Es waren ein paar Tage vergangen, nachdem Stella die Treppe heruntergestürzt war. Michael saß in seiner Zelle im Stützpunkt und hatte immer noch das gleiche Bild vor Augen.
In dem kleinen grauen Raum gab es nichts, was ihn von diesen Erinnerungen ablenken konnte, weshalb er sich stunden- und tagelang damit herumquälte, was er an diesem Tag alles angerichtet hatte.
Er hatte nie gewollt, dass es so weit kommt. Als er zu ihr ins Haus ihrer Eltern gegangen war, wollte er sie nur zurückholen und mit ihr gemeinsam zu ihrer früheren Routine zurückkehren. Ihre Ehe hatte doch schließlich lange funktioniert.
Im Verlauf des Tages saß und lag er abwechselnd auf dem schmalen Bett in seiner Zelle. Das Bett war eigentlich nur eine dünne Matratze, die auf einer gemauerten Erhöhung lag. Die einzige andere Einrichtung waren ein vergittertes Fenster, das auf eine Mauer zeigte, und eine Toiletten-Waschbecken-Kombination aus Edelstahl. Ab und zu wurde ein Tablett mit Essen durch die Tür geschoben.
Er hatte irgendwann jegliches Zeitgefühl verloren und starrte auf seine zittrigen Hände. Dabei fragte er sich immer wieder, wie es nun mit Stella weiter gehen würde und was er tun sollte. Er verstand nicht, wie ihm die Situation so sehr entgleiten konnte, und wünschte sich nichts sehnlicher als einen Ausweg – eine Möglichkeit, wie alles zumindest wieder so gut wie früher werden konnte.
Seine Gedanken wurden durch das Quietschen der Zellentür unterbrochen.
„Immer wenn ich glaube, dass du es nicht noch mehr verkacken kannst, beweist du mir das Gegenteil", brummte Michaels Vater, der im Türrahmen stehen geblieben war. Ohne Aufforderung kam er nun in die Zelle hinein und die Wachen schlossen die Tür hinter ihm. Sein grimmiger Blick durchbohrte den Häftling.
„Hallo Dad", sagte Michael. Mehr fiel ihm im Moment nicht ein. Einerseits hatte er sich davor gefürchtet, sich vor seinem alten Herren rechtfertigen zu müssen, andererseits war der Veteran auch gleichzeitig ein kleiner Hoffnungsschimmer für ihn. Er wollte jetzt einfach nur zuhören, was er ihm zu sagen hatte.
„Was hast du dir dabei nur gedacht?", wetterte der alte Mann.
„Ich war betrunken", versuchte er sich herauszureden.
„Du hast angefangen, dir die Birne wegzusaufen! Willst du deine Karriere endgültig in den Wind schießen? Ist das der Dank dafür, dass ich mich all die Jahre so sehr um dich bemüht habe?"
„Nein, Sir", antwortete Michael reumütig und fuhr sich mit der Hand durch die ungekämmten Haare. „Das ist einfach außer Kontrolle geraten."
„Ja, das ist es wohl. Du solltest hoffen, dass Stella verreckt. Oder ihr Gehirn zumindest so weichgekocht bleibt, dass sie nie mehr gegen dich aussagen kann. In beiden Fällen müsstest du sie nicht mehr ertragen und wärst aus dem Schneider."
Die Worte seines Vaters trafen Michael. Er wusste, dass er hart sein konnte, aber dies hier war doch ein wenig zu viel. Auch wenn seine Ehe mit Stella von ihm als Zweckehe gedacht war, schätze er sie zu sehr, um ihr den Tod zu wünschen.
Ich hoffe eigentlich, dass sie wieder gesund wird. Sie hat es nicht verdient, so zu enden. Und der Junge braucht zumindest noch ein Elternteil an seiner Seite.
„Dad, das würde ich niemandem wünschen", sagte Michael leise.
Der ehemalige General schüttelte ungläubig den Kopf. „Dann musst du eben vor ihr zu Kreuze kriechen. Und sobald sie deine Entschuldigung angenommen hat, daran arbeiten, ihr klarzumachen, dass sie ohne dich gar nicht auskommt. Leicht wird das nicht. Ihre Eltern und ihre guten Freunde werden sich zwischen euch stellen und versuchen, sie von dir wegzubringen."
Michael nickte still. „Erst muss sie überhaupt wieder aufwachen."
„Erst musst du mit der Sauferei aufhören. Damit dir das leichter fällt, darfst du hier noch ein paar Tage auf dem Trockenen sitzen. In der Zeit regt sich vielleicht auch der Häuptling ab und du läufst nicht mehr Gefahr, dass er dich einen Kopf kürzer macht, sobald er dich sieht."
„Wie wird die Polizei reagieren, wenn ich einen Fuß auf die Straße setze?"
„Du wirst dich ihnen stellen und ihnen wahrheitsgetreu erzählen, dass dies alles ein furchtbarer Unfall war, mit dem dein besoffenes Gehirn nicht klargekommen ist. Manchmal muss man halt zu seiner Scheiße stehen. Und es gibt keine Beweise dafür, dass es anders gewesen ist, auch wenn die Hammonds das gerne glauben würden."
„Ich kann dann aber trotzdem nicht einfach in unsere Wohnung zurückkehren, als wäre nichts gewesen", überlegte Michael laut.
Sein Vater verdrehte genervt die Augen. „Du kannst von mir aus bei mir unterkommen – vorübergehend. Einen genauen Plan können wir dann immer noch ausarbeiten und von deiner Karriere retten, was noch zu retten ist."
„Danke, Dad", seufzte Michael in dem Bewusstsein, dass sein Vater seinen Dank erwartete.
„Ja, danken solltest du mir. Ich musste mal wieder einige Gefallen einlösen, um dir einen Ausweg aus deiner eigenen Suppe zu ermöglichen. Du hast jetzt genug Gelegenheit, darüber nachzudenken."
„Ja, Sir."
Der alte Mann nickte knapp und klopfte an die Tür. Sie wurde von außen geöffnet und die Wachen ließen ihn heraustreten, bevor der Ausgang aus der Zelle mit einem Krachen wieder versperrt wurde.
Michael ließ sich rückwärts auf das schmale Bett plumpsen und fuhr sich erschöpft mit der Hand durchs Gesicht.
Selbst wenn sie aufwacht – wie soll ich sie nur dazu bringen, meine Entschuldigung anzunehmen, geschweige denn, mich wieder zurückzunehmen? Hat Dad das auch schon bedacht?
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Die Wege der Zeit (eine Avengers FF) - Teil 2
Fanfiction*** Dies ist die Fortsetzung zu „Die Wege der Zeit" *** Nachdem Steve Stella und ihre Familie ins Herz geschlossen hatte, stellte sich heraus, dass ihr Mann Michael nicht der fürsorgliche Ehemann war, für den er ihn anfangs gehalten hatte. In diesem...