nach 6 Stunden nicht gleich wieder aufstehen.<<

Wenn er schon dabei war, über all die feinen Privilegien in seinem Leben zu sprechen, dann sollte er wohl auch Kurogiri vorstellen. Ihren hauseigenen Butler. Der Mann hieß eigentlich Oboro Shirakumo, doch Tomuras Stiefvater zog es vor, ihn mit irgendeinem Insider anzusprechen, den die beiden sich schon vor Jahren ausgemacht zu haben schienen. Also war er "Kurogiri".

Der Butler arbeitete hier, seit Tomura den ersten Schritt über die Schwelle dieses Hauses gewagt hatte. Und noch länger. Er war wie eine der vielen Antiquitäten in diesem alten Gebäude. Er gehörte einfach hier her. Angestellter oder nicht, der Weißhaarige konnte sich ihre kleine, seltsame Familie nicht ohne Kurogiri vorstellen. Er hatte ihm bei der Eingewöhnung geholfen und ihm eine dampfende Teetasse ans Bett gebracht, wenn seine Albträume ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Er war wie der fürsorgliche Onkel, der sein eigenes Leben lebte, doch immer hier war, wenn man ihn brauchte. (Auch wenn man ihn dafür bezahlte.)

>>Ich habe für heute Reis und gebratenes Gemüse zubereitet. Ich hoffe, die Wahl ist dir genehm.<<

Um seinen Punkt zu verdeutlichen, öffnete der Butler die längliche Bento Box und der Duft von frisch zubereiteten Essen stieg in Tomuras Nase. Von einer dünnen Plastikwand getrennt, entdeckte er den noch warmen Reis und das saftige Gemüse ordentlich angeordnet. Es war ein weiterer Luxus in seinem verdammt privilegierten Leben, doch bei diesem hier musste er sich eingestehen, dass er vermutlich nicht mehr ohne leben konnte. Gutes Essen war einer der Hauptgründe für gute Laune und gemeinsam mit einem Butler in einem Haus zu leben, der vor Jahren die Ausbildung zum Koch absolviert hatte, bedeutete, dass es immer auf irgendeine Weise gutes Essen gab. Man mochte ihn als verwöhntes Einzelkind bezeichnen, doch er beschrieb es bevorzugt so: Er nahm einfach so viel in seinem Leben mit, wie irgendwie möglich.

BOTTOM DABI ONESHOTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt