KW 1 - Wohnungsloser und Engel

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Diese Woche darf ich euch den Short vom inspirierenden _beyourfuckingself_ vorstellen. Seine Protagonisten reden an einem kalten Wintertag über Gott und die Welt, das kleine Wörtchen Normal und über Schubladen. Und mal wieder schafft es der Autor weltbewegendes ganz leicht nebenbei einfließen zu lassen.

Aber nun gute Unterhaltung mit der Geschichte.


Der junge Mann schlenderte die Straße entlang, einen Bücherstapel im Arm, und blickte in den Himmel, von dem große Schneeflocken fielen. Sie legten sich auf die Dächer der Stadt und verfingen sich in den Haaren der Passanten. Ein Schwall warme Luft schlug ihm entgegen, als jemand die Tür eines Ladens öffnete und ihm stieg der Geruch von Zimt in die Nase.

Wie immer an einem Samstag in der Vorweihnachtszeit drängten sich die Menschen auf dem Gehsteig und die Gestresstheit der Bevölkerung stieg um 20%. Doch trotz der vielen Fußgänger strahlte der Mann eine Ruhe aus wie niemand sonst, der an ihm vorbeilief. Je mehr er in die Nähe der Grenze der Stadt kam, desto weniger Personen kreuzten seinen Weg. Er wurde unachtsamer und schon war es geschehen: Er stolperte über eine Bordsteinkante und seine Bücher fielen zu Boden.

„Mist!" Sofort bückte er sich, um sie aufzuheben und den Schaden möglichst klein zu halten.

„Hier." Ein fremder, leicht heruntergekommen wirkender Mann reichte ihm zwei seiner Schätze und er bedankte sich überschwänglich.

„Kann ich dich als Dank für die Bücherrettung auf einen Kaffee einladen? Du siehst ziemlich durchgefroren aus." Tatsächlich zitterte sein Gegenüber kaum merklich und seine Lippen hatten sich bläulich verfärbt.

„Nein danke", lehnte er ab.

„Komm schon, du kannst auch nach zehn Minuten wieder abhauen, wenn ich dir zu seltsam bin."

„Wenn du unbedingt möchtest."

„Ja, ich möchte. Wie heißt du eigentlich?"

„Kai."

„Cool, mein Name ist Nathan. Warum schleppst du eigentlich so einen riesigen Rucksack mit dir rum?"

„Ich bin auf Wohnungssuche und habe all mein Zeug dabei", erklärte Kai nach kurzem Zögern und versuchte die Röte, die sich auf seinen Wangen gebildet hatte, zu verbergen. Nathan nickte nur entspannt und lief los in Richtung des nächsten Cafés. Sie legten den Weg schweigend zurück, obwohl Nathan dutzende Fragen auf der Zunge lagen, doch er wollte sich zurückhalten, bis sie im Café waren.

Vor einem nett aussehenden Lokal angekommen, öffnete Kai die Tür und hielt sie Nathan höflich auf. Ein freundlicher Kellner wies ihnen einen Tisch zu und die beiden Männer setzten sich. Kai bestellte sich eine heiße Schokolade und ließ sich von Nathan schließlich noch einen Schokomuffin aufschwatzen und Nathan selbst orderte einen Kaffee und zwei frisch gebackene Waffeln. Sobald der Ober verschwand, um weitere Bestellungen aufzunehmen, hielt Nathan es nicht mehr aus.

„Warum bist du auf der Straße gelandet?", fragte er unverblümt.

„Mein ehemaliger Mitbewohner Chris hat in meiner Abwesenheit öfters etwas zu laut mit Freunden gefeiert und heute hat es dem Vermieter dann gereicht und er hat uns beide rausgeschmissen. Wie es aussieht, muss ich mir für diese Nacht ein Hotelzimmer nehmen." Kai zog eine Grimasse.

„Du kannst bei mir schlafen. Ich habe einen freien Raum mit Bett", meinte Nathan.

„Ich weiß nicht."

„Du kannst es dir ja noch überlegen. Arbeitest du eigentlich oder studierst du noch?"

„Ich habe einen Job als Gipser."

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