22 - Der Spaziergang (I)

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"Jimin-ah! Ich sehe doch, dass dich was bedrückt, du bekommst ja nicht mal deine Knie richtig hoch!", fordert Hobi seinen Freund auf, mit ihm zu sprechen.

Sie sind die einzigen im Übungsraum, der Rest der Band ist bereits nach Hause gefahren. Jimin und Hobi sind zurückgeblieben, um gemeinsam die nächste Choreografie einüben, damit sie den Anderen am nächsten Tag ein anschauliches Beispiel sind und Tipps mit ihnen teilen können.

Die Band steckt mitten in den Vorbereitungen ihrer Welttournee 'Love Yourself', die in weniger als zwei Wochen startet. Der Urlaub in Malta liegt nur wenige Tage zurück und noch können sie von ihren erholsamen Erlebnissen zerren, aber das wird nicht lang so bleiben. Sie werden in den nächsten Monaten neben ihren üblichen Konzerten in Asien auch in Nordamerika und Europa auftreten. So genau möchte niemand von ihnen darüber nachdenken, wie viele Konzerte es genau sein werden.

"Ach Hobi, wie soll ich das sagen ..." Jimin setzt ein gequältes Gesicht auf und lässt sich auf den glatten Boden fallen, wodurch Hobi nur genervt schnaubt.

"Hyung, du weißt ja, wir sind noch die einzigen in der Band, die sich ein Zimmer teilen." Hobis Gesichtsausdruck wird plötzlich weich. Er schaut den Jüngeren verständnisvoll an, hockt sich vor ihm hin und nimmt seine zarte Hand in seine eigenen Hände.

"Ja, das weiß ich. Was ist damit?"

Jimin atmet tief durch und spricht weiter: "Was ist, wenn einer von uns beiden eine Beziehung eingehen will? Was passiert dann?" Hobi glaubt genau zu wissen, worauf Jimin hinaus will und er würde ihn enttäuschen müssen.

"Einmal davon abgesehen, dass wir als Idols nicht daten dürfen ...", Jimin rollt mit seinen Augen und blickt den Älteren anschließend herausfordernd an.

"Einmal davon abgesehen, ok? Wir werden nicht für immer Zimmergenossen sein können. Schau uns an, wir sind in unseren Zwanzigern und leben seit fast 8 Jahren zusammen. Naja, zumindest einige von uns." korrigiert Hobi sich selbst und spricht weiter: "Es wird der Tag kommen, an dem jeder von uns eine eigene Wohnung haben wird und um ehrlich zu sein, warte ich schon seit einiger Zeit darauf." Hobi bemerkt, dass Jimin seinen Blick zum Boden richtet. Hobi drückt die Hand des Jüngeren fester, beugt sich weiter nach vorn und sucht Blickkontakt mit ihm.

"Hey Jimin-ah, es macht wirklich Spaß mit dir zusammenzuwohnen, aber wir sind langsam erwachsen. Ich möchte, dass du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst. Du brauchst nicht einmal einen Grund dafür. Ich mag deine Gesellschaft, das weißt du doch.", versucht der Ältere ihn aufzumuntern.

Jimin wirft Hobi einen versöhnlichen Blick zu, steht auf und startet die Musik von vorn. Beide arbeiten tief konzentriert noch einige Stunden an der Choreografie.

Jimin kann sich ein Leben ohne seinen Zimmergenossen nicht vorstellen. Er genießt seine aufheiternde Anwesenheit, bedingungslose Herzlichkeit und natürlich ihre Gespräche. Doch in letzter Zeit erwischt er sich selbst dabei, dass er sich ab und zu wünschte, sein Zimmer nicht mit Hobi teilen zu müssen. Insgeheim macht er diese Tatsache nämlich dafür verantwortlich, dass er seit dem Urlaub in Malta keine weitere Nacht mit Yoongi mehr verbringen konnte. Natürlich könnte Yoongi auch einfach Jimin dazu einladen, bei ihm zu schlafen, aber Jimin möchte sich nicht eingestehen, dass es diese Möglichkeit geben könnte. Er klammert sich an der einfachen Erklärung fest, dass er mit Hobi ein Zimmer teilt und deshalb nichts mehr zwischen ihm und Yoongi läuft, seit Malta.

Zumindest sprechen sie wieder miteinander.

Als die Band nach Seoul zurückkehrte, wartete Yoongi am Flughafen auf sie, obwohl das doch eher ungewöhnlich für ein K-Pop Idol ist. All diesen Stress mit den Fans, die ihn am Flughafen erkennen würden, nahm Yoongi in Kauf.

Jimin war überglücklich, als er ihn nach der Landung überraschend in der Empfangshalle stehen sah, umringt von Security und Fans. Das Lächeln, dass er Jimin schenkte, war so unendlich warm und liebevoll. Der Jüngere wusste sofort, dass es sich gelohnt hatte, geduldig zu sein. Doch nun ist von seiner Geduld nichts mehr übrig.

Bisher hat sich noch keine Gelegenheit geboten darüber zu sprechen, was in Malta passiert war und wie es nun zwischen ihnen weitergehen würde. Stattdessen spielen sie ihre Rollen als die Freunde, die sie vor ihrem Urlaub waren, ja sogar, die sie vor der Sache in Taipeh waren, und dafür ist Jimin sehr dankbar. In diesem Modus ist die täglich greifbare Nähe Yoongis zumindest erträglich geworden. Manchmal tauschen sie zärtliche Blicke miteinander aus und berühren vermeintlich zufällig einander – was einem plötzlichen Stromschlag für Jimin gleichkommt, der dann durch seinen gesamten Körper jagt. Solche Momente halten seine Sehnsucht für den Rest des Tages in Schach. Doch sobald es Nacht wird und er sich allein in sein Bett verkriecht, frisst ihn diese plagende Ungewissheit und schmerzende Begierde auf.

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Auch den nächsten Tag verbringt die Band mit dem Einüben ihrer Choreografie. Durch Jimins und Hobis Vorarbeit am Vorabend, können sie eine Menge Zeit bei der Koordination ihrer Schritte einsparen. Die dadurch entstehende Zuversichtlichkeit hilft der Band bis zum Ende des Tages motiviert und konzentriert zu bleiben.

"Was essen wir heute Abend?", fragt Jungkook den Ältesten, der noch immer flach auf dem Boden des Übungsraums liegt und nach Luft schnappt, nachdem sie das Tanztraining beendet haben.

"Heute Abend werde ich bestimmt nicht mehr kochen.", gibt Jin dünnhäutig und mit gepresster Stimme zurück. Jungkook wirft ihm schmollend einen traurigen Blick zu.

"Ich hab' mich schon mit Jimin zum Essen verabredet, rechnet nicht mit uns.", informiert Yoongi die restliche Band, zur Überraschung von Jimin, der sich bemüht möglichst unbeeindruckt zu wirken. Yoongi hat ihm nichts von seinem Plan erzählt, er muss spontan auf diese Idee gekommen sein, um mit Jimin allein sein zu können.

Obwohl Jimin sich nach dieser Gelegenheit gesehnt hat, geht das alles für ihn doch zu schnell. Will Yoongi heute Abend mit ihm eine Aussprache erreichen? Er hatte den Gedanken daran, so gut es geht, verdrängt, dieses Gespräch eines Tages tatsächlich führen zu müssen. Panik steigt in ihm auf und er merkt nicht, dass er mitten in seiner Bewegung erstarrt ist, nur seine Pupillen bewegen sich in schnellen, chaotischen Mustern – verwirrte Blicke treffen ihn. Auch Taehyung ist überrascht von Yoongis Ankündigung und spürt die ansteigende Anspannung im Raum. Er kramt hastig in seinem Kopf nach einer Möglichkeit, seinem Freund zu helfen. Noch bevor Taehyung einschreiten kann und Jimin sich seines eigenen merkwürdigen Verhaltens bewusst wird, legt Yoongi einen Arm um die Schultern des Jüngeren und zieht ihn mit sich.

"Komm schon, Jimin-ah. Wir müssen los.", sagt Yoongi leise. Jimin folgt ihm, noch immer verwirrt, aber gleichzeitig dankbar, so schnell aus dieser unangenehmen Situation entkommen zu können.

Yoonmin in Malta [de]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt