Kapitel 7

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Lejaras Glieder waren müde und ihr Magen noch erschöpft von den Strapazen der Reise, als sich die Sonne am nächsten Tag bereits über die Landschaft hob. Durch die riesigen Fenster aus klarem Glas fiel das Licht der Morgensonne in ihr Zimmer. Die schweren, roten Vorhänge hatte sie abends nicht mehr zugezogen und so begrüßte sie nun der anbrechende Tag.
Sie rieb sich über die Augen und richtete sich in dem weichen Bett auf. Es war so breit, dass wahrscheinlich noch zwei weitere Menschen problemlos Platz finden würden, und so bequem, dass sie am liebsten zurück in die Federn gesunken wäre. Zuhause hätte sie sich das niemals erlauben dürfen... Zuhause. Wie es Großvater nun wohl ging?
Sie schüttelte den Kopf und vertrieb die Gedanken mit aller Kraft. Sie war nun hier, in Filàn, der pulsierenden, lebenden Hauptstadt. Und sie war bei Finjan. Das war es doch, was zählte. Wenngleich es sie immer noch ein wenig nachdenklich stimmte, dass Finjan sie ins Gästezimmer verlegt hatte, anstatt sie bei sich schlafen zu lassen. Nur zu gerne hätte sie sich an ihn gedrückt oder wäre in seinen Armen eingeschlafen... Sie schüttelte den Kopf und schlug die schwere Decke zurück. „Alles zu seiner Zeit", mahnte sie sich und schwang die Beine über den Bettrand, bevor sie sich erhob. In ihrem Kopf hallten Finjans Worte vom Vorabend wider: „Im Schrank solltest du was zum Ankleiden finden. Bediene dich ruhig."
Sie trat an den mächtigen Wandschrank gegenüber dem Bett heran, legte die Hände an die Holzknaufe und öffnete die Türen. Ihr stockte der Atem. Im Schrank vor ihr hingen unzählige Kleider in unterschiedlichen Farben. Sanft schimmerte Seide im Licht und Samt lockte mit seiner weichen Oberfläche. Wie gebannt streckte sie eine Hand aus und tastete nach einem violetten Kleid.

Wenig später drehte sie sich in dem wunderbaren Kleidungsstück vor dem Spiegel. Der seidenähnliche Stoff schmiegte sich an ihren Brustkorb und betonte ihre Figur. Ihr walnussbraunes Haar, das sie ausnahmsweise nicht zusammengebunden hatte, floss über ihre Schultern. Gerade strich sie ein paar verirrte Strähnen aus ihrem Gesicht, da klopfte es an der Türe. „Ja?" Augenblicklich wandte sie sich vom manngroßen Spiegel ab und dem Zimmereingang zu. Im nächsten Moment schwang die Türe auch schon auf und Finjan stand im Raum. Er trug ein helles Leinenhemd und eine dunkle Hose und auf seinen Lippen ein zufriedenes Lächeln. Als er Lejara erblickte, hob er die Augenbrauen und nickte anerkennend. „Das sieht gut an dir aus."
Verlegen lächelte sie. „Gefällt mir auch gut. Vielen Dank für die Kleider, das..."
Er winkte ab und schloss die Türe hinter sich. „Sehr gerne", er grinste ein wenig, „du musst ja auch was anzuziehen haben. Außerdem sagte ich ja, du bist meine Gästin und als solche soll es dir an nichts mangeln."
Sie machte einen Schritt auf ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke trotzdem."
Er fuhr sich durchs Haar und schmunzelte. „Zum Glück findest du Gefallen an den Kleidern. Heute Abend ist nämlich eine Feier im Haus und ich würde mich freuen, dich an meiner Seite zu haben."
Mit großen Augen blickte sie ihn an. „Mich?", entwich es ihr und sie lachte unbeholfen. „Natürlich bin ich dabei." Sie strahlte und griff nach seinen Händen.

Ihr Puls raste, als Lejara Hand in Hand mit Finjan in den großen Saal trat. Im blauen Licht der unzähligen Lampen tummelten sich die Frauen und Männer, ein Kleid pompöser als das andere. Lange Abendkleider in allen Farben und Schnitten, Anzüge einfarbig oder mit Mustern, manche farbenfroh, andere weniger. Gläser klirrten, Menschen lachten, Stimmen lagen in der Luft.
Lejara brauchte einige Momente, bis sie ihre weichen Knie unter Kontrolle gebracht hatte und in den zierlichen Sandalen und dem violetten Kleid neben Finjan herstakste.
Er warf ihr einen langen, warmen Blick zu und nickte leicht. „Mach dir keine Sorgen", flüsterte er und strich über ihren Handrücken.
Sie hob das Kinn ein wenig an und lächelte.

Finjan begrüßte die Anwesenden, manche mit Handschütteln, andere mit Kopfnicken, wieder andere mit einem langen Gespräch. Lejara blieb dabei an seiner Seite und lächelte unbeholfen, nicht wissend, was sie sonst tun sollte. Oder was von ihr erwartet wurde. Die Leute strahlten sie an und stellten die ein oder andere Frage, die Lejara unsicher beantwortete. Eine ältere Dame, die schon etwas gebückt ging, tätschelte Finjans Hand und gratulierte ihm zu seiner „umwerfend hübschen" Begleitung und trieb Lejara so die Röte ins Gesicht.

Bestimmt hatte Finjan alle in dem Saal persönlich begrüßt, zumindest kam es Lejara so vor, als sie sich schließlich an der langen Tafel niederließen und speisten. Ein köstlicher Gang nach dem anderen wurde serviert und nach dem dritten war Lejara übel von all dem Essen. Doch viel Zeit zum Verschnaufen blieb ihr nicht. Nachdem Finjan seine Ansprache gehalten hatte, setzte das Klavier ein. Es trällerte eine fröhliche Melodie und die Anwesenden fanden sich in Pärchen zum Tanzen auf dem Parkett ein. Zunächst erst wenige, worunter auch Lejara und Finjan waren. Die Blicke der Anwesenden brannten Lejara im Nacken, während sie im Tanz neben Finjan herschritt und sich bemühte, nicht zu fallen. Bestimmt sah sie so grazil aus wie eine watschelnde Ente, aber dennoch reckte sie ihr Haupt und richtete sich so gerade auf, wie sie konnte, bemühte sich um jede Eleganz. Finjans Hände führten sie sanft, aber bestimmt und der warme, regelrecht liebevolle Blick ruhte auf ihr. Nur auf ihr. Allein bei dem Gedanken errötete sie.

Bald schon schmerzten ihre Füße, die die viele Tanzerei nicht gewöhnt waren. Eine Weile hielt sie noch durch, doch irgendwann raunte sie Finjan ein „ich bin erschöpft" zu. Er lächelte, nickte verstehend und begleitete sie zurück zur Tafel, an der vor allem noch ältere Herrschaften ihren Platz eingenommen hatten und sich bei Wein und Saft lachend unterhielten.
„Setz dich doch dazu", forderte Finjan sie auf.
Unsicher sah ihn Lejara an. „Du lässt mich mit denen doch nicht allein?", raunte sie ihm zu.
Sein leises, dunkles Lachen ertönte, das Lejara einen warmen Schauer über den Rücken scheuchte. „Wie könnte ich denn?"

Je länger der Abend andauerte und in je mehr Gespräche Lejara verwickelt wurde, desto schwerer wurden ihre Lider und desto flüchtiger wurden ihre Gedanken. Die ohnehin schon warme Luft im Saal wurde erdrückend warm, die vielen Stimmen so unerträglich laut. Erst nach und nach lichteten sich die Reihen der Anwesenden und immer mehr von ihnen verließen nach einer ausgiebigen Verabschiedung von Finjan das Fest.

Und irgendwann – Lejara hatte fast nicht gewagt, auf den Moment zu hoffen – ging auch das letzte Pärchen zur Tür hinaus. Nur noch Dienerinnen und Diener wuselten durch den Raum, wobei auch ihnen der lange Abend anzusehen war. Lange Gesichter, müde Blicke und schneller waren sie zuvor auch schon gewesen.

„Du siehst müde aus", stellte Finjan fest.
Lejara unterdrückte ein Gähnen und rieb sich nur kurz über ein Auge. „Du siehst auch nicht mehr gerade frisch aus", gab sie mit einem schiefen Lächeln zurück. „Ich glaube, wir könnten beide ein Bett und einige Stunden Schlaf vertragen."
Leise lachte er und nickte. „Du sprichst mir aus der Seele." Er griff wieder nach ihrer Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. „Lass uns schlafen gehen."
Lejara hob die Augenbrauen. „Gemeinsam?", entwich es ihr, noch bevor sie darüber nachdenken konnte.
Für einen Moment funkelte die Unsicherheit in Finjans Augen. „Willst du lieber ins Gästezimmer?"
Das Lächeln auf Lejaras Gesicht wurde trotz ihrer Müdigkeit zu einem Strahlen. „Bloß nicht." Sie trat an ihn heran und strich mit ihrer freien Hand bedächtig, fast andächtig, über seine Brust. „Bloß nicht", wiederholte sie etwas leiser.

Ihre Schritte hallten von den weiten, leeren Gängen wider, deren einzige Zierde ab und zu ein Gemälde oder eine Statue war. Die Luft war hier deutlich kühler und Lejara fröstelte beinahe ein wenig. Sie drückte sich etwas enger an Finjan und ging möglichst anmutig neben ihm her, wobei sie bei der Müdigkeit in ihren Gliedern am liebsten nur noch geschlurft wäre.

Sie erreichten sein Zimmer im Ostflügel des Gebäudes und er schloss die Türe mit einem eisernen Schlüssel auf, bevor die beiden eintraten. Das Zimmer war sicher doppelt so groß wie Lejaras Gästezimmer. Im Herzen des Raums stand ein ausladendes Bett, die Wände waren gesäumt von Bücherregalen, die bis aufs letzte gefüllt waren. Zwei massive Sessel standen in einer Ecke des Raumes, dazwischen ein kleiner, runder Beistelltisch, darauf eine Laterne, deren blaues Licht das gesamte Zimmer in ein sanftes, wenn auch kaltes Licht tauchte.
Lejara steuerte auf das Bett zu und nach einem kurzen fragenden Blick zu Finjan und einem Nicken von ihm, ließ sie sich darauf nieder. Mit wenigen Handgriffen befreite sie sich von den Sandalen. Andere Frauen hatten höhere Schuhe an jenem Abend getragen und allein bei dem Gedanken daran, dass ihr ein solches Schuhwerk auch zur Verfügung gestanden hätte, schmerzten ihre Füße noch mehr.
Lejara sah auf, als Finjan mit einem Mal vor ihr stand. Er lächelte sie an, dann ließ er sich neben ihr nieder. Tief blickte er ihr in die Augen, dann legte er seine Lippen auf ihre. Zärtlich erwiderte sie seinen Kuss, strich mit einer Hand durch sein Haar, während sie mit der anderen nach seiner griff. Seine freie Hand fand den Weg an ihr Kinn, hob es ein wenig an, während der Kuss an Leidenschaft gewann. Schließlich befreite er seine Hände und legte sie an Lejaras Hüften, streichelte, küsste sie heftiger, inniger, streifte ihre Kleidung ab...

Die unglückliche BuchbinderinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt