5. Das Zuhause

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Am 21.12.1991 machte Stella sich früher als erwartet auf den Heimweg von New York zu der Farm ihrer Eltern im Umland von Colorado Springs.

Sie hatte in New York Tony besuchen wollen, dessen Eltern erst wenige Tage vorher bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Doch Tony hatte nichts von ihr wissen wollen und sie stattdessen aus dem Haus gejagt.

Der Weg entpuppte sich als eine kleine Odyssee. Von New York aus bekam sie nur einen Flieger bis Chicago. Von dort aus ging es zunächst mit dem Schnellzug weiter, bis sie schließlich noch in einen Fernbus umsteigen musste. Die Wartehalle am Busbahnhof war unbeheizt und auch im Bus selbst war die Heizung ausgefallen. Der Winter hatte im Moment jedoch die Gegend fest in seinen Klauen.

Als der Bus endlich in Colorado Springs anhielt, musste Stella ihre müden und ausgekühlten Glieder erst einmal strecken, bevor sie sich überhaupt bewegen konnte. Danach nahm sie mit klammen Händen ihren Koffer entgegen, der jetzt doppelt so schwer wirkte, wie am Anfang ihrer Reise.

Sie wollte den Koffer ein Stück weit vom Bus wegziehen, um sich nach dem Auto ihrer Eltern umzusehen.

„Komm, lass mich dir den abnehmen", hörte sie plötzlich eine warme, vertraute Stimme neben sich.

„Dad!", freute sie sich und umarmte ihren Vater. Als sie sich von ihm wieder löste, wurde sie sofort von ihrer Mutter herzlich umarmt.

Sie war erleichtert, jetzt schon bald zu Hause zu sein und die Festtage bei ihrer Familie verbringen zu können.

Nach der Begrüßung brachten ihre Eltern sie zu ihrem Auto und fuhren mit ihr gemeinsam nach Hause auf die Farm.

Auch in dem Haus, in dem sie aufgewachsen war, war bereits alles weihnachtlich geschmückt und Stella genoss einen Moment lang die leckeren Gerüche, die passend dazu durch das Wohnzimmer und die Küche waberten.

Im Moment fühlte sich Stella jedoch zu erschöpft, um das voll auszukosten, und sie zog sich nach dem Abendessen bald in ihr Zimmer zurück. In ihrem Bad füllte sie die Wanne mit einem warmen Schaumbad und blieb darin, bis ihre Finger schrumpelig wurden.

Bis ihre Haare danach wieder trocken waren, gesellte sie sich zu ihren Eltern ins Wohnzimmer und hoffte, sich dabei auch von den heutigen Ereignissen ein wenig ablenken zu können.

Ihre Mutter nutzte die Gelegenheit, um sie über ihr Leben in Berlin auszufragen. Sie wollte alles über die Uni, ihre Mitbewohner und ihre Nachbarschaft wissen und Stella versuchte auf all ihre Fragen einzugehen. Über ihr Treffen mit Tony wollte sie an diesem Abend noch nicht sprechen.

Als Stella später in ihrem Bett lag, konnte sie lange nicht einschlafen. Sie hatte noch immer das Gefühl, in einem fahrenden Bus zu sitzen, und ihre Gedanken kreisten um Tony. In der Stille ihres Zimmers umklammerte sie schließlich ihr Kopfkissen und ließ ihre Tränen fließen.

Es war schon hell draußen, als Stella aufwachte. Sie streckte sich und zog sich ihren weichen Bademantel über. Ihre Füße steckte sie in ihre tatzenförmigen Hausschuhe aus Kunstfell und ihre kupferroten Locken bändigte sie notdürftig mit einem Zopfgummi. Sie öffnete den Vorhang an ihrem Fenster und sah hinaus in den Obsthain hinter dem Haus.

Schneeflocken tanzten zwischen den Bäumen umher und die geschlossene Schneedecke war nur hier und da durch einen schmalen Trampelpfad durchbrochen. Ihr grummelnder Magen erinnerte sie daran, dass sie erstmal etwas frühstücken sollte, bevor sie ihren Koffer auspacken wollte.

Auf dem Weg nach unten hörte sie, dass jemand an der Haustür klingelte. Durch das eingelassene Fenster erkannte sie die Silhouette von Mrs. Carter. Einen Augenblick zögerte sie, bevor sie weiter auf die Tür zuging.

Die Wege der Zeit (eine Avengers FF) - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt