Also saß ich dort und betrachtete den wunderschönen Sonnenuntergang. Tränen liefen mir noch immer die Wangen hinunter. Ich hörte Autoreifen quietschen, aber es interessierte mich nicht. Nur Noahs lebloser Körper, der in meinen Armen lag, und sein Blut, das überall klebte, beschäftigten mich. Ich wollte am liebsten nur sterben. Mir ging es gar nicht gut, ich konnte einfach nicht mehr. Das Auto hielt ein paar Meter vor mir, und ich hörte, wie die Tür aufgerissen wurde.
„Y/N, oh mein Gott, was ist passiert? Lebt Noah noch?" fragte mich Kuina, doch ich hörte ihr nicht richtig zu. Ihre Stimme wurde von meinem Schmerz völlig ausgeblendet. Sie legte ihre Hände auf meine Schultern, die eiskalt waren, und versuchte mich aus meiner Starre zu rütteln. Sie sah mich an und ging zu Chishiya, der mich nur mitleidig ansah, aber auch mit der gewohnten Mimik. Ich hasste diesen mitleidigen Blick. Ich hatte ihn schon genug bei der Beerdigung meines Vaters ertragen müssen. Jeder Kollege, Bekannte, Familienmitglied oder entfernter Verwandter hatte uns damals so angesehen. Nun würde mich sicher wieder jeder so ansehen, und wenn sie erfahren würden, dass Noah sich für mich geopfert hatte, würden sie mich abwertend ansehen.
Kuina und Chishiya halfen mir auf, indem sie mich an den Händen zogen. Es war nur mit Mühe möglich, mich in den Wagen zu ziehen, und sie nahmen Noahs leblosen Körper ebenfalls mit, denn sie wussten, dass ich Noah niemals hier gelassen hätte. Sie legten ihn auf die Rückbank und fuhren los. Ich nahm Noahs Kopf und legte ihn auf meinen Schoß. Ich betrachtete ihn: seine Lippen verfärbten sich blau und seine Haut war eiskalt. Ich strich ihm über die Haare, da er es immer als Kind bei mir gemacht hatte und ich es ihm dann auch immer zurückgab.
Nach der schweigenden Autofahrt half Kuina mir aus dem Auto und meinte, dass wir Noah später heraus holen würden. Vor der Eingangstür standen schon der Hutmacher und der Militärtrupp, die nur darauf warteten, uns anzusehen und sich über mich lustig zu machen. Ich zog die Karte heraus, die ich noch geschnappt hatte, und warf die Herz 9-Karte dem Hutmacher vor die Füße. Er sah mich nur fragend an, anscheinend wusste er noch nicht, dass Noah gestorben war. Doch als er die Karte sah und meine blutdurchtränkten Kleider betrachtete, konnte er eins und eins zusammenzählen. Ich gab Niragi meine Waffe, ohne meine Gefühllosigkeit zu verändern. Ich ging mit Kuina hinein, während ich noch hörte, dass Chishiya sagte, Noah liege im Auto, und er ging ebenfalls mit hinein.
Die anderen gingen zum Auto und verstanden dann auch endlich, warum ich so emotionslos und mit leerem Blick war. Auf meinem Zimmer angekommen, ging Kuina mit mir ins Bad. Sie wischte mir das ganze Blut aus dem Gesicht und nahm die Jacke ab, um meine Wunden zu sehen, die sie bisher noch nicht kannte. Chishiya begann, sie zu reinigen und zu desinfizieren, nachdem Kuina ihn geholt hatte. Er verband die Wunden und ging wieder hinaus, während Kuina mich badete, um das restliche Blut aus meinen Haaren und meinem Körper zu bekommen.
„Du tust mir echt leid, Y/N. Ich kann mir nicht vorstellen, was du gerade durchmachen musst. Das hast du nicht verdient. Er war so ein guter Mensch, Freund und Bruder. Wir schaffen das zusammen, wir sind doch beste Freunde", sagte sie zu mir, während sie mir durch die Haare fuhr. „Beste Freunde?" fragte ich sie noch einmal ungläubig. Außer Dana hatte ich noch nie so wirklich eine beste Freundin. Kuina meinte nur „Natürlich" und lächelte mich an. Sie zog mich wieder an und legte mich in mein Bett. Sie wollte mich nicht alleine lassen und blieb bei mir.
Sie legte sich neben mich ins Bett und schlief ein, als sie dachte, dass ich schlafen würde. Stunden und Stunden vergingen, und ich lag nur da und starrte in die Dunkelheit. Ja, die Dunkelheit war das Einzige, was mich umschloss und mich verstand. So fühlte ich mich, und so sah mein Leben wieder aus: ohne Licht, nur Dunkelheit. Die restlichen Tage verbrachte ich nur in meinem Zimmer, in meinem Bett, unter der Decke, und starrte in eine Ecke des Zimmers. Ich bewegte mich nur, um auf die Toilette zu gehen. Ich aß nichts und machte sonst nichts. Kuina und Chishiya wechselten sich ab, um auf mich aufzupassen. Sie brachten mir immer Essen mit, aber ich aß es nicht. Wenn ich überhaupt schlief, hatte ich nur Albträume oder sah Noah. Ich wusste nicht, was mit mir los war.
Ich hatte das Gleiche wie nach dem Tod meines Vaters. Ich litt wieder unter leichter Schizophrenie, die sich nachts bemerkbar machte, wenn ich Noah hörte oder ihn einfach sah. Auch Depressionen plagten mich, da ich antriebslos war, all meine Interessen verloren hatte und nur noch im Bett lag, mit gedrückter Stimmung. Ich konnte auch nichts mehr essen.
Eines Tages hörte ich ein Klopfen an der Tür. Chishiya öffnete sie. „Y/N, es tut mir echt leid, dass du deinen Bruder verloren hast, aber du musst wieder aufstehen und leben. Das will Noah auch, sonst war sein Tod umsonst. Wir werden ihn am Abend bestatten," sagte der Hutmacher befehlerisch, aber auch ehrlich und aufrichtig zu mir. „Ach echt?" fragte ich nur. „Ja, na los, zieh dich an."
Ich konnte nicht, da ich nichts zum Anziehen hatte. Aber er hatte recht – ich musste leben, für ihn, so wie er es mir gesagt hatte. Chishiya ging mit mir zu Kuina, die mir schwarze Kleidung für die Beerdigung gab. Es war nur eine normale schwarze Hose und ein schwarzes T-Shirt. Ich zog Noahs Jacke noch darüber und wir gingen nach unten. Ich hörte, dass Niragi mit seinen Leuten einen schönen Sarg beim Bestatter geklaut hatte und Ann ihn noch schön machte. Sie hatten alles wunderschön dekoriert, mit Blumen. Der Sarg war weiß mit goldenen Griffen, bemalt mit Blumen und echten Blumen darauf.
Noah hatte in der kurzen Zeit, die wir hier waren, viele Freundschaften geschlossen. Der Militärtrupp, die Führungsriege und ein paar Freunde von ihm waren gekommen. Der Hutmacher begann und holte mich nach vorne, damit ich noch ein paar Worte sagen konnte. Ich schaute nicht in die Menge vor dem Sarg oder auf die Leute, die ich kannte, sondern nur auf den Sarg, in dem Noah lag.
„Noah, du warst der beste große Bruder, den man sich nur vorstellen konnte. Als ich gemobbt wurde, warst du immer für mich da und hast mich beschützt. Als ich versucht habe, Suizid zu begehen, warst du da und hast mich gerettet. Ich habe immer an dich geglaubt und wollte, dass all deine Träume in Erfüllung gehen, aber jetzt kannst du das nicht mehr, weil du dich wieder für mich geopfert hast. Du hast immer an mich geglaubt, und das gab mir immer so viel Kraft. Noah, du warst der Sinn meines Lebens, und jetzt habe ich nur noch ein Ziel: für dich weiterzuleben, so wie du es mir gesagt hast. Du versprachst mir, gemeinsam aus dieser Welt zu kommen, aber ich werde es schaffen, für dich. Du warst mein Licht in der Dunkelheit, das mich in die richtige Richtung geleitet hat, doch jetzt bin ich in der vollkommenen Dunkelheit und irre dort herum, ohne Licht und ohne dich. Warum musstest du sterben? Warum ausgerechnet der beste Mensch auf der Welt? Du warst meine Familie, mein bester Freund und mein Bruder. Was soll ich nur ohne dich machen?" sprach ich weinend und brach zusammen.
Ich schrie schmerzerfüllt, bis ich keine Luft mehr bekam. Kuina nahm mich hoch und setzte mich wieder auf meinen Platz neben Chishiya und ihr. Sie beruhigten mich, und dann ließen die Jungs vom Militärtrupp den Sarg mit Noah darin in die Erde. Minuten später war die Beerdigung zu Ende. „Du hast das gut überstanden und auch gut gemacht," sagte der Hutmacher zu mir. „Ist das Ihr Ernst? Hätten Sie uns nicht in ein Team gesteckt, weil Sie uns nicht trennen wollten, wäre er jetzt noch am Leben. Sie sind schuld daran, dass er sterben musste. Ich hasse Sie," sprach ich wütend, traurig und verletzt zu ihm.
Kuina entschuldigte sich für mich und meinte, es läge nur an der Beerdigung. Doch ich meinte jedes Wort ehrlich. Wir gingen zurück auf unser Zimmer, und ich erzählte Kuina und Chishiya, was an diesem schrecklichen Tag passiert war. Kuina nahm mich in den Arm und tröstete mich, während ich wieder weinte. Morgen musste ich wieder spielen. Kuina ging auf ihr Zimmer, da in dieser Nacht Chishiya auf mich aufpasste. Ich ging ins Bad, um mich bettfertig zu machen, als mir etwas aus Glas herunterfiel. Als Chishiya fragte, was passiert sei, sagte ich nur, dass es mir gut ginge und mir etwas heruntergefallen sei.
Die Scherben lächelten mich an, und ich nahm mir eine, setzte sie an meinen Oberschenkel und zog sie entlang. Ich verletzte mich seit langer Zeit wieder einmal selbst, aber das Schlimme daran war, dass es mir gut tat. Ich spürte wieder etwas und sah das Blut, das mein Bein hinunterlief. Ich nahm ein Tuch, um das Blut abzuwischen, und als es aufhörte zu bluten, zog ich meine Hose hoch. Das Reiben der Hose an der Wunde brannte leicht, und ich legte mich schnell ins Bett. Chishiya hatte Essen geholt, und ich aß eine Kleinigkeit.
Ich verband meine Wunde, die ich im Spiel abbekommen hatte, und bemerkte, dass Chishiya mich anstarrte und lächelte. Ich legte mich schlafen, und Chishiya setzte sich in den Sessel, um zu schlafen. Ich meinte nur, dass er sich neben mich ins Bett legen könnte, und er tat dies auch. Wir schlossen die Augen, und zum ersten Mal seit langem konnte ich wieder gut schlafen.
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Vielen Dank für die 870 reads. Ich freue mich das meine Story so gut bei euch ankommt und vielen Dank für die positiven Feedbacks. Die Woche kommen mehrere Teile noch da ich sie heute alle vorschreibe also seit gespannt meine Lieben und bis bald Küsschen <3
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Ich bin besessen von dir
FanfictionAls du eines Tages in dem vollkommen leergefegten Tokio stehst mit deinem Bruder und weit und breit keine Menschen seele ist wird euch kurz bevor deinem ersten spiel bewusst was los war. Ihr seit ein naturtalent darin gewesen all eure Spiele zu übe...