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Mit kalter Miene und versteiften Armen schreitet Ellen den Flur entlang und vergisst für eine Sekunde, dass er ihr folgt, geschweige denn existiert.
Sie schwebt in ihren Tagträumen und schwangt schon fast in ihrer Gangart.

Geistig in einer komplett anderen Realität zu sein, hat sie sich schon vor Jahren angeeignet, nur um danach in einer kurzen aber schmerzhaften Phase zu stecken, weil sie dann realisiert, dass sie schlussendlich gar nicht in ihrer Traumwelt ist.

»Ähm ... wo führst du mich hin?«, fragt Eugene, der hinter ihr her trottet.

Sie stockt kurz beim Gehen, da der Satz so aus dem Nichts kommt und er sie dadurch völlig aus ihren Gedanken gerissen hat.
Sie benötigt ein paar Sekunden, um zu kapieren wo sie sich befinden, was sie gerade tut und was sie gerade vor hatte.
»Ich begleite dich noch dank meiner Gutmütigkeit zum Ausgang«, antwortet sie ihm, als ob sie die ganze Zeit nur darauf Fokussiert gewesen wäre und seine Frage nur überflüssig ist.

Langsam kann man schon den weiten Lichteinfall der verglasten Eingangstür erblicken, der auf den braunen gefliesten Boden scheint, in den sonst so kahl wirkenden Fluren.
Man kann ebenfalls schon die blauen und roten Lichter des Rettungswagens erkennen und die Sirene hören.

Ellen hält ihm wie eine Gentlelady die Tür auf, damit Eugene hinaustreten kann.

Er wird dann auch direkt von zwei Sanitätern in Empfang genommen, die ihn auf eine Liege befördern und im Rettungswagen mitnehmen.


»Das haben sie nicht wirklich gemacht?«

»Doch. Bradley, wie oft soll ich es dir denn noch erzählen, denkst du etwa, ich hab mir die Scheiße ausgedacht? Ihr habt doch auch die Sirenen gehört und das Tamtam, was die da veranstaltet haben.«

»Alter ...«, murmelt Bradley immer noch fassungslos.

Ellen versucht immer noch ihr Pausenbrot zu genießen, während sie immer noch von den starrenden Blicken ihrer Freunde durchlöchert wird.

»Wie kannst du da bloß so ruhig bleiben?«, fragt Rhonda.

Ellen legt ihr Brot wieder auf die Alufolie und streicht über ihre Mundwinkel, um sie zu säubern.
»Wie schon gesagt ... Es ist Eugene, da empfinde ich kein Mitleid oder Anspannung. Auch bei solch einer Verletzung. Und so etwas habe ich schon des Öfteren gesehen.«

Wahre Worte, denn Ellen musste es ihnen drei Mal erklären.
Und so reagieren sie jedes Mal aufs neue, wenn sie ihnen erzählt was ihren Patienten widerfahren ist.

Bradley atmet tief ein, als würde er etwas sagen wollen, doch Ellen sieht ihn nur desinteressiert an, da für sie das Thema gegessen ist.

Anders als ihr Brot.

»Was ich nicht verstehe ist ... Er hat doch erzählt, dass er mit seinem Problemchen im Krankenzimmer, auf seiner Schule gewesen war -«

»Aber?«
Ellen möchte einfach nur ihre Ruhe haben.
Damit meint sie: Redet nicht von Eugene!
Allein wegen der Prüfung hat sie keinen Nerven mehr übrig, obwohl sie Extrazeit bekommen hat.

»Wieso hat dann keiner von ihnen einen Krankenwagen gerufen? ... Und wieso drehen dort auf einmal alle durch?«

Ellens Gesichtszüge fallen.
Sie zuckt dann jedoch mit den Schultern und beißt nochmal von ihrem Brot ab: »Keine Ahnung. Vielleicht sind deren eigenes heuchlerisches Getue zu Kopf gestiegen.«
Sie schließt ihre Augen und beißt wieder in ihr Brot.

Sie möchte jetzt weder über ihn noch über etwas anderes sprechen und stattdessen einfach nur essen, egal wie oft sie das noch sagen muss.

Sie öffnet ihre Augen wieder und blickt in das fragende Gesicht von Rhonda.

»Okay, was ist los?«

Ellen sieht hinunter zum gepflasterten Boden.
Ihr war es sonnenklar gewesen, dass ihre Freunde es irgendwann, allein schon an ihrem Verhalten, bemerken werden.

Sie seufzt.
»Als ich Ohnmächtig war, hat sich so eine Art ... Szene in meinem Kopf abgespielt -«

»Das ist aber nicht sehr ungewöhnlich, dass so etwas auftritt. Vor allem bei dir nicht, El«, unterbricht Rhonda sie und sieht sie mit gekräuselter Stirn an.

»Das ist es ja noch nicht einmal. Mr. Spearman wusste davon, obwohl ich mir überhaupt nicht erklären kann, woher er das wissen könnte«, erzählt sie.

»Vielleicht hat ja wer geplaudert?«, spekuliert Bradley.

Ellen lacht schief auf.
»Wer denn? Ms. Burdeline? Sie hat Schweigepflicht.«

Beide sagen nichts mehr.

»Wenn wir ihn das nächste Mal sehen, kannst du ihn ja fragen«, schlägt Bradley vor.

Ellen zuckt wieder mit den Schultern, was aber keine Ablehnung oder Spott darstellen soll, sondern eine Zustimmung, was sie auch mit einem leichten nicken bestärkt.

Bradley stützt seinen Kinn auf seine geballenen Fäuste ab und sieht Ellen beim Essen zu.
Eher vergöttert er ihr Brot - denn er hat sein's wie so oft vergessen.

Den Rest der Pause haben sie angefangen sich skurrile Gründe zu überlegen, wie Mr. Spearman darauf kommen kann, was Ellen widerfahren ist.
Ein Grund von ihnen ist, dass Mr. Spearman eventuell ein Alien sei, der zu 705% ein Chip in Ellens Hirn eingepflanzt hat und auf den richtigen Zeitpunkt wartet, eine Alien Invasion heraufzubeschwören.
Ziemlich bescheuert - aber es hat sie aufgeheitert.
Genau das liebt sie an ihren Freunden.
Dass sie Ellen immer aufheitern, egal wie mies gelaunt sie ist.

In den Jahren, wo sie in der Hölle leben musste, haben sie ihr eines Klar gemacht: Sie würden Ellen nie für etwas verurteilen, solange Verrat keine Rolle spielt.
Dafür ist Ellen ihnen bis Heute Dankbar und dieses Versprechen hat sich bisher auch nicht geändert.
Denn ohne ihren Freunden, ihrer Familie, wäre Ellen auch mit Sicherheit nie Dreizehn geworden.

McLarrys Experiment -Kontrollverlust-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt