Kapitel 12

10 2 3
                                    

Die Sonne hatte sich erst über die Stadt gehoben, doch Lejara hatte bereits ihre Arbeitskutte angezogen und die Werkzeuge gegriffen. Der Geruch von Papier lag in der Luft, ein einzigartiger Geruch, an den sie sich vor ihrer Rückkehr kaum noch hatte erinnern können. Sie griff nach dem ersten Papierbogen, der leicht zwischen ihren Fingern lag. Vorsichtig legte sie die Ecken aufeinander und führte das Falzbein über die Kante. Den gefalzten Bogen legte sie beiseite und nahm den nächsten. Bogen um Bogen, als ob sie nie etwas anderes getan hatte. Leise summte sie vor sich hin.

Ihre Finger schmerzten ein wenig von der Arbeit – immerhin war das das dritte Buch seit ihrer Rückkehr aus Filàn – und so erhob sie sich, schlenderte am Regal mit den fertigen Aufträgen vorbei, strich über die fein gearbeiteten Einbände, die ihr Großvater in der letzten Zeit gefertigt hatte. Sein Geschick hatte mit dem Alter nicht nachgelassen. Seine Genauigkeit ebenso wenig.

Nach einer kurzen Pause begab sich Lejara zurück zu ihrem Arbeitsplatz, griff die gefalzten Bögen Papier und die Ahle. Sie schlug den ersten Papierbogen auf und legte ihn auf eine Unterlage aus Kork. Dann setzte sie das Lineal in seiner Mitte, entlang der Falz, an und stach konzentriert in regelmäßigen Abständen mit der Ahle Löcher in das feine Papier. Als sie mit dem ersten Bogen fertig war, ging es an den nächsten. Konzentriert stach sie so die Löcher für die Bindung, Bogen um Bogen.

Irgendwann klingelte das Glöckchen der Eingangstür. Lejara sah auf. Und direkt in dunkle, wache Augen. Ein Strahlen legte sich auf ihre Züge und sie sprang so energisch auf, dass der Sessel polternd umkippte. Doch sie sah sich nicht einmal danach um, sondern rannte auf den Mann in der Tür zu und fiel ihm um den Hals.
„Ich war ein Idiot", flüsterte er und legte seine Hände auf ihren Rücken.
Sie drückte ihn an sich und schloss die Augen. „Aber jetzt bist du hier."
Er strich über ihren Rücken. „Lass uns reden."
Lejara hob den Kopf ein wenig und blickte ihn fragend an.
„Über... über uns." Schmal lächelte er. „Begleitest du mich auf einen Spaziergang?"
Ein schmales Lächeln stahl sich auf Lejaras Züge. „Was für eine Frage. Natürlich."

Die Felder schimmerten golden im Licht der Sonne. Bald würden die Bäuerinnen und Bauern losziehen und die Ernte einfahren. Doch solange reihte sich ein dicht bewachsenes Feld voller Ähren an das nächste. Dazwischen führte ein festgetrampelter Pfad hindurch, der sich irgendwo in den Gebirgen verlief, wie Lejara wusste. Genau diesen Pfad schritt sie mit Finjan entlang, während über den Berggipfeln bereits dunkle Regenwolken hingen.
Eine Weile schwiegen sie, irgendwann durchbrach Finjans Stimme die Stille. „Wir können eine Lösung finden. Eine, mit der du leben kannst."
„Wie meinst du das?" Zaghaft blickte Lejara ihn an, während sie neben ihm herging.
„Ich will dich nicht verlieren", seine Stimme hatte einen flehentlichen Unterton angenommen. Seine Miene war beinahe verzweifelt, als er weitersprach: „Die letzten Wochen ohne dich waren furchtbar. Ich brauche dich."
Sie seufzte und schlug die Augen nieder. Dann blieb sie stehen.
Er tat es ihr gleich, sah sie erwartungsvoll an.
„Ich brauche aber all das hier", erklärte sie und machte eine ausladende Geste. „Die Buchbinderei, die Freiheit, Menschen, die mich akzeptieren..."
Er nickte. „Ich weiß. Aber was hältst du davon, dass wir einander einfach immer wieder besuchen kommen?"
Sie hob die Augenbrauen und hielt inne. Schließlich nickte sie zögerlich. „Das könnte schon gehen..."
„Vorausgesetzt, du erträgst die viele Kutschenfahrerei", er grinste schief.
Leise lachte sie und machte einen Schritt auf ihn zu. „Für dich immer." Sie griff nach seinen Händen und strich andächtig darüber. „Ich will doch auch nur, dass das mit uns eine Zukunft hat."
„Lass es uns auf diese Weise noch einmal versuchen."
„Einverstanden." Sie lächelte.
Er öffnete den Mund, zögerte.
Fragend runzelte sie die Stirn.
„Und ich hätte da noch einen Vorschlag..."
„Ja, gerne." Ein schmales Lächeln umspielte ihre Lippen, aber in ihren Augen funkelte die Verwirrung.
„Möchtest du eine Buchbinderei in Filàn aufmachen? Vielleicht nicht heute oder morgen – aber irgendwann mal?"
Ihre Augen wurden groß. „Wovon soll ich das denn...?"
„Ich steige als Geschäftspartner natürlich mit ein." Er nickte ihr zu. „Du hast die Arbeit, die dich glücklich macht und wir beide haben einander."
„Du bist wahnsinnig geworden." Wieder lachte sie leise. „Ich werde es mir überlegen."
Er strich über ihre Finger. „Ich liebe dich, Lejara. Egal, was kommt, wir können das stemmen."
Sie nickte und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Wärme flutete durch ihren Körper und sie sah ihn entschieden und doch sanft an. „Das können wir."

Die unglückliche BuchbinderinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt