Beste Feinde III

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Etwa 1 Millionen Fragen drehten und drehten ihre endlosen Runden durch seinen Verstand, während sie beide die Treppen bis ins oberste Geschoss des Gymnasiums erklommen. "Sie beide" bedeutete in diesem Fall er und niemand geringeres als Tomura Shigaraki höchstpersönlich. Er konnte sich selbst kaum erklären, wie es zu dieser surrealen Situation gekommen war.

Mobber und Opfer begegneten sich, der Fiesling wurde auf einmal zu dem freundlichsten und hilfsbereitesten Menschen der Welt, gestand sich all seine Fehler und Sünden ein und schon war alles Friede, Freude, Eierkuchen? Wenn das mal kein klischeehafter Jugendroman-Scheiß war, dann wusste er auch nicht mehr weiter! Fakt war, dass so etwas nicht passierte! Nicht in der Realität und schon gar nicht in dieser Welt. Touya wusste, dass mehr hinter der Sache steckte. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Das hier war keines dieser kitschigen "Your Choices - Your Game" Spiele, in welchem der umschwärmte Bad Boy zufällig in den Loser der Schule lief und sich eine intime Highschool Romanze daraus entwickelte.

Auch, wenn Tomura es nicht zugab. Ihm immer wieder mit ehrlichen Augen und warmen Gesichtszügen versichern wollte, dass er es nur Gut mit ihm meinte, Touya war nicht auf den Kopf gefallen. (Eines der wenigen Dinge, die ihm in seiner Kindheit nicht widerfahren waren.) Der Weißhaarige war Teil der wohl schlimmsten Gruppe von Psychopaten und Sadisten der ganzen Schule. So jemand reflektierte nicht einfach sein fehlerhaftes Verhalten und änderte sich zum Positiven. Egal, welches makabere Spiel sie auch miteinander spielten, er wäre am Ende nicht derjenige, der heulend im Schach-Matt saß! Man mochte ihn paranoid nennen, doch zu oft schon wurden ihm die süßesten Dinge von einem warmen Lächeln und begierig funkelnden Augen versprochen. Er war kein naives Kind mehr und er hatte schon längst den Unterschied zwischen Freund und Feind gelernt.

Die seltsamen Blicke der anderen Schüler entgingen ihm nicht, als sie zeitgleich, "gemeinsam", in ihr Klassenzimmer eintraten. Schamlose Augenpaare überwachten jeden seiner Schritte, bis er schließlich an seinem Platz in der letzten Reihe angekommen war. Shuichi schien sich zu verspäten, was nicht untypisch für den chaotischen Jungen war und so blieb die gewohnte Frage bezüglich des Aufenthaltsortes seines Vaters aus. Gut. Er hatte keine Nerven dafür, sich auch noch diesen Schwachsinn anhören zu müssen. Er musste nachdenken. Herausfinden, was die ganze Situation mit Tomura zu bedeuten hatte und besonders, was die daraus resultierenden Folgen für ihn selbst waren.

So unauffällig, wie es ihm gelang, schielte er zu besagtem Jungen hinüber. Dieser hatte ebenfalls einen Platz in der letzten Reihe, doch nicht etwa, weil er zu minderwertig für den Rest der Klasse war, - so wie es bei Touya der Fall war - sondern aus dem alleinigen Grund, dass er erst seit Anfang dieses Jahres auf ihre Schule ging und niemand ihn so Recht einschätzen konnte. Bei seiner Ankunft hatten die anderen Schüler versucht, ein paar private Informationen aus ihm herauszuquetschen, doch der Weißhaarige schien keiner dieser Idioten zu sein, welcher neuen Bekannten sofort seine gesamte Lebensgeschichte offenbarte und sich dann wunderte, wieso man interne Informationen gegen ihn verwendete. Er musste zugeben, dass er diese Eigenschaft an dem Jungen schätzte.

Nachdenklich betrachtete er den Anderen und behielt dabei seinen Banknachbarn Atsuhiro Sako im Blick. Ein ruhiger Junge mit kurzen, braunen Locken und einer neuartigen Armprothese, welche sich von seiner Schulter, bis hin zu seiner künstlichen Hand erstreckte. Vermutlich war dieser so geboren wurden, mit diesem sichtbaren körperlichen Defizit, doch er pflegte zu wenig Kontakt mit seinen Mitschülern, um es genau zu wissen. Er hatte sich immer gefragt, wieso man ihn selbst Tag für Tag für sein Aussehen fertig machte, während niemand auch nur ein Word über Atsuhiros fehlendes Körperteil verlor.

Es war nicht fair!

(Hör auf dich selbst zu bemitleiden, Touya!)

Auch wenn er zu der Verteidigung des Anderen sagen musste, dass dieser selbst nicht besonders beliebt war. Niemand attackierte oder beleidigte ihn, doch auch der Braunhaarige wurde - wie so viele Menschen mit einem Äußeren, welches nicht der Norm entsprach - gemieden. Vermutlich trugen dessen vornehme Art zu sprechen und sich auszudrücken, die ihn immer ein wenig älter wirken ließen, als er eigentlich war, wie auch dessen ungewöhnlicher Traum, zu einem bekannten Magier und Straßenkünstler zu werden, dazu bei. Fakt war jedenfalls, dass Atsuhiro keiner Klique an ihrer Schule angehörte, so auch nicht Musculars Gruppe. Dennoch behielt Touya ihn und Tomura ganz genau im Auge, analysierte jeden ihrer Blicke und kurzen Gesprächsfetzen. Vielleicht war Tomuras Aktion heute morgen eine Klassenverschwörung mit irgendeinem widerlichen Plan dahinter, um ihn nur noch mehr zu erniedrigen? Wer war eingeweiht? Wer wusste von dieser Verschwörung? War plötzlich die gesamte Klasse sein Feind?

BOTTOM DABI ONESHOTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt